Am Obelisk im Wiener Schwarzenbergpark befindet sich eines der wenigen Schriftzüge, mit denen sich Joseph Kyselak verewigte

Foto: STANDARD/ Christian Fischer
Er gilt als ein Urvaters der modernen Graffiti - Ein Forscherteam versucht den legendären Kritzler näher zu beleuchten - Von Karin Krichmayr

***

Wien - "Wer hat ihn nicht gekannt, den sonderbaren Kauz, der alle Felsenwände für Stammbuchblätter hielt und seinen Namen darauf schrieb, und wären die Felsen so hoch und steil gewesen wie drei Stephansthürme aufeinandergestellt", schrieb Adolf Bäuerle im Jahr 1855 im Wiener Conversationsblatt über Joseph Kyselak. So bekannt war der 1799 geborene und 1831 der Cholera erlegene Wiener, dass er sogar einen Eintrag in Constant von Wurzbachs "Biographisches Lexikon des Kaiser-thums Oesterreich" bekam - allerdings unter dem Stichwort "Sonderling".

Kritzeln in Schwindel erregenden Höhen

Diesen Status erlangte Kyselak durch die Manier, sich auf allen möglichen und unmöglichen Stellen in den weiten Gefilden der österreichisch-ungarischen Monarchie namentlich zu verewigen. Und zwar mit System: Ausgestattet mit Schablone, Meißel und einer besonders haltbaren schwarzen Ölfarbe begab er sich in meist Schwindel erregende Höhen und ritzte auf Wänden, Felsen, Kirchtürmen, Burgen und Ruinen, weithin sichtbar, den Schriftzug "Kyselak", meist versehen mit einem "i." davor, in den Stein. - Kein Wunder, dass der reiselustige Beamte heute in der Graffiti-Szene als Urvater der "Tagger" gefeiert wird, die mit ihren Namenszügen und Logos graue Großstadtmauern individualisieren - wenn auch meist um einiges unkenntlicher als Kyselak es getan hat.

Folgenreiche Wette

Begonnen hat alles angeblich mit einer Wette, bei der der "Registratur-Accessist" der Wiener Hofkammer behauptete, er könne seinen Namen innerhalb von drei Jahren in der ganzen Monarchie bekannt machen, "ohne ein ungeheures Verbrechen oder eine neue Art des Selbstmordes" zu begehen - doch das ist nur eine von vielen Legenden. Was geblieben ist, sind einige wenige erhaltene Exemplare der biedermeierlichen Graffiti-Inschriften, so etwa auf einem Obelisk im Wiener Schwarzenbergpark, auf dem Kirchturm im niederösterreichischen Kilb und auf einer Felswand bei Rothenhof in der Wachau.

Kyselaks Marotte

Doch es gibt noch mehr bisher unentdeckte Zeugnisse von Kyselaks Marotte, wie ein Forscherteam in den letzten Wochen herausfand. Die Kunsthistorikerin Gabriele Goffriller und der Filmemacher Chico Klein folgen seit Juni den Spuren Kyselaks, der sich ab dem Jahr 1825 immer wieder auf ausgedehnte Fußmärsche durch ganz Österreich und die angrenzenden Kronländer begab. Dabei folgen sie der Route, die Kyselak, der unter Bergsteigern für seine alpinistischen Leistung bekannt ist, in seinen Reiseberichten beschrieb. "Wir sind schon auf etliche unbekannte Signaturen gestoßen", schildert Goffriller, der für jeden Hinweis dankbar ist.

Rätselhafte Figur

Die akribischen Recherchen sowie die Informationen von eingefleischten "Kyselakisten" wollen Klein und Goffriller in einem Film und einem Buch dokumentieren; die 1829 erschienenen "Skizzen einer Fußreise" sollen neu aufgelegt werden. "Wir versuchen, diese rätselhafte Figur näher zu umreißen", erklärt Goffriller in Anspielung auf die spärlichen Fakten zu Kyselaks Leben, das durch ruhmreiche Mythen ausgeschmückt wurde.

Der Kaiser als Opfer

Wie etwa die Legende, die von einer Audienz Kyselkas bei Kaiser Franz I. erzählt: Nachdem er den renitenten Beamten ob seiner Angewohnheit verwarnt und dann entlassen hatte, fand er auf seiner Schreibunterlage - den bekannten Namenszug. "Die Signatur war so geläufig, dass sie in einigen Landschaftsmalereien der Biedermeierzeit eingearbeitet wurde", weiß Goffriller, die Kyselak am liebsten eine Wanderausstellung sowie einen Gedenkort in Wien widmen möchte. (Karin Krichmayr/DER STANDARD Printausgabe 26.7.2007)