Im Gastblog erklärt Rechtsanwältin Yara Hofbauer, warum nicht jede neutrale Regelung wirklich als neutral zu bewerten ist – auch im rechtlichen Kontext.

Oft sind es nicht die offen diskriminierenden Handlungen und Entscheidungen, die uns das Leben schwermachen. Gerade Vorgaben im Arbeitskontext, die an sich für alle gleich gelten, können für bestimmte Personen nachteilige Folgen haben. Handelt es sich dabei um eine mittelbare Diskriminierung, können Betroffene sich dagegen rechtlich zur Wehr setzen.

Frau im Büro schaut auf Uhr, es ist beinahe 17 Uhr.
Regelmäßige Meetings nach 17 Uhr für alle Mitarbeitenden können für jene Personen mit Betreuungspflichten zu erheblichen Schwierigkeiten führen.
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Bei einer mittelbaren Diskriminierung benachteiligt eine dem Anschein nach neutrale Regelung Personen, die auf Basis bestimmter Merkmale (zum Beispiel Geschlecht) vor Diskriminierung geschützt sind. Es geht also um die faktische Auswirkung, eine direkte Bezugnahme auf das geschützte Merkmal ist nicht erforderlich.

Unerkannt und ungesühnt

Mittelbare Diskriminierung hat viele Gesichter: Meetings werden regelmäßig nach 17 Uhr angesetzt, als Betriebsausflug wird über teils unwegsames Gelände gewandert, ein Supermarkt sucht Verkaufspersonal und gibt als Voraussetzung "Deutsch auf Muttersprachenniveau" an, die betriebsinterne Gehaltserhöhung für alle Mitarbeitenden findet mit Stichtag 1. April statt, Arbeitnehmerinnen, die sich zu diesem Zeitpunkt im Mutterschutz befinden, werden von dieser Erhöhung ausgenommen, Mitarbeitende in Teilzeitanstellung werden für Beförderungen generell nicht in Erwägung gezogen. Die Liste mittelbarer Diskriminierungen im Arbeitskontext ließe sich beliebig lang fortsetzen.

Worin liegt nun der diskriminierende Aspekt dieser Handlungsweisen? Sie führen dazu, dass Menschen mit bestimmten Merkmalen durch eine an sich neutrale Regelung oder Entscheidung (es wird ja nicht auf ein konkretes Merkmal Bezug genommen) benachteiligt werden. Eltern, vor allem von jungen Kindern, haben es ungleich schwerer, Termine nach 17 Uhr einzuhalten, gehbehinderte oder ältere Arbeitnehmende haben potenziell Schwierigkeiten, bei einer Abenteuerwanderung mitzumachen (die Wichtigkeit der Teilnahme an solchen sozialen Events im Arbeitskontext darf aber keinesfalls unterschätzt werden), Deutsch auf Muttersprachenniveau benachteiligt Personen auf Basis ihrer ethnischen Zugehörigkeit, zumal gutes Deutsch hier ausreichend wäre, die Mutterschutz bedingte Abwesenheit zum Erhöhungsstichtag als Grund für die Aussetzung der Gehaltserhöhung stellt eine Schlechterstellung auf Basis des Geschlechts dar. Teilzeitbeschäftigte sind zu einem ganz überwiegenden Teil weiblich, weshalb auch ihre Benachteiligung eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, sofern kein nachvollziehbarer Grund diese sachlich rechtfertigt.

Mittelbare Diskriminierungen durch Strukturen

Das Fehlen faktischer Gleichstellung zeigt sich insbesondere darin, dass die gesellschaftlichen Regeln und Strukturen für einige besser funktionieren als für andere. So wird als "normaler Arbeitnehmer" noch immer eine Person gesehen, die ohne Behinderungen und Betreuungspflichten dem Arbeitsplatz mindestens 40 Stunden in der Woche zur Verfügung steht und optimalerweise auch an Tagesrandzeiten gut erreichbar ist. Dies entspricht nur weder der Lebensrealität vieler Arbeitnehmenden, noch funktioniert dieses Konzept für alle gleich (schlecht). Vielmehr benachteiligt es jene, die sich unter stetiger Kraftaufwendung diesem System anpassen müssen.

Auch wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber möglicherweise Rücksicht auf unterschiedliche "Bedürfnisse" (tatsächlich sind es Anforderungen der Arbeitnehmenden, die zu erfüllen sind) ihrer Mitarbeitenden nehmen, bedeutet dies keinesfalls, dass sich die Bewertung als Abweichung des "Normalen" dadurch ändert. Das Gefühl, permanent an die eigenen Grenzen zu stoßen, das Arbeitsumfeld entweder mit den eigenen Ansprüchen zu (über)fordern oder sich selbst bis zur Selbstaufgabe anpassen zu müssen, führt nicht zuletzt auch dazu, dass viele, die eben nicht dem vermeintlich "Normalen" entsprechen, frustriert aufgeben: die Bemühung um Anerkennung, den Kampf, vom System nicht verschluckt zu werden, manchmal auch die Arbeitsstelle oder die Suche danach.

Aber nicht alle vermeintlich normalen Verhältnisse sind für hierdurch Benachteiligte einfach nur anstrengend. Einige stellen auch eine mittelbare Diskriminierung dar, die rechtlich bekämpft werden kann. Leider scheint dies bei vielen Arbeitgebenden auch der einzige Weg zu sein, um Veränderung hin zu einer Gesellschaft, in der faktische Gleichstellung besteht, zu erwirken. Er bedarf allerdings wiederum eines hohen Aufwands der betroffenen Personen selbst, und diesen fehlt aufgrund der Konfrontation mit Verhältnissen, die ihre Lebensrealitäten völlig ignorieren, dafür einfach meist die Kraft. (Yara Hofbauer, 29.5.2023)