Montagmorgen, 6.30 Uhr, im Innsbrucker Stadtteil Mühlau. "Braucht noch jemand Sonnencreme?", fragt eine junge Frau mit großen, bunten Ohrringen. Im Schatten knorriger Laubbäume im Traklpark bereiten sich rund 20 Aktivistinnen und Aktivisten vor. Warnwesten, Banner, Sonnencreme. Leichte Anspannung liegt in der Luft.

Protestbesuch aus Graz und Wien

Die Gruppe ist bunt gemischt: ein Maturant, eine Rentnerin. Sie tragen Hemd, Blumenrock, Sportschuhe. Viele kennen sich. Unter bekannte Gesichter haben sich heute auch Personen aus Graz und Wien gemischt. Sie sind angereist, um die Tiroler Truppe der Klimagruppe Letzte Generation in der an diesem Montag beginnenden Protestwoche zu unterstützen. Viele wollen bis Freitag bleiben.

Orangene Warnwesten in einer Sporttasche
Kurz vor Protestbeginn werden Warnwesten verteilt.
Florian Scheible

Die Aktionen zivilen Ungehorsams sollen an öffentlichen Plätzen und Straßen in Innsbruck stattfinden, hieß es von der Organisation im Voraus. Hört man sich unter den Protestierenden um, so steht eine Ausweitung auf andere Regionen und Ortschaften zumindest im Raum. 

Eine Frau mit Warnweste und dem Logo der Letzten Generation sitzt auf einem Zebrastreifen.
Die Letzte Generation hat eine Protestwoche in Innsbruck angekündigt.
Florian Scheible

Skizze eines Protests

Eine Aktivistin hat den Ort des Protests – die nahe gelegene Kreuzung zwischen Haller und Anton-Rauch-Straße – auf einem Block skizziert und ihre Streikgenossinnen und -genossen in Grüppchen eingeteilt. Sie wirkt routiniert. Ihre Stimme ist leise und doch bestimmt. "Die Gruppe ist gewachsen, wir können aus Effizienzgründen nicht mehr alles basisdemokratisch entscheiden, es gibt klare Hierarchien", sagt ein Aktivist später. Er ist von Anfang an dabei. Beim ersten Protest Ende November seien sie noch zu fünft gewesen, erzählt er. Seitdem wachse die Gruppe kontinuierlich. 

Eine Frau hält einen Zettel mit der Skizze einer Kreuzung in der Hand.
Der Lageplan: Wer wo sitzt, ist ausgemacht, die Versammelten werden in Untergruppen eingeteilt.
Florian Scheible

Kollektives Aufatmen

Um kurz vor 7 Uhr überquert die Gruppe den Zebrastreifen. In Zivil, die Warnwesten haben sie in ihre Hosentaschen oder Rucksäcke gestopft. Hinter den Windschutzscheiben schwant den Pendlerinnen und Pendlern, dass sich hier etwas anbahnt. Die Ampel springt auf Grün, die Fahrbahn ist noch frei. Kollektives Aufatmen bei den Autofahrenden, quietschende Reifen. Es waren vorerst die Letzten, die die Kreuzung ungehindert passieren konnten. Die Untergruppen positionieren sich, ziehen sich die Warnwesten über und rollen die Banner aus. Binnen weniger Minuten sind alle Fahrstreifen der vielbefahrenen Kreuzung blockiert.

Drei Aktivistinnen bei einer Sitzblockade auf einer Straße
Binnen weniger Minuten sind alle Fahrstreifen der vielbefahrenen Kreuzung blockiert.
Florian Scheible

Ärger und Applaus

Ein Taxifahrer steigt aus. Er wolle heim, habe Nachtdienst gehabt. Er schreit, wirkt erbost, flehend. "Es tut uns leid", sagt eine Aktivistin und wendet den Blick ab. Viele Passanten, ob zu Fuß oder auf dem Rad, reagieren auf die Versammlung. Es gibt Empfehlungen: "Gehts besser arbeiten!", Beleidigungen: "Dreckiges Gsindl!", Zustimmung: "Mutig". Applaus.

Klimaaktivisten mit Banner am Zebrastreifen, sie spiegeln sich in der Windschutzscheibe eines Autos.
Die ersten Minuten vor Eintreffen der Polizei sind besonders kritisch, berichten die Protestierenden.
Florian Scheible

Da sitzen und stehen sie nun also, die Aktivistinnen und Aktivisten, und klammern sich an ihre Banner. Festgeklebt hat sich niemand. Die ersten paar Minuten vor Eintreffen der Polizei seien besonders kritisch, sagen einige. Immer wieder würden Autos versuchen, sich über Rot noch über die Kreuzung zu drücken, ganz nahe an den Demonstranten vorbei. Immer wieder würden sie angeschrien, wüst beschimpft. Doch hier, in Tirol, sei die Lage friedlicher als in Wien oder Graz. Auch die Polizei sei freundlich.

