Daniel Millers über Erstkontakte mit ...

FAD GADGET: Frank Tovey alias Fad Gadget war der erste Mute-Act. Wegen ihm wurde Mute ein Label. Savage Pencil, ein Londoner Journalist, spielte mir Demos von ihm vor, und diese waren großartig. Frank war mir sehr ähnlich. Depeche Mode haben bei ihm im Vorprogramm gespielt. Kurz vor seinem Tod 2002 war es dann umgekehrt.

DEPECHE MODE: Ich hab sie zum ersten Mal in einem kleinen Pub, dem Bridge House in East-London gesehen, vor Fad Gadget. Ich war sofort beeindruckt. Eine Woche später hab ich sie wieder gesehen, mit ihnen gesprochen und gesagt: Lasst uns eine Single machen. Das war's dann.

CRIME AND THE CITY SOLUTION: Als The Birthday Party zerbrach, wurde daraus Nick Cave And The Bad Seeds und Crime And The City Solution. Ich mochte beide, es waren trotz aller Probleme angenehme Menschen. Sänger Simon Bonney ist heute Anwalt in Australien ...

THE BIRTHDAY PARTY: Die kamen auf Empfehlung ihres australischen Labels Missing Link nach London, und ich dachte, die sind fantastisch. Sie haben bei mir am Boden geschlafen, ich war pleite und hab für alles bezahlt, konnte mir damals aber nicht vorstellen, eine Band aus Australien zu unterstützen - aber schließlich hat es sich doch ergeben.

WIRE: Ich war ein großer Fan von Wire und sie waren große Fans von Mute. Als wir uns trafen, war das deshalb ein wenig peinlich. Also nahmen wir ein paar Drinks und wurden enge Freunde - und sind es bis heute geblieben. (flu)

Foto: Mute
Karl Fluch sprach mit ihm über öde Rockbands und lustige Weihnachtspartys.


Das vor allem für seine Pionierarbeit im elektronischen Pop bekannte britische Label Mute Records öffnet seine Archive und beleuchtet auf "Mute Audio Documents", die erst einmal vier Doppel-CDs umfassen, die Jahre 1978 bis 1984. Darauf befinden sich rare Singles und B-Seiten in chronologischer Reihenfolge. Weitere sollen folgen.

Labelgründer Daniel Miller hat Mute, bei dem Künstler wie Depeche Mode, Nick Cave And The Bad Seeds, Moby und viele andere veröffentlichen, im Vorjahr um kolportierte 30 Millionen Euro an EMI verkauft. Wer auf Mute veröffentlicht, bestimmt immer noch Miller, der mit der Electro-Punk-Band The Normal und Stücken wie T.V.O.D. und dem unter anderem von Grace Jones gecoverten "Warm Leatherette" auch als Künstler Musikgeschichte geschrieben hat.


STANDARD: Welche Gefühle überkamen Sie beim Zusammenstellen der "Documents"?

Miller: Man kommt nicht daran vorbei, sich sehr emotionell an verschiedene Dinge zu erinnern. Für mich ist das nicht nur Musik. Für mich wurden dabei Diskussionen, Streite, herrliche Nächte, Gespräche über Drum-Sounds wieder lebendig. Es ist ein sehr emotionaler Katalog für mich.

STANDARD: Mute ist eine Erfolgsstory. Wie haben Sie Bands ausgesucht und was waren Ihre größten Irrtümer?

