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Das weltweite Geschäft mit dem in Plastikflaschen abgefüllten Trinkwasser brummt: Was in den USA bereits von Umweltaktivisten scharf kritisiert wird, nämlich der Transport, Vertrieb und die Entsorgung von PET-Wasserflaschen, möchte man in Österreich gerade erst starten.

Foto: Reuters/Mdzinarishvili
Alice Water liebt revolutionäre Ideen. Vor 20 Jahren rüttelte die Chefin von „Chez Panisse“ die Gaststättenindustrie mit einem einfachen Konzept auf: Statt mit von weither angekarrten Produkten kochte sie fortan nur noch mit saisonalen Zutaten heimischer Farmer. Eine Idee, die sie nicht nur berühmt, sondern das "Chez Panisse" im kalifornischen Berkeley zu einem der Toprestaurants der USA machte.

Nun steht sie erneut an vorderster Front eines recht konträren Trends. Vergangenes Jahr verbannte Waters auch noch alle in Plastikfläschchen abgefüllte Tafelwasser von ihrer Speisekarte. Ihre Gäste bekommen gefiltertes Wasser aus dem Hahn – in hauseigenen Glasbehältern. Und damit basta.

Kampagne

Aber Waters ist damit nicht ganz allein: 3200 Kilometer entfernt in New York wollen jetzt die Stadtväter das Image von Leitungswasser mit einer eigenen Werbekampagne namens "Get your fill" aufbessern. Eine Kampagne, die wahre Schockwellen durch eine ganze Industrie schickt, die Nobelwässerchen wie Evian, Fiji Waters, Aquafina und Co zum Lebenselixir einer ganzen Nation erhob.

Amerika ist eine durstige Nation. So durstig, dass seine Bürger jährlich 15 Mrd. Dollar für abgefülltes Trinkwasser ausgeben. Wasser, das zum Teil aus heimischen Quellen, aus Europa oder etwa auch von den Fidschiinseln kommt. Eine Geld- und Energieverschwendung, sagen kritische Geister und nehmen die lukrative Industrie jetzt aufs Korn.

Abgefülltes Trinkwasser war noch vor 30 Jahren nahezu unüblich. Heute schleppen Amerikaner stilles Wasser mit sich herum, als hinge ihr Leben davon ab: im Büro und im Theater, beim Shopping und beim Kickboxing, egal wo, die Wasserflasche ist immer und überall dabei. Ein Liter, so lernt heute jedes Kind, müsse es täglich sein.

Wasser für den Jetset

Inzwischen gibt es nicht mehr nur Wasser, es gibt stilles oder prickelndes, mit Vitaminen und einer extra Portion Sauerstoff angereichertes. Wasser für Senioren, Wasser für Kinder. Wasser mit Fruchtgeschmack, Wasser mit Kalzium. Für den Jetset gibt es ein "Couture Water". Die verkorkte Flasche ist mit Swarovski-Kristallen verziert und kostet dann auch 35 Dollar. Einer der größten Abfüller ist der Nestlé-Konzern (siehe "Das neue Gold"), der weltweit 27 verschiedene Wassermarken, darunter Perrier, San Pellegrino und Poland Spring vertreibt. In den USA beläuft sich der Umsatz auf 4,5 Mrd. Dollar im Jahr.

Gegen den Wasserkonsum hat niemand etwas einzuwenden. Was die Flaschengegner aufregt, ist die Energie, die bei der Herstellung, dem Transport und dem Vertrieb von jährlich mehr als 20 Milliarden Liter konsumiertem Wasser verschwendet wird. Ganz zu schweigen davon, was hinterher die leeren Flaschen anrichten: Drei Millionen davon landen allein in Kalifornien im Müll. Und nur jede fünfte PET-Flasche, hergestellt aus Petroleum, wird recycelt. "Frachtschiffe mit Wasser zu füllen und sie Tausende von Meilen rund um den Erdball zu schicken ist lächerlich", sagt mittlerweile auch Joseph Bastianich, Eigner des eleganten "Del Posto"-Restaurants in New York.

