"Dahero, wenn Eheleute dieses Gewächs fleißig essen, sollen sie lauter Knaben zeugen."

Foto: Heribert Corn

Zuerst zu den nüchternen Details: Das, was Sie genüsslich in allerlei Saucen tunken und daraufhin abzuzeln oder als "Artischockenherzen" (meist praktischerweise in Dosen gezüchtet) als Vierjahreszeitenpizzabelag verspeisen, sind die Blütenknospen einer Riesendistelart.

Die Artischocke gehört zur großen Familie der Korbblütengewächse, ist eine mehrjährige Staude und stammt aus dem Mittelmeerraum. Sie schätzt Sonne und Wärme, verabscheut Fröste und muss deshalb vor kalten Wintern geschützt, also sehr gut eingepackt werden. Und egal, ob sie Ihnen nun schmeckt oder nicht: Jeder, der den einen oder anderen Quadratmeter in seinem Garten noch frei hat, sollte sofort Artischocken anbauen.

Riesige, prachtvolle Pflanzen werden dort entstehen, die ab ihrem zweiten Jahr, so ab Juli, zu sensationellen Blütenorgien ansetzen. Meistens blühen sie sogar schon im ersten Jahr, dann allerdings erst später und mickriger. Vorschlag: Ernten Sie die Knospen im ersten Jahr und essen Sie sie. Wie man das am besten tut, können Sie beim Kollegen auf der nächsten Seite genau studieren.

Prächtige Skulpturen

Im nächsten Jahr dürfen Sie dann ruhig weiteressen und auch gleich ein paar Freunde dazu einladen, denn bei warmer Witterung und völlig unaufwändiger Pflege stehen dutzende Blütenköpfe zur Ernte an. Aber lassen Sie auf jeden Fall ein paar davon stehen, denn die aufgeblühte Artischocke ist schlichtweg nur als Sensation zu bezeichnen: Riesige, wunderschöne, blaue Blüten, die sich auch in der Vase viele Tage lang wie prächtige Skulpturen machen.

Außerdem, wie gesagt, wird die Ernte allein sowieso nicht zu deressen sein - außer Sie wollen einen Selbstversuch wagen: Denn der Artischocke werden traditionell, und zwar seit quasi undenklichen Zeiten, allerlei - nun - aufregende physische Kraftverstärkungen zugeschrieben.

In der Österreichischen Nationalbibliothek kann man das zum Beispiel im kostbaren Originalmanuskript des "New Kreuterbuchs" nachlesen. Erstmals erschienen 1543 schreibt dessen als "Vater der Botanik" bekannter Verfasser Leonhart Fuchs (1501-1566) in Kapitel Numero 308 ein wenig scheu: "Die Welschen bereiten auch die obersten Köpflein, wenn sie noch jung sind, zur Speise, zu machen Lust und Begierde zu ehelichen Werken."

Erfolgreicher Frauenheld

Klingt nicht schlecht, was? Die der "Welschen Distel" angeblich innewohnenden Kräfte wurden unter anderem auch von Johann Heinrich Zedler im "Grossen Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste" von 1732 beschrieben, allerdings auf eine heutzutage nur als sexistisch zu bezeichnende Art, den darinnen heißt es abschließend: "Dahero, wenn Eheleute dieses Gewächs fleißig essen, sollen sie lauter Knaben zeugen." Nun denn. Wollen wir das?

Aber das Köpflein des damals noch als "Strobildorn" bekannten Gewächses kann laut Fuchs, dem älteren Kräutermann, noch weit mehr: "Die Wurzel des Strobildorn in Wein gekocht und getrunken, vertreibt den bösen Geschmack des ganzen Leibs. Das selbe tut sie auch, wenn sie grün zerstoßen und aufgelegt wird. Gekocht wie oben gesagt und getrunken treibt sie kräftig den stinkenden Harn aus. Die Blätter, solang sie noch zart und jung sind, werden wie Spargel und ähnliche Kochkräuter gegessen. Die Wurzel zerstoßen und aufgestrichen heilt die Räude und Flechte."

Es hat den Anschein, als ob Johann Wolfgang von Goethe, dem ja der ewige Ruf des erfolgreichen Frauenhelden nacheilt, sich eher auf die lustvolleren Qualitäten der Superdistel verließ. Er zog sie vorsorglich im eigenen Garten und beglückte manch Freundin mit deren Blütengaben. Eines der Briefchen, die er mit ins Artischockenkörbchen legte, ist überliefert: "Gegen Früchte aller Arten/ Saftig-süßen, schmacklich-zarten/aus gepflegtestem Revier/send ich starre Disteln dir/Diese Distel, laß sie gelten/(Ich vermag sie nicht zu schelten/Die, was uns am besten schmeckt/in dem Busen tief versteckt)." (Ute Woltron/Der Standard/rondo/20/07/2007)