Die Polizei ist rasch vor Ort

Nach wenigen Minuten ist die Polizei mit einem Großaufgebot vor Ort und sichert die Zebrastreifen ab, auf denen sich die Letzte Generation breitgemacht hat. Distanziert, aber höflich ist der Umgang zwischen Exekutive und Protest. Die Beamten raten den Autofahrenden, umzudrehen und auszuweichen. Bald sind keine Autos mehr vor Ort. Immer wieder treten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Seite, um Bussen, einspurigen Fahrzeugen und Einsatzkräften die Durchfahrt zu gewähren. 

Keine Autos in Sicht

"Schade", kommentiert einer die leeren Straßen. Doch auf den Ausweichstrecken staut es sich bereits. "Wir wollen so lange stören, bis gehandelt wird", hört man von unterschiedlichen Seiten.

Die Forderungen der Letzten Generation sind bekannt und für die Passanten auf Bannern nachzulesen: keine neuen Ölbohrungen und Tempo 100 auf Autobahnen. Allein durch letztere Maßnahme ließen sich 180 Millionen Liter Sprit im Jahr einsparen, mit Nebeneffekten wie weniger Lärm, besserer Luft und mehr Verkehrssicherheit. Der Ausstoß von 460.000 Tonnen CO2 könnte vermieden werden, so die Letzte Generation.

Ein Polizist spricht mit einer Autofahrerin
Die Beamten weisen die Autofahrenden an umzudrehen. Bald sind die Straßen um die Kreuzung leer.
Florian Scheible

Laut Polizeisprecher Stefan Eder war die Lage durchwegs friedlich. Die Aktion sei nicht angemeldet gewesen, bestätigt er dem STANDARD. Jedenfalls sei man auf eine Protestaktion vorbereitet gewesen und mittlerweile "routiniert". Es sei eine Anzeige an die zuständige Verwaltungsbehörde ergangen.

Rückendeckung gesellt sich dazu

Um 7.30 Uhr gesellen sich eine Nonne und eine Kirchenvertreterin zur Gruppe. Auch sie haben ein Plakat mitgebracht. "Wir wurden in ein schönes Paradies hineingeboren und hinterlassen der kommenden Generation eine Klimahölle. Das ist Unrecht!", ist darauf zu lesen. Auch Vertreterinnen und Vertreter von Scientists for Future (S4F) sind anwesend. Mitglieder des Vereins Protect our Winters (POW) haben Kaffee und Kipferl mitgebracht.

Eine Nonne hält ein Plakat im Rahmen einer Klimaprotestaktion.
Zur Letzten Generation gesellen sich auch weitere Menschen mit ihren Botschaften.
Florian Scheible

9.15 Uhr. Nach rund zwei Stunden räumen die Protestierenden die Kreuzung und marschieren auf dem Rennweg langsam in Richtung Innbrücke in der Innsbrucker Innenstadt. Auf dem Fahrstreifen natürlich, um auch hier weiter zu stören.

FPÖ findet, "es reicht"

Während die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über den Rennweg bummeln, schickt die FPÖ eine Stellungnahme aus und stellt klar: Man lasse sich "nicht länger von Klimaaktivisten drangsalieren". "Es reicht", kommentiert der blaue Stadtrat Rudi Federspiel, der "Zenit" sei "endgültig überschritten". Die Exekutive müsse solche Störaktionen im Vorfeld verhindern. Klimaaktivisten müssten "rigide vom Verfassungsschutz überwacht werden". Durch Blockaden könnten Rettungsmaßnahmen verzögert werden, so die blaue Argumentationslinie.

Ein Demonstrant wird von zwei Polizisten weggetragen
Auf der Innbrücke wird die Versammlung durch die Polizei aufgelöst.
Florian Scheible

Es wird dann doch geklebt

Auf der Straße zur Innbrücke lassen sich die Demonstrierenden dann wieder nieder, was für Aufregung sorgt. Da sei es zur Androhung gekommen, die Versammlung aufzulösen, berichtet Polizeisprecher Eder dem STANDARD.

Eine festgeklebte Hand wird mit Aceton vom Asphalt gelöst.
Zwei Aktivisten kleben sich fest, bevor die Polizei einschreitet.
Florian Scheible

Mehrere Protestierende zücken den Kleber. Zwei Personen kommen den Beamten zuvor und kleben sich an. Ihre Hände werden von der Polizei mit Aceton entfernt. (Maria Retter, 12.6.2023)