Warum die Biologie das "theoretischere" Fach Mathematik braucht, um die immer größer werdenden Datenmengen zu sichten, weiß der Bioinformatiker Arndt von Haeseler. Die Fragen stellte Edda Grabar.


Standard: Sie haben Biologie und Mathematik studiert. Ahnten Sie, wo das hinführt?
Von Haeseler: Ehrlich gesagt: nein. Ich wollte beide Fächer studieren und habe mich dann entschieden, in Mathematik zu promovieren, weil mir die Biologie zu fad erschien.

Standard: Zu Fad? Aber man sollte doch meinen, dass die Mathematik viel theoretischer ist?
Von Haeseler: Das mag so erscheinen. Ich denke aber, dass man in der Mathematik größere Ideen entwickeln kann. Nehmen Sie das Erbgut, es setzt sich aus einem universellen genetischen Code zusammen. Er besteht aus Bausteinen, die mit kleinen Ausnahmen alle Informationen eines Lebewesens codieren. Beauftragt man einen Mathematiker damit, den Code zu erfassen, widmet er sich den allgemeinen Aussagen und beschäftigt sich dann mit den Ausnahmen. Ein Biologe würde antworten: Das geht nicht, es ist ja gar nicht universell – wegen der Ausnahmen.

Standard: Biologen beschränken ihre Sichtweise also?
Von Haeseler: Sie denken manchmal zu exemplarisch. Es ist einfacher, sich erst mit generellen Aussagen zu beschäftigen, bevor man sich an die Einzelfälle macht. Das ist leichter gesagt als getan. Aber die Datenflut aus der Biologie kann nur verstanden werden, wenn man sich um generelle Prinzipien kümmert.

Standard: Was unterscheidet Bioinformatik von Mathematik, die man ja auch schon früher zur Erklärung biologischer Prozesse benötigte?
Von Haeseler: Das ist nicht so leicht auseinanderzuhalten. Der Aufbau von Datenbanken, in denen man Erbgutsequenzen oder Gene sammelt, gehört in die informatische Ecke. Während man für die Berechnung von Reaktionen, Wahrscheinlichkeits- und Differentialrechnungen kombiniert. Aber: Solche Berechnungen lassen sich nicht mehr durch einfache Formeln herleiten, dafür muss man schon einen Computer programmieren. Die Mathematik kann sich mit einem Problem theoretisch auseinandersetzen. Sie beweist auch, was möglich oder – noch wichtiger – unmöglich ist. Während die Bioinformatik nach Lösungen für die Anwendung sucht. Wir versuchen ja Methoden zu entwickeln, mit denen Biologen arbeiten können. Ich lasse mich nur ungern zu solchen Aussagen hinreißen, aber ich denke, die Bioinformatik wird immer wichtiger werden. Man muss die Informationen aus der Biologie in einen Computer bringen, um Hypothesen zu generieren, die man später im Labor überprüfen kann. Dieses Wechselspiel zwischen Experiment und Modell wird wichtiger werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.7. 2007)