"Manche Unternehmen sind lästig, aber auch bei manchen EU-Projekten ertrinkt man angesichts des administrativen Overheads."
Christian Bettstetter versucht Industrieprojekte so aufzusetzen, dass sie nicht "einschnüren". Er bevorzugt natürlich Forschung, bei der man große Freiheiten hat und flexibel agieren und reagieren kann.

Foto: Standard/Hochadel

Die Zukunft der Kommunikation ist drahtlos und vernetzt. Banal? Von wegen. Christian Bettstetter, Informationstechnik-Professor, arbeitet über dezentrale Synchronisierung und Kooperation von mobilen Geräten. Hier gebe es viel zu forschen, erklärt er Oliver Hochadel.


Standard: Wieso interessiert sich ein Mobilfunk-Professor für Glühwürmchen?
Bettstetter: In Asien treffen sich Glühwürmchen zu Tausenden in Bäumen und blinken synchron. Dies ist ein Paarungsverhalten. Wir haben versucht, diese Synchronisationsmethode auf drahtlose Kommunikationsnetze zu übertragen. Aber so einfach kann man einen Algorithmus aus der Biologie nicht in die Technik transferieren.

Standard: Aber es gibt schon längst synchronisierte Geräte.
Bettstetter: Ja, meistens gibt aber ein zentrales Gerät den Takt an. Wenn Sie Ihr Handy einschalten, wird es von der Basisstation des Netzanbieters synchronisiert. Wir versuchen die Synchronisation als selbstorganisierenden Prozess dezentral zu lösen, bei dem keiner den Takt angibt.

Standard: Warum ist das wichtig?
Bettstetter: Wenn ein zentrales Gerät ausfällt, funktioniert nichts mehr – wir nennen das "single point of failure". Eine dezentrale Synchronisierung ist die Voraussetzung dafür, um mobile Geräte spontan vernetzen zu können. Solche spontanen drahtlosen Netze können in vielen Bereichen nützlich sein, zum Beispiel im Straßenverkehr. Nehmen wir an, es gibt einen Unfall, ein Airbag wird gezündet, und die Nachricht "Unfall in einem Kilometer" wird ohne Infrastruktur von einem Auto zum nächsten weitergeleitet. Daran sind die Autohersteller interessiert.

Standard: Was müssen drahtlose vernetzte Systeme noch können?
Bettstetter: Wir arbeiten auch am kooperativen Relaying. Ein Gerät will an ein anderes Daten schicken; ein drittes Gerät hört mit und hilft den beiden, indem es die mitgehörten Daten weiterleitet. So können mobile Geräte schneller und energiesparender kommunizieren. Ein Sensor soll ein paar Jahre halten, ohne dass man die Batterie austauschen muss.

Standard: Wo liegen die Probleme?
Bettstetter: Eines unterstützt das andere, okay – aber wenn da zehn Geräte sind, welches soll helfen? Hierzu braucht man Protokolle, die bestimmen, welches Gerät die Daten weiterleitet. Wir arbeiten zunächst mit Simulationen; ein wenig Informationstheorie kommt auch noch hinzu; und schließlich versuchen wir, unsere Algorithmen in Prototypen zu implementieren.Normalerweise laufen Pakete hintereinander durchs Netz, jetzt versucht man die Pakete zu kombinieren und vermeidet so Flaschenhälse und spart Energie. Wir arbeiten daran, wie man dieses "Network Coding" in drahtlosen Netzen praktisch umsetzen kann.

Standard: Ist Ihre Forschung angewandt?
Bettstetter: Es ist eigentlich beides: einerseits Grundlagenforschung – also: Wie funktioniert so ein verteilter Algorithmus? – und andererseits anwendungsorientiert, da unsere Ergebnisse in konkreten Anwendungen eingesetzt werden sollen. Oft gibt es praktische Probleme, die zu ganz grundlegenden, oft mathematischen, Fragestellungen führen. Nehmen wir etwa an, wir wollen mit Sensoren die Luftfeuchtigkeit in einem Weinberg messen. Jeder Sensor hat eine bestimmte Funkreichweite, z.B. zehn Meter. Wie viele Sensoren brauche ich dann bei einer zufälligen Verteilung?

Standard: Grundlagenforschung ist also nicht immer der Ausgangspunkt für das Neue?
Bettstetter: Ich sehe es iterativ – man kann von beiden Punkten ausgehen, es ist ein Hin und Her. Ich würde eher unterscheiden in Forschung, bei der man große Freiheiten hat und auch flexibel auf neueste Ideen und Forschungsergebnisse reagieren kann, und Forschung, die stark in starre Projekte eingebettet ist.

Standard: Unternehmen denken doch an Anwendungen?
Bettstetter: Ja. Wir versuchen Industrieprojekte aber so aufzusetzen, dass sie uns nicht einschnüren. Unsere Partner geben uns am Anfang die Freiheitu, es so zu machen wie wir es für richtig halten. Den Druck, etwas Verwertbares zu produzieren, spüre ich nicht. Unseren Industriepartnern ist wichtig, dass wir gute Ergebnisse in angesehenen Zeitschriften publizieren und Ideengeber für Patente sind.

Standard: Dann ist die Industrie weniger lästig als die öffentliche Hand?
Bettstetter: Manche Unternehmen sind lästig, aber auch bei manchen EU-Projekten ertrinkt man angesichts des administrativen Overheads. Früher gab es noch viel mehr freie Industrieforschung. Der Druck, Ergebnisse zu produzieren hat zugenommen. Dennoch kooperieren wir mit internationalen Topfirmen aber auch mit lokalen Unternehmen – mit Letzteren noch hauptsächlich in der Lehre.

Standard: Was heißt das konkret für die Lehre?
Bettstetter: Ich organisiere etwa eine Ringvorlesung, bei der die Vortragenden aus Unternehmen vor Ort kommen und von ihrem Berufsweg und ihrem Arbeitsalltag berichten. Die Studierenden erhalten somit einen Eindruck, wie ihr späteres Berufsfeld aussieht.

Standard: Wie gestaltet sich die Arbeit an der Uni? Bettstetter: Ich war der erste Professor, der im Oktober 2005 in den Lakeside Park gekommen ist, in dem auch IT-Firmen angesiedelt sind. Mittlerweile sind es sechs Stiftungsprofessuren. Sie erzeugen eine ganz andere Dynamik als ein einzelner Neuberufener. Für mich war das eines der Hauptargumente, hierherzukommen. Die Forschungsbereiche ergänzen einander sehr gut: Es gibt Überlappungen und Synergien, aber keine Angst unter den Kollegen, dass man sich Themen wegnehmen könnte. Wir koordinieren das. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 11.7. 2007)