Sevilla-Spieler Joan Jordan räumt im Europa-League-Spiel bei PSV Eindhoven einen Bierbecher weg
Sevilla-Spieler Joan Jordan räumt im Europa-League-Spiel bei PSV Eindhoven einen Bierbecher weg.
IMAGO/ANP

Am vergangenen Wochenende mussten drei Spiele im niederländischen Fußball zwischenzeitlich unterbrochen werden. Während das für beiläufige Beobachter bereits eine erstaunlich große Zahl ist, muss man aus niederländischer Sicht sagen: Das war ein Fortschritt! Am Wochenende zuvor waren noch ganze sieben Spiele in der ersten und zweiten Liga unterbrochen worden, eines sogar abgebrochen. Die Ursachen: einerseits verhaltensauffällige Fans, andererseits eine neue strikte Regel des niederländischen Fußballverbandes KNVB. Kritik bekommen beide ab.

Fanprobleme

Vorneweg: Ja, der niederländische Fußball hat ein Fanproblem, dazu reicht allein ein Nachrichtenauszug aus dieser Saison. Im vergangenen November hat der europäische Fußballverband Uefa Feyenoord zu 50.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Fans hatten nach dem Europa-League-Spiel bei Sturm Graz teils massive Sachbeschädigungen rund um das Stadion in Liebenau verursacht. Anfang Mai wurden mehr als 150 Alkmaar-Fans festgenommen, weil diese auf ihrem Weg zum Spiel in Amsterdam antisemitische Parolen skandiert hatten.

Zuletzt haben AZ-Anhänger versucht, nach dem Out gegen West Ham in der Conference League in einen Bereich für Familien und Freunde der Engländer zu gelangen, und damit ein Handgemenge provoziert. Alkmaar-Abwehrspieler Pantelis Hatzidiakos sagte danach: "Solche Leute bezeichne ich nicht als Fans."

Sorgenkind Groningen

Und in den vergangenen Monaten sorgte auch noch der FC Groningen für Schlagzeilen. Ende Jänner kassierte Verteidiger Jetro Willems einen Schlag von einem eigenen Anhänger.

Prügel-Attacke! Fan schlägt Ex-Frankfurter Jetro Willems! | FC Groningen - SC Heerenveen
Szene ab 1:07.
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Am 22. April flog während der Heimpartie gegen NEC Nijmegen ein Bierbecher auf die Füße des Linienrichters. Die Partie wurde nach 18 Minuten abgebrochen.

Spielabbruch nach Becherwurf! Skandal in der Eredivisie | FC Groningen - NEC Nijmegen
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14. Mai: Groningen-Fans werfen im Spiel gegen Ajax Rauchbomben aufs Spielfeld. Ein Anhänger stürmt dieses auch. Unterbrechung nach sechs Minuten Spielzeit. Nach Wiederanpfiff folgen weitere Würfe. Endgültiger Abbruch nach neun Minuten.

Erneuter Spielabbruch in der Eredivisie! | FC Groningen - Ajax Amsterdam
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Laut "Dagblad van het Noorden" haben Hooligans den Verein "unter Kontrolle", sollen Klubmitarbeiter regelmäßig bedrohen. Als ein Security-Mitarbeiter Feuerwerkskörper bei einem Fan entdeckte, habe dieser ihm erwidert, dass er nichts sagen solle, denn "ich weiß, wo deine Kinder zur Schule gehen". Groningen, das nach 28 Jahren absteigt, wird das Heimspiel am Sonntag am letzten Spieltag gegen Sparta Rotterdam ohne Fans austragen.

Der KNVB ist sich des Problems durchaus bewusst. Beim "Klassieker" sind als Reaktion auf Krawalle seit 2009 keine Auswärtsfans mehr zugelassen. Und das Duell Feyenoord gegen Ajax Amsterdam sorgte Anfang April auch für eine Regelverschärfung.

