Im Gastblog zeigt Constantin Lager, wie die Freiheitliche Partei Österreichs Merkmale erfüllt, die von Umberto Eco als bezeichnend für die Entwicklung von Faschismus gesehen wurden.

Seit Monaten führt die FPÖ stabil in den wöchentlichen Sonntagsfragen, und nun ist es auch in Salzburg fix: Nach Niederösterreich ist in diesem Jahr die ÖVP in einem weiteren Bundesland mit der FPÖ eine Koalition auf Landesebene eingegangen. Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer bezeichnete diese noch als alternativlos, Klemens Renoldner dieses in seinem Gastkommentar zu Recht als erbärmlich. Die Erbärmlichkeit besteht meines Erachtens darin, dass mit der FPÖ eine Trägerin einiger der sogenannten "Archetypen des Ur-Faschismus" – ein Begriff, den der Philosoph und Schriftsteller Umberto Eco entscheidend geprägt hat – in hohe Ämter gehoben wird.

Der ewige Faschismus

Der "ewige Faschismus" ist eine Sammlung von Reden von Umberto Eco, in denen er dafür plädiert, den Faschismus nicht nur als historische Kategorie zu begreifen. Auch wenn es nur einen Nazismus gab, wie Eco betont, "das faschistische Spiel lässt sich auf vielerlei Weise spielen, und der Name des Spiels bleibt der gleiche". Er identifiziert 14 archetypische Formen des Faschismus, die er den "ewigen Faschismus" oder "Ur-Faschismus" nennt, wobei nur eine zutreffen muss, "damit der Faschismus einen Kristallisationspunkt hat, um den herum er sich bilden kann".

Nicht in allen, aber in vielen dieser Archetypen des Ur-Faschismus kann ich Aussagen von FPÖ-Funktionären erkennen. So etwa in der 1.-Mai-Rede von Herbert Kickl in einem Linzer Bierzelt.

Aufnahme von Herbert Kickl im Bierzelt
Herbert Kickl bei seiner Rede am 1. Mai in Linz.
Foto: APA/WERNER KERSCHBAUMMAYR

Das gefährliche Spiel mit Angst und Frustration

"Der Ur-Faschismus wächst und sucht sich Konsens, indem er die natürliche Angst vor dem Andersartigen ausbeutet und vertieft" (Punkt 5), ist sich Umberto Eco sicher. Da der Ur-Faschismus seine Kraft aus einer Situation der gesellschaftlichen Frustration schöpft, "war eines der typischen Merkmale der historischen Faschismen der Appell an die frustrierte Mittelklasse" (Punkt 6). Der Machismo (Punkt 12), der neben der Frauenverachtung auch die Ablehnung jeglicher Sexualität abseits des Heteronormativen beinhaltet, war für Eco ein weiterer entscheidender Punkt, um die Archetypen des Ur-Faschismus zu beschreiben. Angst, Frustration und Machismo standen auch im Mittelpunkt, als Herbert Kickl am 1. Mai seinen Anhängern und Anhängerinnen zurief:

"Ich rede von denjenigen, die wissen, dass die Familie die Keimzelle der Gesellschaft ist und dass der Staat alles zu unternehmen hat, um diese Familie, bestehend aus einem männlichen Vater, einer weiblichen Mutter und aus einem Kind und Kindern, zu schützen und nicht zu zerstören (...). Es sind die Menschen, die wissen, dass es für Kinderseelen nicht befreiend und nicht hilfreich ist, sondern verstörend und gefährlich, wenn man jetzt dazu übergeht, ihnen statt einer Kindergartentante eine Dragqueen vor die Nase zu setzen. (...) Dieser schweigenden Mehrheit, die das nicht mehr erträgt, und ganz ehrlich gesagt, ich ertrage das auch nicht mehr, dieser schweigenden Mehrheit müssen wir zum Durchbruch verhelfen. Diese Menschen, das ist nicht nur die Mehrheit, das ist auch die Mitte der Gesellschaft."

An diesem 1. Mai zwischen Bier und Bratengeruch zeichnete Herbert Kickl das Bild einer durch den, wie er es nennt, "gutmenschlichen linkslinken Firlefanz" existenziell bedrohten Kultur. Neofaschistische Gruppierungen wie die Identitären stoßen schon lange in dasselbe Horn. Im Gendern, der Political Correctness, den Regenbogenfahnen oder der Kinderbuchlesung durch eine Dragqueen orten sie eine existenzielle Bedrohung der kulturellen Identität.

Zwischen Verschwörung und Fremdenfeindlichkeit

Der Ur-Faschismus, so wie ihn Eco definiert, bietet all jenen, die glauben, ihrer Identität beraubt zu werden, einen Ausweg an. Diesen Ausweg nennt Eco Nationalismus, der mit der "Obsession einer Verschwörung" und dem "Appell an die Fremdenfeindlichkeit" einhergeht (Punkt 7). Dieses Sonderrecht, zur eigenen Nation zu gehören, ist jedoch im Ur-Faschismus stetigen Bedrohungen von außen wie von innen ausgesetzt. Für den blauen Parteiobmann ist diese Bedrohungslage klar. Die Migration ist die Bedrohung von außen. Zum Schutz soll die "Festung Österreich" entstehen. Dafür wurden in der Vergangenheit auch immer wieder die Grundlagen unserer liberalen Gesellschaft rhetorisch angegriffen. So haben Herbert Kickl noch in seiner Funktion als Innenminister und Udo Landbauer während der Wahlen in Niederösterreich die Menschenrechtskonvention offen infrage gestellt.

