Men at Work (v. li.): Wolfgang Gantner, Tobias Urban und Florian Reither, drei der vier Gelatin-Herren, hackeln mit vereinten Kräften an den Brunnenfiguren. Bemalung folgt.
Christian Fischer

Ein hagerer, gelblicher Haberer lässt den Kopf hängen. Sinnkrise, zu viel getrunken oder beides. Davon bekommen die zwei gegenüberliegenden Figuren aber nichts mit, fröhlich ineinander verkeilt, wie sie sind.

33 sind es insgesamt. 33 überlebensgroße Figuren, die für die Wienerinnen und Wiener stehen und die Popsch an Popsch sitzend mit der Körpervorderseite nach außen einen Reigen bilden. Sie sind Brunnen. Sie sind WirWasser – so heißt der Entwurf, mit dem sich das Künstlerkollektiv Gelatin in einem geladenen Wettbewerb der Stadt Wien in Zusammenarbeit mit KÖR (Kunst im öffentlichen Raum) durchsetzen konnte. Der Auftrag: Einen Brunnen für die Ecke Sonnwendgasse/Gudrunstraße im zehnten Bezirk gestalten. Im Oktober wird er dort feierlich eröffnet werden; dann jährt sich auch die Inbetriebnahme der ersten Hochquellwasserleitung zum 150. Mal.

Bis dahin müssen Gelatin noch einige Meter machen. In einer großen Werkstatt in Wien-Floridsdorf wird geschweißt und mit Spezialbeton von der TU gegossen, jede der Figuren wird anders hergestellt, eine kommt sogar aus dem 3D-Drucker. Diversität nicht nur beim Aussehen der 33 im Kreis Lümmelnden, sondern auch bei deren Herstellung. Auf einem Tisch steht das Modell aus Plastilin, daneben liegt eine Liste, auf der vermerkt ist, welcher der vier Gelatin-Herren, namentlich Wolfgang Gantner, Ali Janka, Florian Reither und Tobias Urban, für welche Figur hauptverantwortlich ist:

"Oft geben Künstler und Künstlerinnen Zeichnungen ab und übergeben diese ausführenden Firmen. Wir haben die größte Freude dabei, alles selbst zu machen", berichtet Gantner, verweist aber natürlich auch auf die zahlreichen helfenden Hände, eine Mischung aus Künstlerinnen und Hacklern, die bei einem solchen Mammutprojekt mitarbeiten. Insgesamt sind es an die 20.

33 Popsch an Popsch sitzende Figuren stehen für Zusammenhalt und die Wienerische Version der "joie de vivre": Knotzen und Schauen.
Wiener Wasser/Zinner

Die Idee des Brunnens kam Gelatin, weil sie schon einmal etwas Ähnliches mit Freundinnen und Freunden machten. Damals setzten sich zwölf Leute im Kreis hin, Wasser wurde in deren Mitte gegossen, das dann auch nicht auslief. Im temporären Becken konnte dann eine Person planschen. Die Botschaft ist unmissverständlich, und wäre der Brunnen ein Wahlplakat, würde wohl "gemeinsam" darauf stehen.

Parteipolitik machen wollen Gelatin aber definitiv nicht, auch nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kommen: "Wir rücken in unserer Kunst keine Probleme in den Fokus. Wir wollen etwas schaffen – wurscht ob in der Galerie, im Museum oder im öffentlichen Raum –, über das sich die Leute freuen, und wenn sie sich ärgern, ist’s auch super. Es soll etwas zwischen Werk und Betrachtenden passieren."

Favoriten ist nicht Hietzing

Der neue Jubiläumsbrunnen wird nach dem Hochstrahlbrunnen auf dem Schwarzenbergplatz der zweitgrößte Brunnen sein, den die Magistratsabteilung 31, Wiener Wasser, betreut, heißt es aus deren Presseabteilung. Die Kosten belaufen sich auf insgesamt 1,8 Millionen Euro netto. Er soll für ein angenehmeres Mikroklima, eine bessere Aufenthaltsqualität und Aufwertung des Platzes sorgen und schließt an die Tradition künstlerisch gestalteter Brunnen an, die in Wien seit dem 16. Jahrhundert besteht.

Nun kommt ein "Kunstbrunnen" in ein junges Stadtviertel. "Wir haben viele Jahre ein Atelier im Zehnten gehabt, wir kennen den Bezirk. Du hast dort alles, es ist lebendig, da ist Wien bunt und eine wirkliche Großstadt – wenn wir den Brunnen in Hietzing gemacht hätten, hätte der wohl anders ausgeschaut", lacht Gantner.

Gelatin haben in ihrer langen, internationalen Karriere zwischen Performance, Skulptur und Film bereits einige Projekte im öffentlichen Raum verwirklicht. In Österreich wäre die begehbare Nase in der Wachau zu nennen, aber natürlich auch ein anderes Projekt aus dem Bereich des Brunnenbaus, Springbrunnenbaus, um genau zu sein: Der skandalisierte Arc de Triomphe, die Darstellung eines eine Brücke schlagenden, sich selbst in den Mund urinierenden Mannes, die in Salzburg ausgestellt und aufgrund großer Empörung wieder abgebaut werden musste. "Es ging uns damals ja nicht darum, einen Penis zu zeigen, sondern einen Menschen, der aus sich selbst heraus rundum glücklich ist." Das war vor 20 Jahren. Seither ist viel Wasser die Hochquellleitung heruntergeflossen. Ein Skandal ist beim Jubiläumsbrunnen nicht zu erwarten. Dieses Mal wischerln die Figuren ja auch nicht, sie spucken nur. (Amira Ben Saoud, 30.5.2023)

Tipp

Wem’s bis zur Brunneneröffnung zu lange dauert, der gehe ins Kino: Der Film "Stinking Dawn" von Gelatin und Liam Gillick feiert am 1. 6. um 19 Uhr im Wiener Stadtkino Premiere.