Regel verschärft nach Skandal-"Klassieker"

Ein Feyenoord-Fan hatte damals im Cup-Semifinale einen Gegenstand, vermutlich ein Feuerzeug, aufs Spielfeld geworfen. Dieses traf Ajax-Spieler Davy Klaassen am Kopf. Er erlitt eine Platzwunde. Das Spiel wurde damals für eine halbe Stunde unterbrochen. Ajax siegte letztlich 2:1, das Nachspiel folgte aber in den Tagen danach.

Der KNVB legte eine neue Vorgehensweise fest. Sobald ein Gegenstand, sei es ein Feuerzeug oder eben auch ein Bierbecher, aufs Spielfeld geworfen wird, wird das Spiel unterbrochen. Wird nach Wiederanpfiff neuerlich ein Gegenstand aufs Spielfeld geworfen, soll die Partie abgebrochen werden. Der Bürgermeister des Heimvereins hat hier das letzte Wort. Wird ein Spieler oder Schiedsrichter vom Gegenstand getroffen, wird das Spiel sofort abgebrochen. Und diese Regel wird seither konsequent durchgezogen. Ein paar Beispiele:

13. Mai: Utrecht-Spieler Anastasios Douvikas trifft in der 60. Minute zum 1:0 gegen RKC Waalwijk und feiert den Treffer vor dem eigenen Anhang. Dabei wird ein Bierbecher Richtung Jubeltraube geworfen. Das Spiel wird unterbrochen. In der Nachspielzeit erzielt Zakaria Labyad das 2:0. Wieder Becherwürfe. Utrechts Bürgermeisterin Sharon Dijksma entscheidet, dass die letzten beiden Minuten fertig gespielt werden. Die Akteure auf dem Feld bringen die Partie in Gijon-Manier hinter sich, greifen nicht mehr an.

Abbruch abgewendet - Spieler beenden Partie in stillem Protest | FC Utrecht - RKC Waalwijk
Szenen ab 0:41 bzw. 1:31.
Eredivisie | Sportdigital FUSSBALL

13. Mai: Volendams Xavier Mbuyamba gleicht gegen Sparta Rotterdam zum 1:1 aus. Bierbecher landen auf dem Spielfeld. Schiedsrichter Jannick van der Laan schickt die Teams in die Kabine. Spielunterbrechung.

✌🏻 Mbuyamba met twee goals de grote man | Samenvatting FC Volendam - Sparta Rotterdam: 2 - 1
Szene ab 4:04.
FC Volendam

19. Mai: Telstar gleicht in der Nachspielzeit gegen NAC Breda aus. Ein Bierbecher fliegt aufs Spielfeld. Spielunterbrechung.

Samenvatting Telstar - NAC Breda (19-05-2023)
Szene ab 1:17.
Keuken Kampioen Divisie

"Nicht jedes Bierchen ist gefährlich"

Der Abbruch bei Groningen gegen Ajax ist als Ergebnis einer konzertierten Aktion einer größeren Fangruppe zu werten. Ein Großteil der anderen Zwischenfälle wird unter dem Begriff "Vreugdebier" zusammengefasst. Kurz übersetzt: "Freudenbier", also Gerstensaft, der aus Freude oder Euphorie nach Toren des eigenen Teams verschüttet wird.

Wegen der zahlreichen Spielunterbrechungen ist in den Niederlanden eine Diskussion entbrannt, ob die KNVB-Regel nicht zu streng ausgelegt wird. "Nicht jedes Bierchen ist gefährlich", sagt Matthijs Keuning, der Vorsitzende der niederländischen Supportervereinigung der Nos. Man müsse sich die Fälle vereinzelt ansehen. "Hätte Utrecht gegen RKC wirklich zweimal gestoppt werden müssen?", fragt sich Keuning. "Wenn aus Freude ein Bier auf dem Spielfeld landet, frage ich mich, ob es wirklich der richtige Weg ist, ein Spiel zu stoppen." Wenn man das zu starr handhabe, "lässt man sich von ein paar Verrückten zur Geisel nehmen".

Ajax-Kapitän Dusan Tadic stellte den Abbruch gegen Groningen in Zweifel. "Jetzt bekommen die Täter die Aufmerksamkeit, die sie wollen", sagte der Serbe. Stattdessen solle man an die weinenden Kinder denken, die ihre Stars nur neun Minuten sehen konnten.