Miller: Ich habe viele Bands abgelehnt, die ich einfach nicht mochte. Dann gab es welche, die mochte ich zwar, es war mir aber aus gewissen Gründen nicht möglich, mich ihnen zu widmen: Nine Inch Nails etwa. Außerdem hatten wir längst ähnlich klingende Bands mit Nitzer Ebb oder Laibach. Es gab nicht viele, die ich wollte und nicht bekam. Ich bin wohl ein Glückskind! Prinzipiell suche ich Künstler instinktiv aus. Eine Band muss mich emotionell ansprechen. Dann trifft man sich und klärt ab, ob man zusammen arbeiten kann. Das ist wirklich wichtig. Wenn es kein Einvernehmen darüber gibt, wohin man gemeinsam will, lass ich die Finger davon. Das gibt nur Probleme. Das bedeutet nicht, dass man immer neue beste Freunde sucht, aber es muss ein gemeinsames Verständnis über die Ziele und die Möglichkeiten geben. Ich will Platten nicht aus rein kommerziellen Gründen veröffentlichen. Das liegt mir nicht. Ich will etwas spüren.

STANDARD: Sie sind berühmt für Ihre Handshake-Deals, die für Label und Künstler wunderbar funktionieren. Warum ist die Musikindustrie dann in dem Zustand, in dem sie ist?

Miller: Ich habe keine Ahnung. Über die Musikindustrie als Ganzes zu sprechen, ist schwierig, und ich versuche, mir darüber auch nicht den Kopf zu sehr zu zerbrechen. Unglücklicherweise haben wir bei Mute aufgehört mit den Handshake-Deals. Ein paar existieren noch, und das freut mich sehr. Nick Cave oder Erasure zählen dazu. Das Problem sind die Manager und die Anwälte. Wenn du eine tolle Beziehung zu deinem Künstler hast, reicht ein Handschlag aus. Davon wollen Manager und Anwälte nichts wissen, aber davon bin ich immer noch überzeugt. Vielleicht bin ich ja nur naiv, aber Künstler waren vor 20 Jahren auch nicht smarter als heute - nur haben sie damals mehr Geld verdient, zumindest bei mir. Auch Depeche Mode hatten viele Jahre keinen Vertrag mit mir, und beide Seiten waren damit sehr happy.

STANDARD: Gibt es die legendäre Mute-Christmas-Party noch? Da soll einst Nick Cave mit Depeche Mode gemeinsam Rock'n'Roll-Songs auf der Akustischen gespielt haben ...

Miller: Oh! Da war ich nicht dabei, aber es klingt gut. Ja, es gibt diese Christmas-Party. Wie gut besucht sie ist, hängt immer davon ab, wie gut unser Jahr war. Ich habe gerne so viele meiner Künstler um mich wie nur möglich. Wir haben kürzlich ein neues Büro bezogen. Da gab es eine große Reunion-Party mit sehr vielen Leute, hat Spaß gemacht.

STANDARD: Mute hatte nie typische Rockbands. Warum nicht?

Miller: Hm, nun wir hatten die Inspiral Carpets, aber es stimmt, das war eher eine Ausnahme. Es gab die Birthday Party, die vom Line-Up her traditionell war, aber die Musik war anders ... Was mich abgehalten hat, ist, dass 99 Prozent aller Rockbands nur die Vergangenheit wiederholen. Das ist okay, aber hat mich nie interessiert. Mich interessiert das eine Prozent, das etwas anderes versucht.

STANDARD: Die "Mute Audio Documents" klingen sehr modern, obwohl die Sachen 25, 30 Jahre alt sind. Was sagt das über zeitgenössische Popmusik?

Miller: Dass wir entweder 25 Jahre voraus oder hintennach sind ... Im Ernst: Die Zeit nach Punk war einfach extrem kreativ. Das schwingt nach. Es ist heute zwar einfach, alt zu klingen. Dazu gibt es die Technologie. Und es machen es sich sehr viele sehr einfach. Schwieriger ist originell und originär zu klingen. Da krankt es.

STANDARD: Warum eigentlich der Name Mute? Waren Sie dafür nicht immer zu laut?

Miller : Das stimmt, das macht eigentlich keinen Sinn. Ich mochte das Wort aber schon, als ich noch Filme geschnitten habe. Und vielleicht ist es gerade der Widerspruch darin, der so gut zum Label passt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.7.2007)