Sprüche-Seiten auf Facebook können ungewollte Nebenwirkungen haben.
AP / Ariel Schalit

"Was war dein Lieblingsparfüm in den 80ern?" ist nicht die originellste Frage, aber für ein bisschen Nostalgie lässt sich manch einer schon zu einer Antwort hinreißen. Und die bleibt oft nicht unbemerkt: Sprüche-Seiten auf Facebook zählen oft mehrere Zehntausend, manche sogar über hunderttausend Mitglieder, eine enorme Reichweite, die nicht nur zur Verbreitung motivierender Bilder genutzt wird. Religiöse Fundamentalisten hätten die Plattform für sich entdeckt, um die eigene Gefolgschaft zu erweitern, warnte die Fact-Checking-Plattform Mimikama Mitte April. Diese würden sich in an sich unbedenklichen Facebook-Gruppen herumtreiben, um Mitglieder zu rekrutieren, häufig auch mit Beiträgen, deren religiöser Hintergrund nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Wer aber ein Bild kommentiert, bekommt gerne einmal eine Einladung zu einer Online-Predigt.

Dabei wirken die Bilder, die man in solchen Gruppen zu sehen bekommt, auf den ersten Blick sehr harmlos. Man liest hier meistens unscheinbare Fragen à la: "Was esst ihr am liebsten zu Nudeln?" Den Allerweltsfragen folgen allerdings rasch Bilder mit religiösen Inhalten, Bibelzitaten, Engelsbildern oder Gebeten. Auch hier wird oft zu Reaktionen aufgerufen und Nutzerinteraktion gefordert: Indem man den Post mit "Ja" oder "Amen" kommentiert, kann man sich an mancher Stelle vermeintlich digitalen Segen abholen. Manchmal finden sich solche Verweise auch erst im Begleittext eines Bildes oder als Statusbeitrag.

"Antworten, die Sie noch nie gehört haben"

Die göttliche Gunst im Jenseits wird einem der Kommentar unter Facebook-Postings zwar nicht bringen. Sicher ist hingegen der Einfluss auf die persönlichen Empfehlungen auf Social Media. Kommentare und Likes werden vom Algorithmus registriert und haben letztendlich Einfluss darauf, welche Inhalte man zu sehen bekommt. Kommentare, die ein Account hinterlässt, werden außerdem auch dessen Freunden angezeigt, die sich häufig ebenfalls zu Antworten hinreißen lassen. "Dies geschieht durch den Facebook-Algorithmus in Verbindung mit 'öffentlichen Gruppen'", erklärt Mimikama in der Aussendung.

Auffällig ist, dass viele Sprüche-Gruppen, die sich augenscheinlich nicht auf religiöse Themen fokussieren, mit religiösen Gruppen und Seiten verknüpft sind. Zum Beispiel sind mit der Gruppe "Sprüche und Zitate", die immerhin fast 12.000 Mitglieder zählt, fünf Seiten verknüpft – drei davon, die sich offensichtlich mit Religion befassen. Das ist auch deshalb interessant, weil die "Gruppenmitglieder und alle Inhalte" für die Personen hinter den genannten Seiten jederzeit sichtbar sind.

Wer auf den genannten Seiten ein Bild kommentiert, erhält in den meisten Fällen eine private Nachricht, sagt Mimikama. Auch den Faktencheckern wurde "eine Predigt über Glauben und Leben" und eine Anleitung, "wie man die Wiederkunft des Herrn Jesus begrüßen kann", angeboten, bei der sie Antworten, "die sie noch nie gehört haben", erwarten würden. Am Ende des Nachrichtenverlaufs wurden außerdem verschiedene Online-Predigtzeiten angeführt.

Danke, Ja und Amen sagen: Wer gehorcht, bekommt vielleicht nicht zwingend den gewünschten Segen, dafür aber meist eine private Nachricht.
Mimikama

Was für manche absurd klingen mag, ist für andere Menschen ein sozialer Anker, sagt Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen: "Es bleibt oft nicht beim Internet. Zuerst wird Kontakt aufgenommen, dann gibt es ein paar Online-Gottesdienste, und dann werden Schritte gesetzt, damit es zu einem persönlichen Treffen kommt." Es sei häufig ein langer, teilweise monatelanger Prozess, in dem neue Mitglieder rekrutiert werden – bis einem etwas seltsam vorkommt, sei man meist schon zu sehr involviert.

Einsam und "neu" im Internet

Routinierte Userinnen und User erkennen Fake-Profile oder versteckte Absichten in der Regel zwar recht schnell. Dennoch sind derartige Online-Rekrutierungsversuche ein reales Problem, betont Schiesser. "Gerade bei Facebook sind viele Menschen mittleren und höheren Alters unterwegs, die nicht dieselbe Übung im Umgang mit dem Internet haben." Hierzu würden auch jene zählen, die erst während der Pandemie mit Social Media in Kontakt gekommen sind, weil sie beispielsweise von Angehörigen ein iPad zum Videotelefonieren bekommen hätten.

