Warum, zum Teufel, sind die Dinger so bitter?

Foto: PhotoDisc

Selbstverständlich ist auch Nicht-Gärtnern bekannt, dass bestimmten Pflanzen und deren Blüten und Früchten so genannte Inhaltsstoffe innewohnen, die den menschlichen Organismus auf gewisse, mitunter ausgesprochen angenehme Arten und Weisen beeinflussen können. Nein! Also bitte! Nicht was SIE jetzt wieder denken. Der traditionelle österreichische Rausch kommt immer noch aus dem Doppler, und der ist legal.

Wir widmen uns heute vielmehr den weitestgehend unbekannten Gefahren, die in scheinbar harmlosen Gemüsegärten vor sich hinreifen - oder eben nicht, wie im Falle der Auberginen. Eine rätselhafte Frucht, die vor allem einmal schön anzuschauen ist. Das einzige Problem: Wann ist die jetzt wirklich reif? Denn dass dieser Zeitpunkt erntemäßig nicht unterschritten werden sollte, steht fest.

In schweren Fällen ungünstig

Unreife Früchte enthalten das Alkaloid Solanin und das ist giftig. Das Internet lehrt: Solanin schädigt lokal die Schleimhäute, resorptiv das Zentralnervensystem. Symptome: Kratzen im Hals, Übelkeit, Leibschmerzen, Ostipation oder Brechdurchfall, Apathie, Muskelschwäche bis Lähmungen, Koma, Krämpfe, Tod durch Atemlähmung, durch Nebenalkaloide auch Herzversagen mit Lungenödem, sowie Nierenschädigung. Therapie symptomatisch. Prognose: in schweren Fällen ungünstig.

Na prack! Prognose in schweren Fällen ungünstig ...

Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Im Haushalt ambitionierter Gemüsegärtner wird erstmals eine prächtig blaulila schimmernde Auberginen-Rekordernte eingefahren, und um diese neue Errungenschaft der eigenen Ackerscholle zu zelebrieren, findet ein ausgedehntes kollektives Auberginen-Fressen statt. Quasi die gesamte Familie nimmt rund um den Tisch Platz, in dessen Mitte eine formschön aufgeschichtete Pyramide eben gebratener, zuvor selbstverständlich in Mehl gewendeter Auberginenscheiben dampft.

Man verkostet, man hält inne, man kostet wieder, man sieht einander an. Warum, zum Teufel, sind die Dinger so bitter? Um herauszufinden, ob es sich um einzelne kulinarische Ausreißer handelt, wird die Pyramide Schicht für Schicht abgetragen und von allen Beteiligten für durch und durch ziemlich bitter befunden. Man schleicht betreten auseinander. Man möge vielleicht doch lieber bei den Erdäpfeln bleiben, wie schon die Uroma, murmeln die älteren in der Runde.

Ein Hauch agrarischen Generationenkonflikts liegt in der Mittagsluft, weshalb sich die Nachwuchs-Auberginengärtnerin leicht angesäuert auf Recherche begibt. Man will ja schließlich wissen, was man in Sachen Zucht und Hege falsch gemacht hat. Bei den Gurken hat es ja auch konkrete Gründe, warum die an den Enden mitunter bitter sind. Phasenweise zu wenig Wasser zum Beispiel. Oder gelegentliche Unterkühlungszustände.

Drei, vier Liter Wasser

Nach der Lektüre der oben angeführten Internetprognose setzt die Übelkeit selbstverständlich schlagartig ein. Verdammt! Ein Massenmord wurde begangen, ein Klan ausgerottet, Vater-Mutter-Brudermord verübt. Sogar die Kinder werden dran glauben müssen. Schließlich sind alle hungrig gewesen. Wie heißt das Gegengift und wo kriegt man's am Sonntagnachmittag her, und zwar dalli?

Es gibt keines, verrät die freundliche Dame in der Vergiftungszentrale mit beruhigender Telefonstimme, und tatsächlich sei Solanin ein Stoff, den man nicht unterschätzen möge. Andererseits müsse man schon einen ganzen unreifen Auberginenacker abgrasen, um in die Grube zu sinken. Man möge sich also beruhigen, solle aber vorsichtshalber reichliche Mengen Wassers zu sich nehmen, so mindestens drei, vier Liter.

Tatsächlich enthalten unreife Paradeiser und Erdäpfel - die im Übrigen wie auch die Melanzani der berüchtigten Familie der Nachtschattengewächse angehören - wesentlich höhere Mengen selbigen Stoffes. Früher waren Solanin-Vergiftungen weitaus häufiger als dieser Tage, weil das viele Menschen nicht wussten, und auch, weil etwa ältere Erdäpfelsorten ganz einfach noch mehr Solanin produzierten. "Schweren Magen" nannten das unsere Ahnen. Die hatten noch kein Internet, weswegen sie in solchen Momenten wahrscheinlich auch weniger zur Hysterie neigten. Allerdings sind Todesfälle doch belegt. Etwa von Kindern, die Erdäpfelbeeren gegessen haben. Also: aufpassen! (Ute Woltron/Der Standard/rondo/13/07/2007)