"Amerikaner mögen keine politischen Romane. Sie mögen Politik nur, wenn es um Krieg geht, alles unter bewaffneten _Konflikten interessiert sie nicht": Autor Richard Ford über die Lage seines Landes. wildbild / Sandra Hallinger

Foto: Berlin Verlag/Robert Yager

Richard Ford: Die Lage des Landes. Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. 25,60 € / 683 Seiten. Berlin Verlag, Berlin 2007

STANDARD-Rezension: Die Achterbahn des Lebens
Frank Bascombe lebt! Richard Fords großer Roman "Die Lage des Landes"

Buchcover: Berlin Verlag
...und seinen von der Kritik bejubelten neuen Roman "Die Lage des Landes". DER STANDARD: Sie haben in einem Interview mit der "Zeit" gesagt, sie fühlen sich als Autor dem "Fußvolk" zugehörig. Fühlen Sie sich wohl als "Dichter zu Gast" in Salzburg? Richard Ford: Sie meinen, hier im Schloss Leopoldskron? Natürlich, es ist toll. Man darf diesen Prunk nicht ernst nehmen. Es ist so irreal, eine Filmkulisse. Gleich wird "The Sound of Music" zu spielen beginnen. DER STANDARD: "Die Lage des Landes" ist Ihr erster Roman seit einigen Jahren. Wie war es, dem guten alten Frank Bascombe wieder zu begegnen? Ford: Wundervoll. Ich habe es immer gemocht, aus Franks Perspektive zu schreiben. Er ermöglicht mir, Sachen anzusprechen, die auch mich interessieren. Es wäre falsch zu sagen, er sei ich. Ich fände es jedoch, ehrlich gesagt, nicht so schlimm, wie er zu sein. Er hat einen guten Sinn für Humor, er ist recht intelligent, er übernimmt Verantwortung und er ist verletzlich. DER STANDARD: Der Roman heißt im Original "The Lay of the Land". Ein vieldeutiger Titel. Ford: Zunächst ist es ein Roman über die USA, über "Die Lage des Landes". Es kann aber auch die Lage und Beschaffenheit eines Grundstücks gemeint sein, Frank ist ja Immobilienmakler. Als Redewendung meint es auch den "Stand der Dinge". Wie es bei Frank gerade so steht. DER STANDARD: Bleiben wir noch kurz bei der Politik. Ford: Gerne. Darauf werde ich in den USA übrigens so gut wie nie angesprochen. DER STANDARD: Tatsächlich? Warum nicht? Ford: Amerikaner mögen keine politischen Romane. Sie wollen nicht an Politik erinnert werden, sie wollen nicht daran denken müssen, dass sie Verantwortung tragen. Sie mögen Politik nur, wenn es um Krieg geht, alles unter bewaffneten Konflikten interessiert sie nicht. Sie sind gerne gleichgültig. DER STANDARD: Frank ist nicht gleichgültig. Er ist glühender Demokrat und erzählt das jedem. Warum haben Sie die Handlung nach den Wahlen 2000 angesiedelt? Ford: Weil ich es als eine extrem nervöse Zeit empfunden habe. Gewalt lag schon in der Luft. Nach 9/11 waren wir uns der Gewalt sehr bewusst, vorher haben wir sie ignoriert, so gut wir konnten. Der Bombenanschlag in Oklahoma City, der Bombenanschlag aufs World Trade Center, wir hielten das für singuläre Ereignisse. Doch wir waren schon von Gewalt umgeben. DER STANDARD: Franks Lage in dem Buch ist verzwickt. Er ist Mitte 50, seine zweite Frau hat ihn gerade verlassen und er leidet an Prostatakrebs. Dafür schlägt er sich wacker. Ford: Finde ich auch. Er bemüht sich. Er will ein guter Mensch sein. Er möchte seinen merkwürdigen tibetischen Assistenten sympathisch finden. Er will seine Familie wieder näher zusammenbringen. Vielleicht ist er nicht gerade heroisch, aber ein Held zu sein ist schwer. Heute mehr denn je. DER STANDARD: Für ihn spricht auch, dass viele Frauen gern diese Romane lesen. Ford: Es gibt auch einige, die Frank furchtbar finden, aber ganz falsch