Auch Einsamkeit spielt oft eine entscheidende Rolle: "Wir haben oft Fälle, da war der Glaube gar nicht so das treibende Element. Die waren auf der Suche nach jemandem, mit dem sie etwas unternehmen können, wo sie dazugehören", sagt Schiesser. Die meisten Menschen würden außerdem nicht mit totalem Misstrauen an jede soziale Interaktion herangehen. Viele könnten sich schlichtweg nicht vorstellen, dass ihr Gegenüber eine manipulative Absicht haben könnte.

Online-Missionierungsversuche von Sekten

Wer hinter den aktuellen Seiten und Gruppen steht und ob es sich um eine Sekte handelt, ist laut Mimikama meistens nicht leicht nachzuverfolgen. Es ist also unklar, ob es sich um eigens von Fundamentalisten angelegte Seiten und Gruppen handelt, oder ob diese lediglich über Umwege versuchen, ihre Reichweite zu erhöhen. Man solle derartige Beiträge sicherheitshalber nicht kommentieren und auch nicht teilen, um die Verbreitung einzuschränken, so die Empfehlung der Faktenchecker.

Eine Glaubensgemeinschaft, die Mimikama im Laufe ihrer Recherchen weiderholt zu Gesicht bekam, ist beispielsweise die aus China stammende "Kirche des allmächtigen Gottes". Diese wurde bereits 2020 wegen Missionierungsversuchen in Deutschland auffällig, weil sie Christen über soziale Netzwerke anzusprechen versuchte – ein Phänomen, vor dem damals sogar ein Beauftragter der westfälischen Kirche für Sekten- und Weltanschauungsfragen gewarnt hatte. Auf Facebook versuchte die Gruppierung – oft über Freundschaftsanfragen junger Chinesinnen – Kontakt zu engagierten Christen aufzunehmen. Mit Bildern von Bibelzitaten und "Berichten von gelungener Lebenshilfe durch den Glauben" versuchten sie, Freundschaftskontakte aus den Online-Netzwerken von Christen "abzufischen", heißt es in einer Mitteilung der Evangelischen Allianz in Deutschland vom Juni 2020. Aussteiger berichteten von starkem psychischem Druck und rieten von Kontakten mit Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft ab.

Wenngleich nicht geklärt ist, welchen Glaubensgemeinschaften die Betreiber der beobachteten Seiten angehören, deuten die verwendeten Motive auf eine christliche Gemeinschaft hin. Dabei könnte es sich auch um Freikirchen handeln – ein Begriff, der nicht immer eindeutig verwendet wird, aber zumindest auf bestimmte theologische Überzeugungen hinweist, die sich von jenen der Volkskirchen (wie die römisch-katholische oder evangelische Kirche) unterscheiden. Auch hierzulande gewinnen diese Gemeinschaften an Relevanz.

Antworten, die man noch nie gehört hat? Neugierige haben gleich zwei Predigtzeiten zur Auswahl.
Mimikama<strong></strong>

"In den letzten zehn Jahren sind die Freikirchen zunehmend mehr präsent in Österreich", sagt Schiesser im Gespräch mit dem STANDARD. Einige kämen aus Südkorea, wie Shin Cheonji, aber auch Freikirchen aus den USA oder Afrika würden schon seit längerer Zeit im europäischen Raum missionieren. Wurde früher auf Hausmissionen und persönliche Kontaktaufnahme über Interessengruppen oder im studentischen Bereich gesetzt, entdeckten die Freikirchen während der Pandemie die Vorzüge des Internets für sich: Auch weil sie gesehen hätten, dass sie damit müheloser eine noch viel größere Reichweite erreichten, sagt Schiesser. Man müsse allerdings dazusagen: Für die Missionare gelte, dass sie keine böswillige Absicht hätten. Die Menschen, die letztlich andere kontaktierten, seien oft wirklich davon überzeugt, Gutes zu tun. "Für jene, die in der Organisation weiter oben sind, würde ich mich das nicht mehr so unterschreiben trauen", sagt die Expertin.

"Christlich" ist nicht zwingend "katholisch"

In Österreich sei man allerdings ein bisschen naiv, merkt Schiesser an. Beim Begriff "christlich" würde hierzulande automatisch an den uns vertrauten Katholizismus gedacht. Oft sei die katholische Kirche für diese Freikirchen aber ein regelrechtes Feindbild: "Innerhalb der Freikirchen gibt es besonders umstrittene, die sich von christlicher Lehre und Interpretation der Bibel sehr weit entfernen. Manchmal haben diese Kirchen dann eine eigene Erlöserfigur", sagt die Sektenexpertin.

Nach außen hin wirken Freikirchen zwar oft modern, tatsächlich seien viele aber sehr konservativ – nicht zuletzt dann, wenn die Bibel wörtlich interpretiert wird. In unsicheren Zeiten feiern derartige Glaubensgemeinschaften – auch bei jüngeren Altersgruppen – Hochkonjunktur. Während die einen Zuflucht in nostalgischen Erinnerungen suchen, suchen es die anderen in der Klarheit eines strikten Regelwerks. Wachsamkeit und gesunde Skepsis sind auf jeden Fall gute Begleiter, wenn man auf Facebook nach Antworten oder sozialem Anschluss sucht. (Lisa Haberkorn, 21.5.2023)