Die Fruchtfliege ist einer der bestuntersuchten Organismen. Durch die Wiener "Bibliothek" wird ihre Erforschung weiter revolutioniert.

Foto: IMP/J. Berger
Ein Besuch vor Ort und einige Einblicke in die Funktionsweisen der weltweit einmaligen Einrichtung.

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Wien - Beginnen wir mit dem Praxistipp für alle. Sollten Sie zu Hause wieder einmal unter einer Fruchtfliegen-Invasion leiden, dann haben die "Fliegen-Bibliothekare" am BioCenter im dritten Wiener Gemeindebezirk ein probates Gegenmittel, um der Plage Herr zu werden: etwas Apfelsaft, Essig und/oder eine Hefelösung in ein Glas geben und mit ein paar Tropfen Geschirrspülmittel versetzen - fertig ist die tödliche Falle für Drosophila melanogaster.

Von Fruchtfliegen wimmelt es naturgemäß in der weltweit größten und innovativsten Sammlung, die es von diesem Modellorganismus in der Molekularbiologie gibt. Immer wieder büchsen ein paar der Stecknadelkopf-kleinen Tierchen aus. Die meisten von ihnen befinden sich allerdings in Tausenden von kleinen Glasröhrchen, verschlossen mit einem Luft durchlässigen Wattebausch und versetzt mit einem Klümpchen bräunlicher (Hefe-)Nahrung. Die erklärt auch den etwas strengen Geruch der Bibliothek, deren Hauptbestände in zahllosen gestapelten Kartons in einem Kühlraum bei 18 Grad Celsius untergebracht sind.

22.270 "Bände"

Was ist das Besondere an dieser lebenden Fliegensammlung, die eine Art Joint Venture zwischen dem Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) und dem Institut für molekulare Pathologie (IMP) ist? Es ist die Anzahl der "Bände", also der Fruchtfliegenstämme, nämlich exakt 22.270. Und vor allem: das, was sie unterscheidet. Jede dieser Linien trägt nämlich spezifische Veränderungen in sich, die es ermöglicht, gezielt ein bestimmtes Gen der insgesamt rund 15.000 Fruchtfliegengene auf besonders raffinierte Weise stillzulegen. (Da es von einigen Genen mehrere Varianten gibt, kommt man auf die Zahl von 22.270.)

Die Wiener "Fly Library" ist eine Forschungsressource, die "Natur der Fruchtfliegenforschung von Grunde auf ändern könnte", heißt es in einer Aussendung des Wissenschaftsmagazin Nature, wo die Fliegenbibliothek von ihren Betreibern heute erstmals in aller Ausführlichkeit vorgestellt wurde (Band 448, S. 151ff.). "Wir rechnen aber auch mit Benützern aus vielen anderen Forschungsbereichen, weil das Prinzip so unglaublich einfach ist", sagt Barry Dickson, wissenschaftliche Direktor des IMP und Initiator des Projekts, dessen Dimensionen einzigartig sind.

Bereits vor sechs Jahren begannen Forscher mit den Vorarbeiten, seit Herbst 2002 sind im Schnitt rund zehn Labortechniker Vollzeit damit beschäftigt, die Fliegenbibliothek aufzubauen und zu warten.

Möglich wurde diese erst aufgrund der Entdeckung der RNA-Interferenz (oder RNA-Stilllegung) 1998, die Andrew Fire und Craig Mello im Vorjahr den Medizin-Nobelpreis eintrug. Stark vereinfacht geht es dabei darum, dass mittels eines komplizierten Mechanismus Gene und ihre "Wirkung" gezielt gehemmt werden.

RNAi hat sich damit ähnlich wie die Polymerase-Kettenreaktion (eine Methode, um die Erbsubstanz DNA in vitro zu vervielfältigen) binnen kürzester Zeit als Schlüsselverfahren in der Gentechnik etabliert.

Wiener Raffinesse

Die besondere Raffinesse der Fliegenbibliothek in Wien liegt darin, dass sich die einzelnen Gene am lebenden Organismus abschalten lassen. Dafür müssen die gentechnisch veränderten Tierchen, die an sich völlig unauffällig sind, mit so genannten Induzierern gekreuzt werden, wie IMP-Mitarbeiter und "Bibliotheks-Designer" Georg Dietzl erläutert: "Die unterschiedlichen Induzierer bewirken bei den Nachkommen, dass ein bestimmtes Gen zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem spezifischen Teil des Gewebes stillgelegt werden.

Dadurch werden völlig neue Einblicke in die Funktionsweisen der Gene möglich - zum Beispiel, wie sie das (Sexual-)Verhalten der Fliegen steuern. Darüber haben Dickson und seine Mitarbeiter bereits viel beachtete Artikel publiziert, die erst aufgrund der transgenen Fliegen möglich wurden. "Es werden aber sicher auch Forscher aus anderen Bereichen mit den Fliegen arbeiten", ist sich Dietzl ebenso wie sein Chef Dickson sicher.

Große Anerkennung

Führende Forscher aus aller Welt zeigen sich jetzt schon begeistert über die Bibliothek - wie zum Beispiel Jerry Rubin, Direktor des Berkeley Drosophila-Genom-Projekts, der meinte, dass diese Fliegenbibliothek die Definition dessen veränderte, was in der Drosophila-Forschung heute möglich ist.

Ab sofort sind auch offiziell Bestellungen der Fliegenstämme aus aller Welt möglich. Verschickt werden die robusten Fliegen einfach in den Glasröhrchen. Und falls Sie zu Hause gerne transgene Fruchtfliegen hätten, abschließend noch ein Preis-Tipp: Eine Linie in einem Röhrchen (rund 50 Fliegen) kostet zehn US-Dollar. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 7. 2007)