Grafik EQ Gehirn Tiere
Das Spatzenhirn ist in Relation zu seiner Größe viel größer als das Gehirn des Elefants.
Grafik: Fatih Aydogdu

Lange Zeit schien Intelligenz – wie Sprache – allein uns Menschen vorbehalten, doch diese Idee ist längst obsolet: Immer mehr Tiere erbringen erstaunliche kognitive Leistungen –und zwar nicht nur unsere nächsten Verwandten, sondern auch Organismen, die ursprünglich gar nicht nach Konkurrenz aussahen, wie Vögel und Insekten. Doch was entscheidet darüber, wie intelligent eine Art ist?

Was ist überhaupt Intelligenz? Grob gesprochen die Fähigkeit zur Lösung von Problemen, die in der Umwelt eines Lebewesens auftreten, wobei Lernen und Werkzeuggebrauch zu den Königsdisziplinen gehören. Dass wir Menschen diesbezüglich unübertroffen sind, steht außer Zweifel, aber was ist mit den anderen Tieren?

Wer kommt uns diesbezüglich am nächsten, und woran lässt sich ablesen, wer die meistversprechenden Kandidaten sind? Der Versuch, Parameter zu finden, anhand derer auf die Leistungsfähigkeit von Gehirnen geschlossen werden kann, ist alt – und war lange Zeit stark von dem Bedürfnis geprägt, unsere überragende Selbstwahrnehmung als Krone der Schöpfung zu untermauern.

Hirngröße vs. Intelligenz

Eine naheliegende Idee war, die Hirnmasse als bestimmenden Faktor anzunehmen, nach der simplen Formel: Je größer das Gehirn, desto höher die Intelligenz. Dieser Ansatz birgt allerdings Probleme: Zuerst einmal ist das Gehirn von kleinen Tieren im Verhältnis zu ihrer Körpermasse sehr groß – und umgekehrt. Das Gehirn von Pottwalen wiegt bis zu neun Kilogramm. Das klingt beeindruckend, aber wenn man bedenkt, dass die Meeressäuger rund 45 Tonnen schwer sind, macht ihr Gehirn gerade einmal 0,02 Prozent davon aus.

Grafik EQ Gehirn Tiere
Pottwal vs Spitzmaus, Delfin vs Ameise.
Grafik: Fatih Aydogdu

Das Gehirn der Etrusker-Spitzmaus hingegen, ihres Zeichens eines der kleinsten Säugetiere der Welt, wiegt 60 Milligramm, was bei dem insgesamt nur zwei Gramm schweren Tier immerhin drei Prozent bedeutet. Das menschliche Gehirn mit seinen rund 1,5 Kilo hat übrigens etwa zwei Prozent Anteil an unserem Körpergewicht. Nach diesem Konzept müssten Spitzmäuse sowohl Wale als auch uns geistig locker in die Tasche stecken, und das tun sie nachweislich nicht.

Dazu kommt, dass mittlerweile eine Menge beeindruckende kognitive Leistungen von Tieren bekannt sind, die in absoluten Zahlen gemessen sehr kleine Gehirne haben. Raben etwa zeigen Verhaltensweisen, die man auch von Menschenaffen kennt, mit einem Denkorgan in der Größe einer Walnuss. Auch die deutlich massigeren Krokodile werden von einem kaum größeren Gehirn gesteuert. Das hindert Sumpfkrokodile (Crocodylus palustris) jedoch nicht daran, sich potenzielles Nistmaterial für Wasservögel auf die Nase zu legen und zu warten, bis die Vögel es sich holen kommen.

Menschenhirn und Tiergehirne
Das Menschenhirn ist vergleichsweise groß.
Grafik: Fatih Aydogdu

Und dann sind da natürlich noch die Leistungen von Insekten: Honigbienen, deren Gehirn gerade einmal einen Kubikmillimeter einnimmt, meistern komplexe Lernaufgaben, wie etwa, den Weg aus einem Labyrinth anhand von farbigen Symbolen zu finden. Erdhummeln (Bombus terrestris) sind unter anderem imstande, sich von Artgenossen abzuschauen, wie sie an eine Belohnung kommen. Ein Gegenbeispiel findet sich in unserer eigenen Verwandtschaft: Der Neandertaler hatte mit durchschnittlich knapp 1,5 Kilo ein Gehirn, das größer war als der heutige Durchschnitt.

Was ist der EQ?

Dieser Problematik versuchte der vor 50 Jahren entwickelte Enzephalisationsquotient, kurz EQ, Rechnung zu tragen (siehe Grafik rechts). Er bezeichnet das Verhältnis zwischen Gehirngewicht, das bei einer Art tatsächlich gemessen wird, und dem, das angesichts ihres Körpergewichts eigentlich zu erwarten wäre. Dabei schneiden wir Menschen hervorragend ab: Wir haben etwa siebenmal so viel Hirn, wie wir haben sollten.