Es geht noch schlimmer: In Fidschi, wo täglich Millionen Liter Wasser für die style- und gesundheitsbewusste Wellness-Gesellschaft in den USA abgefüllt werden, kommen viele Inselbewohner selbst kaum in den Genuss sauberen Trinkwassers. Die Quelle für das hippe Fidschi-Wasser liegt einen 15-stündigen Flug von Los Angeles und eine vierstündige Autofahrt entfernt im Hinterland der Insel. Kein Wunder, dass US-amerikanische Restaurants dafür gerne einmal sechs Dollar verlangen.

Wasser oder Getränk?

Die Wasserindustrie hat also ganze Sache geleistet, seit vor drei Jahrzehnten die erste Flasche französischen Perrier-Wassers an amerikanischen Ufern landete. Perrier sei kein Wasser, lautete die Werbebotschaft, Perrier sei ein Getränk.

Und als solches wird auch all das andere Nass vermarktet, das in den schicken Hotels in Beverly Hills, wo die Nacht 500 Dollar kostet, Diet Coke längst vom ersten Platz in der Minibar verdrängt hat. Das Peninsula Hotel offeriert seinen Gästen gar 20 verschiedene Marken: Poland Spring zum Beispiel ist nicht darunter. Doch wenn es ein Gast verlangt, wird notfalls eine Kiste per Eilpost von der Ostküste geordert, verrät der eigens dafür zuständige Wasser-Sommelier. Leitungswasser, so wird seit Jahren höchst erfolgreich suggeriert, habe weder den richtigen Geschmack noch sei es förderlich für die Gesundheit. Und Millionen (nicht nur) US-Bürger nehmen diese Botschaft der Wasserwirtschaft dankbar ab – und bezahlen inzwischen teuer für ein Gut, das billig aus der Leitung fließt.

Jetzt aber wird dieser hedonistische Genuss immer mehr zum Thema in der Umweltdebatte. Denn während in Kalifornien inzwischen 75 Prozent der Bier- und Sodadosen beim Recycler landen, sind es bei Wasserflaschen nur etwa 20 Prozent. "Die Öffentlichkeit realisiert einfach nicht, wie schädlich diese Unmengen an Müll sind", warnt Mark Murray, Direktor von "Californians Against Waste" in Sacramento. Und dabei sei PET, wären die Wasserflaschen erst einmal mühsam aus dem Restmüll gefiltert und gereinigt, nicht nur leicht zu recyceln, sondern auch gefragt. China kauft fast 40 Prozent des Recyclings auf, das wiederum zu Teppichen, Autoteilen, Kleidungsstücken und neuen Flaschen verarbeitet wird.

Erste Erfolge

Die Pro-Leitungswasser-Kampagne zeigt erste kleine Erfolge: Seltzer Sister im kalifornischen Redwood City bietet inzwischen Sprudel in altherkömmlichen Glasflaschen an. Der Schulbezirk in Berkeley hat Plastikflaschen durch Leitungswasser-Container ersetzt. Der Aufschrei war groß, "doch ein Jahr später ist es kein Thema mehr", sagt die dafür zuständige Angestellte, Ann Cooper.

In den Restaurants sind es nicht unbedingt die Gäste, die die Stirn runzeln, sondern die Besitzer. Denn abgefülltes Wasser trägt mittlerweile ganz kräftig mit zum Umsatz bei – und bringt der US-Gastronomie schätzungsweise 200 bis 350 Millionen Dollar im Jahr. "Das Gesundheitsargument für abgefülltes Wasser ist ein Fantasie-Argument mit schlimmen Folgen – für die Umwelt", betont Gina Solomon vom Natural Resources Defense Council, einer US-Naturschutzorganisation. "Importiertes Wasser aus Italien oder Frankreich trägt mit zum Ausstoß von Treibhausgasen bei" und sei "völlig unnötig, da die USA über eine der sichersten Trinkwasserversorgungen der Welt verfügen."

Interessanterweise hinterlassen den geringsten "carbon footprint" – also Schaden durch Treibhausgase – ausgerechnet die Weltkonzerne Pepsi und Coke. Deren Marken Aquafina und Dasani werden in den USA abgefüllt – und zwar aus gefiltertem Leitungs- und nicht etwa Quellwasser. Und das kostet, egal ob nun in Los Angeles oder New York, überall einen Dollar pro halbem Liter. (Rita Neubauer, DER STANDARD, Album, 28./29.7.2007)