Harry Grabenhofer bremst sein Fahrrad bis zum Stillstand ab, schaut auf die Weide, die einmal der Obere Schrändlsee war, und sagt: "In den Neunzigerjahren waren wir da noch Schleifeislfahren, heute wird da gemäht und nachbeweidet." Grabenhofer ist Forschungsleiter des Nationalparks Neusiedler See, gebürtiger Illmitzer und eben seit rund dreißig Jahren nicht mehr auf Schlittschuhen über den Oberen Schrändlsee gefahren – eine der einst weit mehr als hundert Salzlacken auf der Ostseite des Neusiedler Sees. Tief war die Lacke ohnedies nie: "Weiter als bis zu den Knien hat man hier nicht ins Eis einbrechen können", erinnert sich Grabenhofer.

Harald Grabenhofer ist Forschgungsleiter des Nationalparks Neusiedler See und gebürtiger Illmitzer. Er weiß also genau, wie sich die Landschaft in den vergangenen Jahren verändert hat.
Nationalparks Austria / Gillmann

Der Obere Schrändlsee ist der vierte Stopp, den wir auf unserer Reise mit E-Bikes durch den Nationalpark Neusiedler See einlegen. Das erste Mal blieben wir quasi direkt in einer Ansichtskarte stehen. Am Illmitzer Zicksee. Dort steht einer der berühmten Ziehbrunnen und eine Schilfhütte, wie man sie von älteren Postkarten kennt – nachdem das Motivduo in der Nachkriegszeit zum "ikonischen Ensemble" geworden ist, wie es der Kulturanthropologe Sándor Békési in seinem Buch Verklärt und verachtet. Wahrnehmungsgeschichte einer Landschaft: Der Neusiedler See beschreibt.

Ein Ziehbrunnen in Illmitz, wie er es als Postkartenmotiv zu einer gewissen Bekanntheit schaffte.
APA/HELMUT FOHRINGER

Aktuell ist nach den Regenfällen der vergangenen Wochen sogar im bekannteren Zicksee in Sankt Andrä wieder ein wenig Wasser. Im Illmitzer Zicksee noch mehr. Und der scheint im Gegensatz zum bekannteren Zicksee das Wasser zu halten. Zum Glück, denn wenn Lacken zu lange trockenfallen, dann kann es sein, dass sie sich nicht mehr füllen.

"Ein hoher Grundwasserstand ist wichtig", sagt Grabenhofer, "weil dieser erst den kapillaren Salztransport bei oberflächlicher Trockenheit ermöglicht." Sind die Lacken zu lange trocken, beginnen Pflanzen zu wachsen, es bildet sich eine Humusschicht und die Lacke wächst zu. Für den Illmitzer Zicksee ist der Regen heuer im Frühjahr noch rechtzeitig gekommen. Dennoch ist es wichtig, das Grundwasser in der Region zu halten.

Versuche, die Region trockenzulegen

Um die Gegend des Seewinkels erst vor Überschwemmungen zu schützen, dann um sie besser bewohnbar und landwirtschaftlich nutzbar zu machen, baute man zahlreiche Gräben – auch im ungarischen Hansag –, um das Wasser aus diesem Gebiet möglichst schnell abzuleiten. Mit einem Inspektionsbericht aus dem Jahr 1568, den der Geologe Erich Draganits für den 24. Band des Neusiedler Jahrbuchs aufgetan und -bereitet hat, zeigt sich, wie weit die Bemühungen zurückreichen, das Gebiet östlich des Neusiedler Sees – und zeitweise am liebsten auch gleich den ganzen Neusiedler See – trockenzulegen. Diese Bemühungen waren so erfolgreich, dass das ohnedies schon niederschlagsarme Gebiet in regenarmen Phasen nun besonders leidet.

Durch das von der EU mit zwölf Millionen Euro geförderte Projekt Life Pannonic Salt 2023 soll sich nun einiges ändern, der Grundwasserspiegel im Seewinkel gehoben und so die letzten 30 Lacken gerettet werden. "Das Life-Projekt ist Teil einer größeren Herausforderung – der Restaurierung des Grundwasserspiegels. Das Hauptreferat Wasserwirtschaft und der Nationalpark arbeiten da schon eng an Wasserrückhaltemaßnahmen zusammen", erklärt Grabenhofer, auch wenn die letzte Unterschrift unter die Förderung noch nicht geschrieben wurde. Grabenhofer zeigt auf einen der Kanäle, die inzwischen mit einfachen Barrieren so verschlossen wurden, dass kaum mehr Wasser nach Ungarn abfließen kann.

Mit Brettern hat man diesen Entwässerungskanal in Illmitz inzwischen verschlossen.
Nationalparks Austria / Gillmann

Wir hingegen radeln im rund 300 Quadratkilometer großen Nationalpark, von dem 100 Quadratkilometer in Österreich liegen, weiter in Richtung Nachbarland. Unser Ziel ist die Mexiko-Puszta, gleich hinter der Grenze. Auf dem Weg dorthin sind wir froh, auf E-Bikes zu sitzen. Der kräftige Südwind und die Schotterstraßen leisten ordentlich Widerstand beim Radeln. Aber mithilfe des Motors geht es gut, und wir kommen sogar zum Plaudern.

