Jan Fabre (ganz vorn) und seine Kompanie (am Schoß die damalige Lebensgefährtin und Muse Els Deceukelier), wie sie Helmut Newton sah: Das Bild stammt aus dem Jahr 1987, ab 27. Juli ist es im Rahmen der Fabre-Ausstellung "Die verliehene Zeit" im Salzburger Rupertinum zu sehen. Die Salzburger Galerie Mauroner zeigt flankierend ab 26. Juli Fabres Denkmodelle und Bic-Zeichnungen.

Foto: Helmut Newton

150.000 Schnittblumen werden bei Jan Fabres "Requiem für eine Metamorphose" die Bühne der Salzburger Felsenreitschule bedecken. Ab 26. August

Foto: Filip Van Roe
Ein Vorabbesuch in seiner Heimatstadt.
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Jemanden wie ihn kann man sich wunderbar als Bauarbeiter vorstellen: kariertes Hemd, grobe Hände. Die gebratenen Hühnerstücke, die vor ihm auf dem Teller liegen, zerschneidet er mit kraftvollen Messerschnitten in kleine Stücke. "Ich bin ein zeitgenössischer Mystiker", sagt er und beißt in das zähe Fleisch hinein. Jan Fabre ist kein Mann der bescheidenen Worte – ein Täter, weniger ein Denker.

Wir sind in der Pastorijstraat 23 in Antwerpen. Unweit des berühmten Diamantenviertels der Stadt – eine heruntergekommene Gegend. Hier hat die Stadt vor einigen Jahren Fabre und seiner Kompanie ein altes Varietetheater überlassen. "Troubleyn" heißt das mittlerweile renovierte Laboratorium, nach dem Mädchennamen von Fabres Mutter. Sie ist vor zwei Jahren gestorben, einige Monate nach dem Tod ihres Mannes, Fabres Vater. Ihnen beiden ist das neueste Werk des Künstlers gewidmet, das "Requiem für eine Metamorphose", eine Totenmesse in Fabre-Art. In Salzburg wird es im monumentalen Rahmen der Felsenreitschule uraufgeführt. 150.000 Blumen werden die Bühne bedecken.

Jetzt, zwei Monate vorher, probt man auf der Troubleyn-Bühne gerade einen Trauerzug. Eine Visagistin beschreibt die Kunst, wie man einen Toten das letzte Mal auf lebendig schminkt. Ein Schmetterling tanzt über die Bühne. Die Trauernden verwandeln sich in Bienen und Käfer. Sie summen und grummeln, bis Fabres kräftige Stimme sie vom Balkon aus unterbricht. "Der Künstler ist einer der letzten Diktatoren", hatte Fabre zuvor gesagt – und sein Kopf ist sein Schlachtfeld.

Maximal zwei Stunden hat Fabre in den vergangenen Nächten geschlafen. Am Abend zuvor ist er erst von der Biennale in Venedig zurückgekehrt. Dort ist ihm eine ganze Ausstellung gewidmet: "Anthropology of a Planet" im Palazzo Benzon. Im Louvre wird es Ende März eine Fabre-Ausstellung geben.

Zwei Stunden, in denen sein Kopf keine Szenen entwirft und seine Hand nicht wie wild Skizzen macht. An Schlaflosigkeit, an "Insomnia" leide er, sagt Fabre, und das schon seit Jahrzehnten: "Ich bin immer nervös." Als er letztens zehn Tage in Marokko auf Urlaub war, habe er ununterbrochen gearbeitet. Jan Fabre gehört zu einer aussterbenden Spezies. Universalkünstler hat man sie genannt – in Ermangelung eines treffenderen Wortes. Er zeichnet und er performt, er dirigiert (seine Kompanie) und er redigiert (seine mittlerweile unter anderer Herausgeberschaft erscheinende Zeitschrift "Janus"). Ein Grenzüberschreiter, einer, für den es keine Schublade gibt. Das war von Anfang an so. Weswegen er schon früh das Etikett vom "Avantgardisten" auf die Stirn geklebt bekam. Dabei ist Fabre in vielen seiner Positionen so traditionell wie kaum jemand sonst. Der Künstler als Genie, Erregung inklusive.

