Bild nicht mehr verfügbar.

Sängerin Joan Baez und Hippies im Sommer 1967 in Haight Ashbury, San Francisco.

Montage: Der Standard/Foto: AP
Jetzt also ist der Ernstfall eingetreten. Das, wovor ein jeder sich insgeheim gefürchtet hat. Dass die Alten damals doch Recht gehabt haben könnten mit ihrer Mahnung: „Ihr werdet schon noch schauen!“ Und jetzt schauen sie, die Hippies, alt geworden und zu jenem Modegag verkommen, der sie natürlich von Anfang an auch waren.

Was immer man den Hippies vorwerfen mochte und weiterhin mag: Der präzise Blick in die eigene Zukunft gehört nicht dazu. Aber jener in die Vergangenheit auch nicht. Und das war es wahrscheinlich, was die Bewegung so geil machte. Die langhaarigen Buben und die mit bodenlangen, weit wallenden Säcken ummantelten Mädchen waren mit Haut und Haaren Gegenwart. Mehr noch: Sie waren überzeugt davon, dass sie diese Gegenwart auch erfunden hätten. Viele verwechselten das – zu Recht oder nicht zu Recht – mit Buddhismus.

Lucy in the Sky

So richtig begann die Sache um die Mitte der Sechzigerjahre, kulminierte zum kalifornischen „Summer of love“, der sich als großes PR-Instrument erwies, sodass sich, getragen von der Musik von den Grateful Dead und den Doors, die Angelegenheit bald bis nach Europa durchsprach.

All you need is love einerseits. Andererseits aber galt vor allem: Lucy in the Sky with Diamonds. Verantwortungsbewusst geworden, scheut man sich, es hinzuschreiben. Aber die Sache mit dem Koma ist so neu nicht. Und man sollte nicht so tun, als wären die Beatles nur nett gewesen.

Und auch die Hippies lassen sich keineswegs auf ihren fraglos auffälligen Charakter des naiven Bürgerschrecks reduzieren. Was die Blumenkinder wollten, war von ziemlicher Radikalität, die alles umfassen sollte. Das ganze Leben. Dass sie dabei Vorbildern folgten – den Leuten, die am Anfang des Jahrhunderts den schweizerischen Monte Verità bevölkerten etwa – ignorierten sie mit der Selbstgewissheit von eben Bekehrten. Auch in Deutschland und in Österreich explodierten die Auflagezahlen von Hermann Hesse. Nur wenigen aber war bewusst, durch Hesse ein gemeinsames Thema mit den Eltern zu haben. Denn auch die Nazis hatten sich aus Hesse ihren Teil herausgelesen.

Es wäre hochinteressant gewesen, über den „Steppenwolf“ eine generationenübergreifende Debatte abzuhalten. Aber das wäre wohl nur möglich gewesen, wenn der Sohn sich die Haare geschnitten und die Tochter den bunten Sack abgelegt hätte. Und beide eine andere Musik gehört hätten. Und keine Drogen genommen hätten. Und vom Leben mehr erwartet hätten als dieses „Friede, Freiheit, Eierkuchen“, von dem in einem fort die Rede war, wenn der Joint die Runde machte.

Das alles – oder auch nur eines davon – wäre aber jener Schritt gewesen, der einen zum Spießer macht. Dass man der längst schon war, wurde erst im Lauf der Zeit spürbar, als die Generation sich, so wie jede vor ihr, aufzudröseln begann. Als ein jeder vor der Notwendigkeit stand, aus dem Gefühl – „feeling“ und „vibrations“ waren die Codeworte – allmählich eine Haltung zu entwickeln, war der Zauber mit einem Schlag vorbei. Mehr als alle anderen Teile der – ja – Jugendrevolte der späten Sechziger und, hierzulande, frühen Siebziger litten die Hippies unterm Zwang zur Jugendlichkeit. Die politisch Engagierten konnten sich in den K-Gruppen zerfleischen oder Grüne werden. Die Hippies wurden bloß alt. Ihr „feeling“ war so ephemer wie sie selbst.

Vielleicht ist es genau das, was den Reiz der Flower-Power ausmacht: dass sie ein bloßes Gefühl ist. Es war im Grunde bloß das Glück eines Sommers. Aber, und das muss unbedingt dazugesagt werden: immerhin. Wer ein solches Glück hatte, trägt einen inneren Zeigefinger mit sich herum. Der einen mahnt. Und von Zeit zu Zeit das „feeling“ heranlockt. Sei’s nur, um den Enkerln davon zu erzählen.

Und das ist es, wovor ein jeder sich, insgeheim und uneingestanden, gefürchtet hat. Damals, im Sommer. (Wolfgang Weisgram, Der Standard, Printausgabe 28./29.7.2007)