Gestikulieren, argumentieren und überzeugen wie Cicero – Byzanzforscher Christian Gastgeber bei seinem "Crash-Kurs Rhetorik" für Kinder, zwecks des Rumkriegens sturer Eltern.

Foto: DER STANDARD/Gradnitzer
"Was kannst du mit antiker Sprachkunst erreichen?" Ein "Kinderuni"-Vortrag sollte redefreudige Schüler mit rhetorischem Rüstzeug des alten Griechenlands ausstatten - für überzeugende Ausreden und erfolgreiches Überreden. Der STANDARD war dabei.

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Inventio, dispositio, elocutio, memoria und actio - Stoff finden, ihn gliedern, stilisieren, auswendig lernen und präsentieren. Die fünf Stationen eines rhetorisch gelungenen Vortrags gehen auf Aristoteles und Cicero zurück. Sie formulierten erstmals ein Regelwerk für die Kunst der überzeugenden Rede. Richtlinien aus der Antike, die auch manch ein Politiker oder Unternehmer in der Gegenwart gelernt haben dürfte.

Wie man sie einsetzt, um ein zweites Eis oder eine Taschengelderhöhung zu bekommen, war Thema eines Vortrags von Christian Gastgeber vom Institut für Byzanzforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er sprach im Rahmen der fünften "Kinderuni" am Wiener Campus über die Macht antiker Redekunst. Die unter anderem vom Wissenschaftsministerium geförderte "Kinderuni" bot von 7. bis 21. Juli insgesamt 389 Lehrveranstaltungen für Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren an.

"Rhetorik ist gut, aber gefährlich. Sie kann jemanden auch zu einem schlechten Standpunkt überzeugen", leitet Gastgeber sein Seminar ein, das sich zu einem Dialog mit den mit den zehn- bis zwölfjährigen Schülern entwickelte. Die erste Assoziation der Kinder zu diesem Statement kommt prompt: "Politiker im Wahlkampf". Um selbst diese rhetorischen Tricks durchschauen zu können, gibt ihnen Gastgeber einen "Crashkurs in Rhetorik".

Dass bei der Gliederung eines Referats, die "vier W-Fragen" (wo, wann, wie, weshalb) in die Einleitung gehören, wissen die Schüler, aber noch nicht, dass diese auf Cicero zurückgehen. Neben der Theorie, sorgen antike Gepflogenheiten für das Interesse und Amüsement, so etwa als Gastgeber die typischen Fingerhaltungen imitiert, die zur Betonung des Gesprochenen eingesetzt wurden, heute aber mehr an ein Rockkonzert, als an einen Vortrag erinnern.

In der Antike war Rhetorik fest im Wissenschaftsbetrieb verankert. Das Blatt hat sich gewendet, Rhetorik sei heute "miserabel schlecht" eingegliedert, erklärt Gastgeber dem Standard. Das habe Folgen für die Wissenschaftsvermittlung: "Es geht darum, nicht nur das Fachpublikum anzusprechen, das ja ohnehin interessiert ist, sondern, die noch nicht Eingeweihten." Wenn heute Rhetorik als Wissenschaft behandelt werde, sei sie zu sehr theoretisiert, aber ohne Praxisbezug. Dieser Entwicklung gegensteuern wollte er mit seinem Seminar, das nach theoretischer Einleitung in eine Bandbreite von Übungen und Beispielen überging.

Als die zu beachtenden Kriterien einer guten Rede: "Sprachrichtigkeit, Klarheit, Angemessenheit und Redeschmuck" besprochen sind, fordert Gastgeber die Schüler auf, ihn, einen strengen Vater spielend, mit diesem Handwerkszeug zu einer Taschengelderhöhung zu überreden.

Schmuck der Rede

Einen der Punkte scheinen die jungen Teilnehmer bereits perfekt intus zu haben: Redeschmuck. Mit Vergleichen, Beispielen und Beweismaterial rücken sie gegen die imaginierten, sturen Eltern an. Zwecks Evidenz schlägt ein Mädchen, die Vorlage eines Zeitungsartikels vor, dessen Titel sie sich so vorstellt: "Kinder, die mehr Taschengeld bekommen, können später besser mit Geld umgehen."

Auch Klassiker der Ausreden wie "Bitte, bitte, bitte" plus Schmollmund oder "ich mag dann auch zum Geburtstag und zu Weihnachten nichts mehr", werden nach antiker Tradition auf ihr Potenzial überprüft. Gastgeber, ganz auf der Seite der Kinder, rät ihnen, viel Pathos in die Rede zu packen und am Ende ihres Drängens die Argumente nochmals zusammenzufassen.

Dass Rhetorik eine empirische Wissenschaft ist, erkennen die Schüler bald: "Man kennt die Gegenargumente der Eltern und muss sich auf diese vorbereiten", wissen sie aus Erfahrung.

Außerdem rät ein Schüler, die gleiche Überredungsmethode oder Ausrede erst anzuwenden, wenn die Eltern sie bereits wieder vergessen haben um dann noch mal "voll reinzustarten".

Der Vortragende zeigte sich beeindruckt: "Phänomenal, wie die Kinder Argumente gebracht haben, an die ich nie gedacht hätte." Er hofft, seine Zuhörer für die Macht der gezielt eingesetzten Sprache sensibilisiert zu haben.

Die Diskussion gestaltete sich zu einem Austausch der besten Tipps, die Eltern rumzukriegen und Gegenargumente zur Anschaffung eines Hundes aus der Welt zu räumen. Nun, den Rücken durch Cicero und Aristoteles gestärkt, bewaffnet mit Gestik und Stimmvariation, kann vielleicht der eine oder andere Vierbeiner erbettelt werden. (Julia Grillmayr/DER STANDARD, Printausgabe, 25. Juli 2007)