Als er 2001 in Avignon maßgeblich das Sommerfestival mitgestaltete, flüchteten die Besucher scharenweise. Eine Autopsie des mittelalterlichen Körpers hatte Fabre in "Je suis sang" angeordnet, und was da zum Vorschein kam, gefiel nicht allen. Folterinstrumente wurden gezückt, Körperflüssigkeiten sprudelten, Körper verrenkten sich. Nicht die Handlung konstituiert Fabres Theater, nicht das Wort und nicht die Figurenzeichnung, es sind die Bilder, die Fabre wie ein Komponist dirigiert. Ein Schreckgespenst des klassischen Theaters.

Genau auf jenes hatte es auch schon der junge Fabre abgesehen, der Anfang der 80er-Jahre wie ein Messias aus der belgischen Einöde auftauchte – gemeinsam mit Künstlern wie Anne Teresa De Keersmaeker, Jan Lauwers, Wim Vandekeybus oder William Forsythe. "Das ist Theater, wie es zu erwarten und vorauszusehen war" hieß eines von Fabres ersten Stücken, aber natürlich war genau das Gegenteil der Fall. In einem Museum stellte er sich unter eine Glasglocke, ein anderes Mal verbrannte er das Eintrittsgeld, das die Zuschauer gerade eben erst bezahlt hatten. Es ging ihm um den Dialog der Künste und um eine Hinterfragung ihres Grundvokabulars. Und immer begleiteten Zeichnungen sein Schaffen, meistens ausgeführt mit blauen Bic-Kugelschreibern. Sie wurden über die Jahre hinweg zu Fabres Trademark.

Zeichnen ist für mich wie Schreiben, und Schreiben wie Zeichnen", sagt er auch heute noch. Mittlerweile haben Fabre und seine international zusammengesetzte Kompanie ihr Abendessen beendet. Eine Stunde haben sie noch, bis die Abendprobe um halb acht beginnt. Nach dem Morgentraining und der Nachmittagsprobe ist das bereits die dritte Probeneinheit des Tages. Manche schlafen hier im Troubleyn. "Ich arbeite immer", sagt Fabre, "ob allein oder in der Gruppe." Die Aufführung selbst ist ein Gemeinschaftsprodukt. Wochenlang wird improvisiert, daraus siebt Fabre das, was er schlussendlich gebrauchen kann. Diesmal, erklärt Dramaturg Luk Van den Dries, arbeite Fabre mit einem von ihm verfassten Text.

Das Ganze ist wie ein Requiem in acht Teile gegliedert. Sie beschreiben die einzelnen Schritte einer Metamorphose eines Schmetterlings, der Hauptfigur der Performance. Fabre ist auch diesmal wieder bei seinen Lieblingstieren gelandet. Der Käferforscher hat sich Flügel umgebunden. Fabre – der Bic- und Insektenkünstler. Das sind die beiden Labels, die ihm anhängen.

Fabres Meisterstück als Insektenerforscher ist der Spiegelsaal des königlichen Palastes in Brüssel. Ihn dekorierte er vor vier Jahren mit 1,5 Millionen Insektenpanzern aus Chitin. "Menschen ", sagt er, "haben schon immer die Strategien von Insekten kopiert." In beinahe allen seinen Bühnenstücken kommen sie vor, als Metaphern und Symbole, auch in vielen Kunstwerken arbeitet er mit ihnen – anderntags in einem Depot am Stadtrand von Antwerpen. Hier lagern viele von Fabres Arbeiten, am Eingang steht eine Käfer-Büste.

Im hinteren Raum haben Mitarbeiter einige der berühmten "Denkmodelle" aufgebaut, die während der Festspielzeit in der Galerie Mauroner und im Rupertinum ausgestellt werden – gemeinsam mit einer Reihe von anderen Kunstwerken Fabres. Sie sind eine Art Puppentheater, in Miniaturformat kondensierte Bühnenbilder bzw. Arbeiten im White Cube: ein mit Dollarnoten ausgekleideterer Raum, darin ein Männchen aus Münzen, oder ein "Cabinet Entomologique" samt Insektenbüchern und Käfern in Gläsern. Gelegenheitsarbeiten, ausgeheckt und ausgeführt, als Jan Fabre wieder einmal nicht schlafen konnte. (Stephan Hilpold, ALBUM/DER STANDARD/Printausgabe, 14./15.07.2007)