Den Fall ins Rollen gebracht hatte eine betroffene Frau, die keinen Anspruch auf Wochengeld hatte. Wird das Gesetz nicht repariert, droht Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren der EU.
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Rasches Kinderkriegen führt zu finanziellen Nachteilen: Frauen, die zuvor erwerbstätig waren, jedoch während ihrer Karenz erneut schwanger werden, haben während des Mutterschutzes mit dem neuen Baby keinen Anspruch auf Wochengeld. Laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH) vom August des Vorjahres widerspricht diese Regelung jedoch EU-Recht. Bislang hat die türkis-grüne Regierung das Gesetz allerdings nicht repariert.

Schon als diese Regelung im Zuge der Reform des Kinderbetreuungsgeldes im März 2017 in Kraft getreten war, wurde Kritik daran laut, weil sie für viele Frauen, die knapp hintereinander Kinder bekommen, finanzielle Einbußen bringt. Wochengeld für das zweite Kind bekommen seitdem nämlich nur Frauen, die entweder direkt davor gearbeitet haben oder zu Beginn des Mutterschutzes noch Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld hatten.

Den Fall ins Rollen gebracht hatte Bettina Pichler. Die Steirerin ist bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) beschäftigt und wurde während ihrer Karenz mit dem zweiten Kind schwanger. Für die Zeit, in der sie einem Beschäftigungsverbot vor der zweiten Geburt unterlag – also in Mutterschutz war –, konnte sie weder Anspruch auf Wochengeld noch auf Entgeltfortzahlung geltend machen. Sie wandte sich an die Gewerkschaft, die ihren Fall – nachdem das Erstgericht der Klage stattgab, das Berufungsgericht das Urteil allerdings aufhob – schließlich vor den OGH brachte. Dieser stellte im August 2022 fest, dass die geltende österreichische Gesetzeslage gegen die Mutterschaftsrichtlinie der EU verstoße. Laut dieser müssen zumindest 14 Wochen Anspruch auf Wochengeld oder Entgeltfortzahlung sichergestellt sein.

Gewerkschaft will Reform

"Sinn der Klage war, etwas zu verändern. Ich bin sehr froh, dass betroffenen Müttern damit geholfen ist", sagt Pichler im STANDARD-Gespräch. Der Gesetzgeber habe "Sorge zu tragen, dass die sogenannte Wochengeld-Falle weggeschafft wird", sagt Pichlers Anwalt Alois Obereder zum STANDARD. Dem Gesetzgeber stehe es dabei frei, die finanzielle Absicherung dieser Frauen im Mutterschutz durch Sozialleistung wie Wochengeld oder Entgeltfortzahlung zu gewährleisten.

Auch GPA-Vorsitzende Barbara Teiber fordert die Regierung auf, die "Wochengeld-Falle" gesetzlich zu reparieren. "Wenn Frauen ein zweites Kind bekommen, darf der Staat sie nicht im Regen stehen lassen." Sie wünscht sich eine Regelung, "bei der sich das Wochengeld und Kinderbetreuungsgeld an jenem des ersten Kindes orientiert".

Regierung in Verzug

Eine Reparatur des Gesetzes lässt allerdings auf sich warten. Vor sechs Jahren waren es just die Grünen in der Opposition, die lautstark forderten, dass die "Wochengeld-Falle" beseitigt gehöre. Heute ressortiert die Angelegenheit bei Sozialminister Johannes Rauch (Grüne). "Die Entscheidung des OGH zeigt in der Tat auf, dass die finanzielle Absicherung von Müttern während des Beschäftigungsverbots in bestimmten Fällen angepasst werden muss", ließ Rauch in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung im Dezember des Vorjahres wissen. Damals hieß es außerdem, dass das Ministerium mit den betroffenen Ressorts – gemeint ist das Familienministerium – Gespräche über die gesetzlichen Anpassungsmöglichkeiten führen und Vorschläge erarbeiten werde.

Heute, fast ein halbes Jahr später, sind die Dinge in der Sache unverändert. "Dazu laufen nach wie vor Gespräche mit den betroffenen Ressorts", lässt ein Sprecher Rauchs auf Anfrage des STANDARD wissen. "Wir sind uns des OGH-Urteils bewusst und um eine zeitnahe Lösung bemüht." Wird das Gesetz nicht repariert, droht über kurz oder lang ein Vertragsverletzungsverfahren der EU.

Beschlossen wurde die Reform seinerzeit übrigens unter einer rot-schwarzen Regierung. Die damalige Familienministerin hieß Sophie Karmasin (ÖVP) – und diese hatte keinerlei Verständnis für die Kritik an der Kürzung des Wochengeldes. Aus ihrer Sicht wurde mit der Reform eine Gesetzeslücke geschlossen, denn Zweck des Wochengeldes sei es, erwerbstätigen Frauen während des gesetzlichen Beschäftigungsverbots das entfallene Gehalt zu ersetzen. Die alte Wochengeldregelung habe dazu geführt, dass in der Vergangenheit "nicht erwerbstätige Frauen ohne Einkommen und ohne Leistungsbezug Wochengeld erhalten konnten". Diese Fehlentwicklung habe man korrigieren müssen, sagte Karmasin damals. (Sandra Schieder, 30.5.2023)