dürfte ich mit der Figur nicht liegen. Ich bin unter Frauen aufgewachsen und kann sagen: Generell sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen viel kleiner, als wir immer erzählt bekommen. DER STANDARD: Frank befindet sich in der "Permanenzphase" seines Lebens. Was ist das? Ford: Das ist die Periode, bevor man seinen Schöpfer trifft. Der Spätherbst, die letzten paar Jahre. Man hat keine Angst mehr vor der Zukunft. Man nimmt Abschied von seiner Vergangenheit. Man wird sich nicht mehr ändern. So wie man in dieser Phase ist, werden sich die Leute an einen erinnern. DER STANDARD: Es fällt auf, dass Franks Sätze von Roman zu Roman länger geworden sind. Ford: Fürchterlich, und in der deutschen Fassung sind sie vermutlich noch dreimal so lang. Tut mir Leid, war keine Absicht. DER STANDARD: Jetzt sind sie kokett. Die Sätze sind fantastisch so, wie sie sind. Ford: Das Lob gebührt im Deutschen dem Übersetzer Frank Heibert. Hinter den ausufernden Sätzen stand gar keine stilistische Überlegung. Ich hatte einfach so viel, das ich Frank sagen lassen wollte, dass ich eine Menge in die _Sätze reinquetschen musste. Wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, hat sich einiges an Erfahrungen angesammelt. Und die Ereignisse erscheinen einem vielfach miteinander verbunden, ganz anders als in der Jugend. DER STANDARD: Kaum vorstellbar, dass Sie das Romaneschreiben beinahe aufgegeben hätten. Ford: Doch, wenn Der Sportreporter gefloppt wäre, hätte ich aufgehört. Ich war damals Ende dreißig, ich hatte bereits versagt. Dann kam Frank und hat meine Karriere gerettet. Sonst wäre ich womöglich noch selber Makler geworden. DER STANDARD: Sie vergleichen an einer Stelle den Beruf des Maklers mit dem des Autors. Weit hergeholt? Ford: Mancher Leser mag denken, Ford will hier nur besonders originell erscheinen. Finanziell besteht natürlich ein gewisser Unterschied. Aber Frank war als junger Mann auch mal Autor. Häuser verkaufen, das ist für ihn ein_Ersatz für eine künstlerische Tätigkeit. Als Makler brauchst du eine gute Beobachtungsgabe und du musst die unterschiedlichsten Wünsche und Bedürfnisse miteinander aussöhnen. Das Wort lautet Kohärenz. Das ist dem Erzählen einer Geschichte doch sehr ähnlich. DER STANDARD: Wobei sich einige wenige Rezensenten beklagt haben, sie hätten in dem Roman gar keine Story gefunden. Ford: (lacht) Die sollen sich bei Dostojewski beklagen, und bei Thomas Bernhard. Sie wollen Plot? Lesen Sie John Grisham, schauen Sie fern! Ich versuche hier, große Literatur zu schreiben. Außerdem gibt es zwischendurch auch bei mir Actionszenen. DER STANDARD: Noch einmal zur "Permanenzphase". Wie möchten Sie denn einmal erinnert werden? Ford: Jeder will nur für seine besten Taten in Erinnerung bleiben. Ich habe, anders als Frank, die richtige Frau geheiratet, und ich habe versucht, ein paar gute Bücher zu schreiben. DER STANDARD: Sie schreiben übers Älterwerden, idealerweise sollte man dann nicht mehr verwirrt über die Welt sein, man sollte sie staunend wahrnehmen. Ford: Wäre schön, wenn das so klappen würde. Gerade erst habe ich eine hitzige Konversation darüber mit meiner Frau gehabt. Sie meint, ich staune viel zu selten über das, was mir widerfährt, ich fletsche öfter die Zähne und ziehe in den Krieg. Leider hat sie Recht. Wissen Sie, ich wäre gern wie meine Frau, sie hat immer ein Lächeln für die Welt übrig. (Interview: Sebastian Fasthuber / DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.08.2007)