Esa Reserveastronautin Carmen Possnig
Die Esa-Reserveastronautin und studierte Medizinerin Carmen Possnig könnte die erste Österreicherin werden, die eine Reise ins Weltall antritt.
Lara Freiburger

Ein Jahr in völliger Isolation am Südpol, monatelang bei weitgehender Dunkelheit und niedrigem Sauerstoffgehalt: Was für die meisten Menschen wie ein Albtraum klingt, war für die gebürtige Klagenfurterin Carmen Possnig eine unwiderstehliche Jobausschreibung. 2017 verbrachte sie ein Jahr in der Antarktis. Dabei war sie nicht nur an Forschungen zur Vorbereitung für Weltraummissionen beteiligt, sondern lernte auch viel über sich selbst und das menschliche Verhalten in extremer Isolation.

2022 wurde Possnig als Ersatzastronautin in die 17-köpfige Astronautenklasse der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) aufgenommen und setzte sich als einzige Österreicherin unter mehr als 22.500 Bewerbern durch. Wenn es zu einem Einsatz kommt, wäre sie die erste Österreicherin im Weltall.

STANDARD: Woher kommt Ihr Wunsch, die Erde hinter sich zu lassen?

Possnig: Das war schon immer ein Kindheitstraum von mir. Als ich acht oder neun Jahre alt war, habe ich gerne Entdeckungsreisen von Christoph Kolumbus oder Fridtjof Nansen gelesen. Ich habe es schade gefunden, dass es auf der Landkarte keine weißen Flecken mehr gibt - bis ich draufgekommen bin, dass das heutige Unbekannte das Weltall ist.

STANDARD: Was haben Sie als Reserveastronautin zu tun?

Possnig: Die Esa hat zum ersten Mal auch eine Astronautenreserve ausgewählt. Das liegt daran, dass sich die menschliche Erforschung des Weltalls im Moment sehr schnell entwickelt. Die Esa hat fünf Astronauten ausgesucht, für die Missionen feststehen. Für den Fall, dass es weitere Missionen gibt, stehen die Reserveastronauten bereit. Wir bleiben in unseren normalen Jobs und können später einer Mission zugeteilt werden.

STANDARD: Wie halten Sie sich nun für einen möglichen Weltraumeinsatz bereit?

Possnig: Derzeit haben wir noch kein spezielles Training. Das würde beginnen, wenn eine Mission ansteht. Momentan sind es allgemeine Meetings, wir bleiben in Kontakt mit dem Astronautenteam und lernen die Esa besser kennen. Wir müssen jedes Jahr medizinische Untersuchungen durchführen, um unsere Lizenz zum Fliegen zu behalten. Diese Lizenz verleihen sämtliche Weltraumorganisationen der Welt, und die Tests werden sehr ernst genommen. Daher müssen wir laufend daran arbeiten, fit zu bleiben.

STANDARD: Hauptberuflich arbeiten Sie an der Universität Innsbruck an Ihrer Dissertation zu Weltraummedizin. Worum geht es dabei?

Possnig: Aktuell haben wir eine Bettruhestudie gestartet. Unsere Probanden liegen für zwei Tage und zwei Nächte im Bett, und wir schauen uns an, was sich verändert, insbesondere bei der Blutzufuhr ins Gehirn. Astronauten werden im Weltraum häufig weitsichtig, und es kommt zu anatomischen Veränderungen der Augen. Das passiert schon nach ein paar Monaten im All und könnte bei langen Weltraumreisen ein großes Problem werden. Bei einer Reise zum Mars muss man mit einer Drei-Jahres-Mission rechnen. Wir wollen auch wissen, welche Gegenmaßnahmen man anwenden könnte.

STANDARD: Welche medizinischen Probleme müssten noch gelöst werden, damit Sie sich in ein Raumschiff Richtung Mars setzen würden?