"Mein Opa hat immer gesagt: ,Wenn drei Tage der Wind aus dem Süden kommt, dann kommt danach auch der Regen zu uns.‘", erzählt Harry Grabenhofer. Regenwetter, das aus dem Westen komme, bringe nur selten Niederschlag im Osten des Neusiedler Sees. Die Thermik über dem See leitet viele der Wolken, die es über das Leithagebirge schaffen, ab, bevor im Seewinkel ein einziger Tropfen Wasser fällt.

Jetzt waht wieder der Südwind

Doch Anfang Mai war es tatsächlich wieder so weit. Nach unserer Tour regnete es mehrere Tage durch. Aber nicht nur, dass es regnet, ist wichtig, sondern auch wie heftig. Regnet es wenig, verdunstet ein Teil gleich und bis ins Grundwasser kommt kaum Wasser. Starkregen hilft auch nur bedingt. Bei heftigen Niederschlägen wird zu viel Oberflächenwasser direkt abgeleitet und kann erst wieder nicht versickern. Hinzukommt, dass die Drei-Tage-Südwind-Regel vom Grabenhofer-Opa in den vergangenen Jahren nicht mehr immer zugetroffen hat.

Um die über viele Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft der Wiesen und Weiden zu erhalten – und mit ihnen "eine unheimlich große Artenvielfalt" – müssen zudem diese Flächen gemäht und beweidet werden. Rund 200 Wasserbüffel und Graurinder leben im Nationalpark Neusiedler See. Der Hunger der Rinder hält die Vegetation kurz. Und der Viehtritt verhindert, dass sich etwa Schilf im Rand von Lacken ansiedeln kann. Aber auch bei der Beweidung gibt es Probleme.

Etwa 200 Graurinder und Wasserbüffel leben im Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel.
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Das Halten der Tiere ist teuer. Der Nationalpark muss daher überlegen, die Anzahl der Rinder zu reduzieren. Dann wären das aber zu wenige Tiere für die große Fläche. Mit Bauern aus der Gegend zusammenzuarbeiten gestaltet sich zum Teil heikel. Aber es gibt auch Vorzeigeprojekte.

An die 100 Kühe des Rinderzüchters Mario Fleischhacker leben mit ihren Kälbern im ¬Nationalpark in der Nähe von Illmitz und beweiden dort Flächen, auf denen sie das auch dürfen. Weil die Förderungen für die Mahd der Weide höher sind, als wenn Fleischhackers Kühe darauf schauen, dass alles im Gleichgewicht bleibt, lassen nicht alle Besitzer und Pächter die Rinder auf ihre Weidestücke. Dabei würden mehr Rinder dem Nationalpark guttun, ist Grabenhofer überzeugt. Vor allem Bio-Rinder wie die von Mario Fleischhacker.

Die Kühe von Michael Fleischhacker werden von einem Hirten begleitet, der die Rinder dorthin führt, wo sie auch weiden dürfen.
APA/HELMUT FOHRINGER

Der Mist der Rinder ist ein wertvoller Rohstoff für den Nationalpark – sofern die Tiere nicht mit Entwurmungsmitteln behandelt werden. "Der Dung wird von verschiedenen Insekten genutzt, die dann ihrerseits wieder Nahrung für Vögel und Insektenfresser sind", erklärt Grabenhofer. "Eine 500 Kilogramm schwere Kuh produziert so jährlich 100 Kilogramm Insektenbiomasse."

Nationalparks definieren sich dadurch, einzigartige Landschaften und Lebensräume seltener, charakteristischer und bedrohter Tier- und Pflanzenarten dauerhaft zu erhalten. Und das ist in der aktuellen Situation im Nationalpark Neusiedler See gar nicht so einfach. Ein Grund dafür ist die Trockenheit, die bis ins Frühjahr anhielt. Sie ist dafür verantwortlich, dass heuer viel weniger Graugänse im Seewinkel brüten und auf andere Orte ausgewichen sind.

Die Rinder von Mario Fleischhacker auf dem Weg von einer Weide zur anderen kümmern sich eher wenig um Radlerinnen und Radler, die ihren Weg kreuzen.
Guido Gluschitsch

Am Weg zurück von der Mexiko-Puszta haben wir Rückenwind und die E-Bikes haben es leichter mit uns. Wir fahren nicht nur an intakter Natur vorbei. Aber man bemerkt die Anstrengung des Nationalparks und man merkt, wie sich die Menschen in der Umgebung damit identifizieren. Und noch etwas fällt auf. Rund um Illmitz ist das Fahrrad kein störendes Verkehrsmittel, selbst wenn man damit auf der Straße fährt. Hier fahren nicht nur die Touristen mit dem Rad, nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Nationalparks. Da grüßt der Mann aus der schwarzen Limousine den älteren Herrn mit Hut am Rad, der es nun wirklich nicht eilig hat. Und wenn ein Auto eine Radlerin oder einen Radler anhupt, dann um zu grüßen. Zumindest war das an diesem Tag so. (Guido Gluschitsch, 25.5.2023)