Der "Geburtenbarometer" zeigt's: Es werden immer weniger Kinder geboren. Die Familie verliert an Wertschätzung.

Illustration: DER STANDARD/Walli Höfinger
Die Geburtenzahlen sinken, wir werden immer weniger - so scheint es zumindest. Nur: warum? Und was ließe sich dagegen tun? Nach Antworten sucht die Demografie mit Begriffen wie Totale Fertilitätsrate und Tempo-Effekt. Sie hantiert mit Zahlen und stößt dabei auch auf gesellschaftliche Werte und Normen.

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So richtig einschlagen wollte die schlechte Nachricht nicht. Als das Vienna Institute of Demography (VID) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unlängst verkündete, dass die Geburtenrate in Österreich während den ersten vier Monaten des Jahres auf unter 1,6 gesunken sei und damit wieder das Niveau vor Einführung des Kindergelds im Jahre 2002 erreicht hätte, druckten die Zeitungen pflichtschuldig die Pressemeldung ab.

Dass wir immer weniger Kinder in die Welt setzen und unsere Gesellschaft vergreist, ist ja nun wirklich keine Neuigkeit. Vielleicht sterben wir ja auch aus - man kann sich an alles gewöhnen. Nun ist also auch die Politik als Geburtshelferin gescheitert. Ähnliche Erfahrungen mit finanziellen Zeugungsanreizen gab es zuvor schon in anderen Ländern, so Dimiter Philipov vom VID: "Der Erfolg war auch dort nur vorübergehend vorhanden, da Paare ohnehin geplante Kinder nun früher bekamen."

Die Einführung des Kindergeldes sei aber alles andere als ein Fehler gewesen, stellt Philipov klar. Sonst wäre die Geburtenrate vielleicht noch tiefer gefallen, auch wenn sich das nicht belegen lässt.

"Schwierige Frage." "Lässt sich nicht belegen." "Hier bräuchten wir aktuellere Zahlen." Im Gespräch mit Demografen fallen diese Sätze ständig. Es fehlen viele Daten, und jene, die man hat, muss man erst von Verzerrungen reinigen. Die Wiener Demografen haben etwa das so genannte Geburtenbarometer entwickelt, das seit Anfang 2006 monatlich abgelesen wird. Der Clou: Es wird zwischen TFR (Totale Fertilitätsrate) und PAP (Period Average Parity) unterschieden.

Die TFR gibt schlicht die durchschnittliche Geburtenrate für einen bestimmten Zeitraum an, die PAP prognostiziert hingegen, wie wahrscheinlich es ist, dass Eltern ein bzw. ein weiteres Kind haben. In Österreich betrug die PAP für die ersten vier Monaten dieses Jahres 1,594, die TFR aber nur 1,373. Diese Kluft bezeichnet man als Tempo-Effekt, die Möchtegerneltern verschieben die Geburt ihrer Kinder.

Konsum und Karriere

Dieser Tempo-Effekt ist besonders intensiv in Gesellschaften, in denen starke Umbrüche stattfinden, wie etwa in vielen Ländern Osteuropas, so der Demograf Tomás Sobotka vom VID (siehe Interview unten). So sank nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland die TFR kurzfristig gar auf 0,7. Erst einmal abwarten, was die neuen Zeiten bringen.

Im saturierten Österreich klaffen PAP und TFR deutlich weniger auseinander. Der Trend, die Kinder später zu bekommen, ist aber auch hierzulande offensichtlich. Und später heißt eben unterm demografischen Strich auch weniger. Die wesentlichen Gründe hierfür sind, auf zwei Schlagworte reduziert, Konsum und Karriere.

Die Demografen sprechen von der Second Demographic Transition, einem grundlegenden Wandel in den Werten und im Verhalten in westlichen Gesellschaften. Die Idee der Selbstverwirklichung hat einen zentralen Platz eingenommen, während Familie und Kinder an Wertschätzung verlieren.

Mangelnde Geschlechtergerechtigkeit verschärft dieses zeugungsunwillige Klima. Frauen verdienen weniger und arbeiten trotz eigener Berufstätigkeit doppelt (Westeuropa) oder gar dreimal (Osteuropa inklusive Österreich) so viel im Haushalt wie ihre männlichen Partner. Wo bleibt da noch Zeit für Kinder?

"Wir wissen allerdings nicht, welches Gewicht die einzelnen Faktoren für den Geburtenrückgang haben", so Philipov. "Wenn Geschlechtergerechtigkeit hergestellt wäre: Würde das viel oder wenig an der Geburtenrate ändern?"

Das viel gelobte Schweden, wo Männer sehr viel mehr putzen und kochen, hat eine um 0,2 bis 0,3 höhere Geburtenrate als Österreich. "So viel mehr ist das auch nicht", schränkt Philipov ein. Zudem haben Länder spezifische Kulturen, andere Systeme ließen sich nicht einfach eins zu eins übertragen.

Wo hier ansetzen? Das Wertesystem einer Gesellschaft lasse sich nicht durch eine zentral gesteuerte Politik ändern. Um den Platz von Kindern aufzuwerten, müsse die Gesellschaft dies auf allen Ebenen - Medien, Wirtschaft, Organisationen, Familie - vorantreiben.

Von einer offen "pronatalistischen" Politik hält Philipov ohnehin nichts: "Es ist besser, die Ursachen für den Geburtenschwund zu finden und zu bekämpfen. Wenn man dabei Hürden beseitigt und so Menschen hilft, ein besseres Leben zu führen, etwa was die Work-Life-Balance angeht, oder durch mehr Geschlechtergerechtigkeit den Staat demokratischer macht, ist das für sich erstrebenswert, auch wenn sich die Geburtenrate dadurch nicht erhöht.

Aber keine Bange: Die Bevölkerung der EU wird insgesamt gesehen in absehbarer Zeit nicht schrumpfen, prognostiziert Tomás Sobotka. In Deutschland und in geringerem Maß auch in Österreich wird sie abnehmen, in Frankreich und Schweden hingegen wachsen.

Das liegt an der steigenden Lebenserwartung und der Zuwanderung. Wobei Migration, auch das ein klassisches Problem der Demografen, am weitaus schwierigsten vorherzusagen ist. Neue Gesetze, vor allem aber ökonomische Veränderungen im Ziel- und Herkunftsland sind hier die maßgeblichen Faktoren. Wenn beispielsweise Polen wirtschaftlich einen Aufschwung erlebt, werden bald sehr viel weniger Installateure nach Großbritannien gehen. (Oliver Hochadel/Der Standard, Printausgabe, 1. August 2007)