In seiner Rede zum 1. Mai zeichnete Kickl jedoch auch eine Gefahr für die innere, soziale und kulturelle Sicherheit unserer Gesellschaft. Sie kommt von innen, von allem, was Kickl als links verortet, speziell aber von der Sozialdemokratie, die er als "degenerierten und wohlstandsverwahrlosten Sozialismus" bezeichnete. Über den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig sagte er etwa, dass er "es so weit gebracht hat, dass dort ein Mörder, der seinen Opfern die Hände und die Füße abgehackt hat, mit einer Machete immer noch auf freiem Fuß herumläuft. So viel zum Thema kulturelle Bereicherung. Das ist auch eine Errungenschaft des roten Wien." Das Bild, das hier vermittelt werden soll, ist das einer existenziellen Bedrohung durch eine linksliberale Willkommenskultur. Passend zum linken Bedrohungsszenario spricht Kickl auch vom "Klimakommunismus", der, wenn es nach dem blauen Parteiobmann geht, den Wirtschaftsstandort Österreich und somit die soziale Sicherheit gefährdet. Als politische Strategie ist das Erschaffen von linken Sündenböcken im Übrigen nichts Neues. Bereits Mussolini, Dollfuß und Hitler wollten in allem Linken, waren es Kommunistinnen und Kommunisten oder Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, eine existenzielle Gefährdung für Land, Leute und Kultur sehen. Erfolgreich konnten sie damit Massen mobilisieren.

Der Volkskanzler, der Populist

Umberto Eco beschreibt das Wesen des Ur-Faschismus weiters als einen "selektiven oder qualitativen Populismus" (Punkt 13). Bei diesem geht das politische Individuum im Volk auf, Mehrheitsentscheide spiegeln nicht länger eine plurale Gesellschaft wider, das Volk wird als monolithische Einheit verstanden. Da eine Bevölkerung jedoch immer eine heterogene Gesellschaft mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen ist, braucht es jemanden, der zum Interpreten des Volkswillens wird. Nicht ohne Grund dürfte sich Hitler auch deshalb als Volkskanzler bezeichnet haben, denn der Volkskanzler ist die Verkörperung des Volkes, er artikuliert den Willen des Volkes.

Es ist mehr als bedenklich, dass Herbert Kickl immer wieder diese Diktion der Nationalsozialisten aufgreift und sich selbst als Volkskanzler bezeichnet, der er werden will. Ein Volkskanzler, so Kickl, "hat ein anderes Amtsverständnis, ein Volkskanzler hat eine andere Perspektive, ein Volkskanzler, der dreht die Dinge um". Der blaue Parteiobmann sprach davon, als Volkskanzler nach unten dienen und nach oben treten zu wollen, schließlich möchte er ja die "totale Hinwendung zur eigenen Bevölkerung" und die "totale Abwendung weg von den selbsternannten Eliten". Welches Demokratieverständnis wirklich in Kickls Interpretation des Volkskanzlers steckt, bleibt abzuwarten. Dennoch sollte es für mehr Aufregung sorgen, dass die in den aktuellen Sonntagsumfragen stimmenstärkste Partei erneut ungeniert auf Nazi-Sprech zurückgreift.

"Lügenpresse", "Systempartei" und jetzt auch noch der "Volkskanzler": Begrifflichkeiten, die auch die Nationalsozialisten benutzten, gehören schon lange zur brachialrhetorischen Keule der FPÖ. Dies erinnert stark an Ecos abschließenden Punkt, den er anlehnend an George Orwells Roman "1984" als "Newspeak" (Punkt 14) bezeichnete. Eine vereinfachte Sprache, "um das Instrumentarium für komplexes und kritisches Denken zu begrenzen".

Umberto Eco erkannte, dass Freiheit und Befreiung "eine niemals endende Aufgabe" sind. Wachsamkeit gegenüber dem, was er als die Archetypen des Ur-Faschismus bezeichnet, muss somit zum Gebot der Stunde erhoben werden. Der FPÖ als Trägerin einiger dieser archetypischen Elemente Regierungspositionen auf Landes- oder gar Bundesebene zu ermöglichen stumpft ab, es normalisiert gewisse ur-faschistische Elemente, bis sie als solche nicht mehr erkannt werden können. Doch wenn wir eines von Demagogen und Demagoginnen aus Vergangenheit und Gegenwart gelernt haben, ist es, dass wir sie besser ernst nehmen sollten, denn sie möchten ihre feuchten Bierzeltträume auch umsetzen. (Constantin Lager, 15.6.2023)