Ein gefangener Eishai kopfüber an der Leine der Forschung. Der riesige Raubfisch verblüffte die Wissenschaft zuletzt mit Sichtungen im Golf von Mexiko.

Foto: Gregory Skomal
Oslo - Steile Berghänge, schneebedeckte Gipfel und blau-kaltes, kristallklares Meerwasser. Das sind Norwegens Fjorde. Dass die sagenumwobene Landschaft Trolle und Gnome beherbergt, könnte man vielleicht glauben - aber Haie? Und doch sind die manchmal mehr als 1000 Meter tiefen Meeresarme Jagdgebiet eines Raubtiers, welches dem gefürchteten Weißen Hai in Länge und Gewicht ebenbürtig ist.

Somniosus Microcephalus lautet sein Name im Fachjargon der Biologen - auf Deutsch Eishai oder auch Grönlandhai genannt. Diese bulligen Knorpelfische aus der Familie der Dornhaie erreichen Längen jenseits der Sieben-Meter-Marke. Auf ihrem Speiseplan stehen vor allem Fische und Robben.

Eishaie sind nicht wirklich selten. Sie bewohnen sämtliche Meeresgebiete zwischen den kanadischen Arktis-Inseln im Westen und dem russischen Nowaja Semlja im Osten. Im Nordpazifik und den antarktischen Meeren leben die nah verwandten Eishai-Arten S. Pacificus und S. Antarcticus.

Doch weil sich die Leviathane meist in finsteren Tiefen von mehr als 200 Metern aufhalten, geben sie der Wissenschaft eine Menge Fragen auf. So hielt man die Tiere lange Zeit für träge, am Boden herumlungernde Aasfresser - und irrte.

Raffinierter Jäger

Neue Untersuchungen attestieren ihnen ein komplexes Jagdverhalten. Mit Radiosendern markierte Eishaie pendelten systematisch zwischen verschiedenen Wassertiefen, wohl auf der Suche nach Fischschwärmen. Noch faszinierender ist eine Studie der beiden US-Forscher Greg Skomal und George Benz: Sie fingen Haie durch Löcher im Polareis und ließen sie mit Ultraschallsendern versehen wieder schwimmen. Zu ihrem Erstaunen konnten die Experten verfolgen, wie einige Exemplare in den oberen Wasserschichten blieben und immer wieder bis knapp unter der Eisdecke aufstiegen.

Skomal und Benz vermuten, dass sich die Raubfische an Atemlöcher von Ringelrobben heranpirschen. Ein aktueller Bericht über Mageninhaltsuntersuchungen bestätigt die Bedeutung von Meeressäugern als Eishai-Beute (Yano et al., "Journal of Fish Biology", Band 70, S. 374-390).

Besondere Aufmerksamkeit erregte auch die Videoaufnahme eines Tauchroboters im westlichen Golf von Mexiko. Das Vehikel filmte einen Eishai am Fuße einer Bohrinsel - in 2.647 Meter Tiefe und tausende Seemeilen vom Polarmeer entfernt!

Dies war allerdings nicht der erste Somniosus, der weit von zu Hause gesichtet wurde. Von der Ostküste der USA liegen mehrere Meldungen vor, und zwei Exemplare gingen Fischern in der Nähe der Kanarischen Inseln ins Netz. Sind Eishaie womöglich eine weltweit verbreitete Spezies, die sich sowohl in polaren Gewässern wie in der kalten Tiefsee wohlfühlt?

"Das ist durchaus möglich", meint George Benz gegenüber dem STANDARD. "Wir müssen untersuchen, inwiefern die (drei) bisher beschriebenen Arten tatsächlich verschieden sind".

Wie alter Camembert

Obwohl Eishaie in der Mythologie der Inuit als bedrohlich dargestellt werden, sind Angriffe auf Menschen bisher nicht belegt. Am gefährlichsten sind die Tiere wohl auf dem Teller. Ihr Fleisch ist in rohem Zustand nämlich giftig. In Island lässt man es deshalb fermentieren und anschließend trocknen. Es schmeckt dann stark nach Ammoniak. "Irgendwie vergleichbar mit altem Camembert", erklärt der Fischereibiologe Jonbjorn Palsson.

Ein Exportschlager wird wohl nie daraus. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15. 7. 2007)