Zum Vergleich: Der EQ von Großen Tümmlern liegt etwa bei fünf, von Schimpansen etwa bei zwei, von Katzen bei eins und von Ratten bei 0,4. Tiere mit kleinem Hirn, aber hohem EQ sollten also höhere kognitive Leistungen erbringen als Arten mit großem Hirn, aber kleinem EQ, was sich in der Praxis allerdings nicht bewahrheitet: Kapuzineraffen besitzen einen viel höheren EQ als Gorillas, verfügen aber keineswegs über deren geistige Fähigkeiten.

Grafik Gehirngröße versus Körpergewicht
Der Median zeigt auf Basis aller Lebewesen, wie groß das Gehirn nach Körpergewicht sein müsste. In der Realität gibt es aber viele Lebewesen mit einem deutlich kleiner oder größer konzipierten Gehirn.
Grafik: Fatih Aydogdu

Im Zuge neuerer Forschung mussten wir uns nicht nur von Teilen unserer geistigen Vormachtstellung verabschieden, sondern auch von der Rolle als Vorbild für alle anderen: Noch vor nicht allzu langer Zeit traute man etwa Vögeln so gut wie keine Intelligenz zu, weil sie keine Großhirnrinde wie wir haben, und Insekten galten praktisch als fix verdrahtete, instinktgesteuerte kleine Maschinen.

Entgegen früheren Auffassungen sind die Gehirne von "niederen" Tieren jedoch keine unvollkommenen Abzweigungen auf dem Weg zum überragenden Säugerhirn. Vielmehr haben sich Gehirne im Laufe der Evolution bei verschiedenen Organismengruppen unterschiedlich entwickelt. Ein leistungsfähiges Verarbeitungsorgan kann auch ganz anders organisiert sein, als das bei den Säugetieren der Fall ist. Heute geht man davon aus, dass mehrere Faktoren über kognitive Kapazitäten entscheiden.

Neuronen als Schlüssel

Eine tragende Rolle spielen unter anderem die vorhandene Menge an Neuronen und deren Verbindungen untereinander. Was die Neuronenmenge betrifft, hängt diese naturgemäß von der Größe des Gehirns ab, aber auch von der Größe der Neuronen selbst und davon, wie dicht sie gepackt sind. So finden sich im winzigen Gehirn der Honigbiene fast eine Million Neuronen, in Rabengehirnen mehrere Millionen. Letzteres entspricht in etwa den Verhältnissen in den Köpfen von Kapuzineraffen, die einfache Werkzeuge herstellen und benutzen können.

Tiergehirn
Das Gehirn-Körper-Masse-Verhältnis diente lange Zeit zur Einschätzung tierischer Intelligenz. Heute weiß man, dass dieses Modell vielfach ungenau ist. Dennoch ergeben sich interessante Vergleich, etwa zwischen Giraffe, Frosch, Virginia Uhu und Nilpferd.
Fatih Aydogdu

Welche Leistungen diese Neuronen ermöglichen, hängt wieder massiv von ihrer Vernetzung ab, und diese ist in vielen Fällen durchaus formbar: So entwickeln Laborratten, deren Käfige abwechslungsreich gestaltet sind, eine dickere Hirnrinde als Artgenossen ohne erhöhte Betätigungsmöglichkeit. Bei Honigbienen, die zum Sammeln draußen unterwegs sind, vergrößern sich die sogenannten Pilzkörper – Strukturen, die bei Insekten eine wichtige Rolle für Lernen und Gedächtnis spielen. Auch Londoner Taxifahrer, die sich zehntausende Straßen und Sehenswürdigkeiten merken, haben einen vergrößerten Hippocampus, der bei Säugern mit Lern- und Merkaufgaben befasst ist.

Nachteile der Intelligenz

So wichtig Intelligenz für uns Menschen ist – in der Natur ist sie per se nicht erstrebenswert: Es kostet nämlich viel Energie, Gehirnzellen zu versorgen. Rund 20 Prozent unseres gesamten Energieverbrauchs gehen auf dieses Konto. Zudem legen Untersuchungen künstlicher neuronaler Netze nahe, dass komplexe kognitive Prozesse wie Kategorisierungen oder das Erkennen einfacher mathematischer Zusammenhänge schon mit verhältnismäßig wenigen Neuronen machbar sein könnten.

Grafik EQ Gehirn Tiere
Interessante Vergleiche zwischen Gehirngrößen von Honigbiene, Kuh und Schimpanse
Grafik: Fatih Aydogdu

Wieso viele Arten, inklusive der unseren, sich trotzdem ein so "teures" Organ leisten, wird intensiv diskutiert. Größere Gehirne erlauben eine bessere Auflösung und daher mehr Genauigkeit bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken. Sie haben deutlich mehr Speicherkapazität. Das wiederum birgt mehr Potenzial für innovative Problemlösungen, was etwa die Überlebenschance bei sich rasch ändernden, unvorhersehbaren Umweltbedingungen deutlich erhöht. (Text: Susanne Strnadl, Grafik: Fatih Aydogdu, 16.6.2023)