Rauchbombe Groningen
Groningen.
EPA

Dichter Spielplan

Zudem bereitet der Terminkalender Sorgen. Bis Mitte Juni werden Ab- und Aufstieg sowie die letzten Europacupplätze in Playoffs ausgespielt – im Drei-Tage-Rhythmus. Da ist kaum Platz für Nachholspiele. Der KNVB will sich zu einzelnen Vorfällen nicht äußern. Die Regeln werden im Sommer evaluiert und gegebenenfalls überarbeitet, teilte er "Voetbal International" mit. Bis dahin bleiben sie unverändert, heißt es. Nachholspiele seien prinzipiell für den Folgetag um 12 Uhr angesetzt.

Rückendeckung für KNVB-Regel

Der niederländische Fußballverband erhält auch Rückendeckung für die strikte Vorgehensweise. Evgeniy Levchenko, der Vorsitzende der Spielergewerkschaft, sagt: "Der KNVB muss das streng handhaben." Es sei zwar keine gute Lösung, weil auch wohlwollende Fans betroffen seien. "Aber es gibt keine bessere Alternative."

Für Bredas Bürgermeister Paul Depla ist der Weg richtig. "Die echten Fans zeigen, dass Leute, die Gegenstände aufs Spielfeld werfen, nicht mit ihrer Unterstützung rechnen können." Das zeigte etwa der 12. Mai: Apostolos Vellios schoss für den Zweitligisten PEC Zwolle mit einem spektakulären Fallrückzieher das 3:1 gegen Roda Kerkrade. Euphorisierte Heimfans warfen Becher aufs Spielfeld. Spielunterbrechung. Bilder aus dem Fansektor zeigen, wie die Heimfans wütend auf die Becherwerfer zu reagieren scheinen.

Samenvatting PEC Zwolle - Roda JC Kerkrade | Keuken Kampioen Divisie
Szene ab 3:25.
PEC Zwolle

Auch die niederländische Justizministerin Dilan Yeşilgöz-Zegerius befürwortet die strengen Regeln. Man müsse dafür sorgen, dass Ordner sicher ihrer Arbeit nachgehen könnten. Für NEC-Geschäftsführer Wilco van Schaik sind die Regeln komplex und benötigten im Sommer eventuell eine Feinabstimmung, sagt er "AD". "Aber niemand darf es normal finden, dass Bier aufs Feld geworfen wird. Das passiert im Theater auch nicht nach einem guten Witz."

Die Diskussion zeige vielmehr, dass man all die Jahre zu nachsichtig gewesen sei. "Der Fußball war ein Freistaat", sagt van Schaik. "Mit den neuen Regeln kommt der Eiter aus der Wunde". Man dürfe sich dieser Unruhe nun nicht beugen und keine Zugeständnisse machen. "Von denen gibt es in der Gesellschaft eh schon genug", sagt der NEC-Geschäftsführer. Im Hinblick auf die Tadic-Kritik sagt er, es sei zwar schrecklich für Kinder, dass ein Spiel abgebrochen werde. "Aber das passiert ja genau deswegen, damit sie auch in den kommenden Jahrzehnten sicher zum Fußball gehen können."

Schiedsrichter zu Fans: "Macht es einfach nicht"

Der frühere Groningen-Geschäftsführer Hans Nijland stimmt van Schaik zu. Für ihn sei denkbar, Bier wie in England auf den Tribünen zu verbieten. Weitere Sicherheitsnetze vor den Tribünen seien auch möglich.

Schiedsrichter Danny Makkelie äußerte sich nach der ebenfalls unterbrochenen Partie Twente Enschede gegen NEC Nijmegen zur Causa. Man könne diskutieren, ob eine Partie bereits nach einem oder erst nach drei geworfenen Bieren unterbrochen werden solle. "Aber wo ist dann die Grenze?", fragt der Referee. Er rät deshalb Fans: "Macht es einfach nicht. Sei vernünftig, trinke dein Bier, und feiere einfach das Tor." Nachsatz: "So ein Bier kostet ja auch was." (Andreas Gstaltmeyr, 27.5.2023)