Possnig: Das größte Problem ist die Strahlenbelastung. Sobald wir das schützende Magnetfeld der Erde verlassen, sind wir der Sonnenstrahlung und der kosmischen Hintergrundstrahlung ausgesetzt, und beide könnten gefährlich für uns werden. Wir wissen von Krebstherapien oder von Atombombenexplosionen, was passiert, wenn man eine hohe Strahlendosis auf einmal abbekommt. Aber wir wissen nicht, was passiert, wenn man über längere Zeit Strahlung aufnimmt. Bei Marsmissionen rechnen wir, dass das noch etwa 20 Jahre dauert. Bis dahin denke ich, dass das Problem gelöst ist, und dann würde ich fliegen.

STANDARD: Welche weiteren Probleme müssen gelöst werden?

Possnig: Das Problem Nummer zwei sind die Augenveränderungen: Bevor wir längere Weltraumreisen unternehmen, müssen wir sichergehen, dass die Astronauten nicht blind ankommen. Eine weitere Herausforderung ist das menschliche Verhalten. Solche Missionen sind sehr stressig, und man weiß nicht, wie Menschen reagieren, wenn sie die Erde hinter sich verschwinden sehen als kleinen Punkt am Horizont.

STANDARD: Der Stress durch soziale Isolation ist Ihnen bereits durch Ihre Südpolexpedition bekannt, wo Sie über Monate mit einer kleinen Gruppe von der Außenwelt abgeschnitten waren. Was kann man aus so einem Jahr in der Einsamkeit für Weltraumreisen lernen?

Possnig: Es ist bei der Zusammenstellung der Gruppe sehr wichtig, dass man auf den Charakter der Personen achtet und darauf, wie sie als Team funktionieren. Man muss sich genau die jeweiligen Strategien zur Stressbewältigung ansehen und auch, ob die in einem Raumschiff umsetzbar sind.

STANDARD: Was haben Sie über sich selbst in diesem Jahr der Isolation gelernt?

Possnig: Man lernt sich natürlich sehr gut kennen, auch weil man sehr viel Zeit hat zum Nachdenken. In der gewohnten Umgebung, unter Freunden oder in der Familie nimmt man immer verschiedene Rollen ein. Bei so einer Mission sind die Kollegen zugleich auch Freunde und Familie. Sie sind dort alles, was man hat, und dadurch funktionieren diese Rollen nicht mehr - alles verschwimmt. Man lernt sich selbst und die anderen sehr gut kennen, den puren Charakter hinter der Fassade.

STANDARD: Was sagt Ihr Umfeld eigentlich dazu, dass Sie möglicherweise einmal ins All fliegen werden?

Possnig: Dass ich ein Jahr am Südpol verbracht habe, hat alle sehr überrascht und war ein gutes Herantasten an das nächste Abenteuer.

STANDARD: Die Sehnsucht der Menschen, die Erde zu verlassen, ist nicht neu. Was ist so reizvoll daran?

Possnig: Wir Menschen haben einfach den Drang, Unbekanntes zu erforschen. Am Mars ist vieles extrem faszinierend. Es könnte dort außerirdisches Leben geben, zwar keine grünen Männchen, aber Mikroben durchaus. Die Theorien zu den Ursprüngen des Lebens sind wahnsinnig spannend: Ist das Leben auf dem Mars von der Erde gekommen, oder ist das Leben auf der Erde ursprünglich vom Mars gekommen durch Meteoriten?

STANDARD: Um den Mars zu erforschen, muss man ihn nicht unbedingt besiedeln. Halten Sie eine Kolonisierung unseres Nachbarplaneten für eine gute Idee?

Possnig: Der Mars ist ein toller Ort für Wissenschafter, um dort eine Zeitlang zu forschen. Es wäre aber falsch zu glauben, dass wir auf dem Mars eine zweite Erde finden. Er hat nicht einmal eine Atmosphäre, und wenn wir die Technologien hätten, um den Mars lebensfreundlich zu machen, dann könnten wir auch den Klimawandel auf der Erde rückgängig machen. Das können wir nicht, wir können also nicht sagen: Wir fliegen jetzt zum Mars, und es ist uns egal, wie wir die Erde zurücklassen. (Interview: Tanja Traxler, 29.5.2023)