Dank der LinkedIn-App verfolgen uns wildfremde "Businesskontakte" auch auf dem Smartphone.
imago images/imagebroker

Linkedin hätte theoretisch Potenzial, ein tolles Social Network zu sein: Gegründet vor 20 Jahren, im Mai 2003, sollen sich Managerinnen und Manager hier vernetzen, Ideen austauschen und an ihren Karrieren arbeiten. Katzen- und Urlaubsfotos sind verpönt. Wer sich aber nach ein paar Monaten Abstinenz dort einloggt, der merkt rasch: Sonderlich horizonterweiternd ist es im Business-Network trotzdem nicht.

Ein Ärgernis ist die Inbox, also die Kommunikation unter vier Augen. Denn während ich bei Messengern wie Whatsapp und Signal damit rechnen kann, dass es sich um persönliche Gespräche handelt, finde ich bei Linkedin hauptsächlich mehr oder weniger seriöse "Geschäftsanfragen" sowie dutzende Nachrichten, in denen mir zum Geburtstag, zum neuen Job oder zum "Firmenjubiläum" gratuliert wird. Meist von Menschen, denen ich noch nie persönlich begegnet bin und die mir nur gratulieren, weil sie von Linkedin daran erinnert wurden. Wie gut, dass man im Gegenzug mit von Linkedin vorgeschlagenen Antworten reagieren kann: "Danke", "Vielen Dank" oder ein Emoji. Maschine redet mit Maschine. Wie ironisch.

Business-Kontakte wie Pokémon sammeln

Doch woher kenne ich eigentlich all diese Leute? Selbstverständlich weil sie mir Kontaktanfragen geschickt haben und ich diese bestätigt habe, während ich im Gegenzug Anfragen an jene von Linkedin vorgeschlagenen Menschen schicke, die mir zumindest halbwegs bekannt vorkommen: Politikerinnen, Manager, Kolleginnen – allesamt bekommen sie Anfragen von mir, sobald der Algorithmus sie mir vorschlägt. Andere Menschen sammeln Pokémon, ich sammle Linkedin-Kontakte und habe derer inzwischen über 3000 beisammen.

Und was posten diese Menschen anstatt Katzen- und Urlaubsfotos? So mancher selbsterklärter "Crypto Evangelist" oder "AI Enthusiast" dürfte ein bewegtes Businessleben haben, schließlich finden sich hier Fotos von fetten After-Work-Events und glamourösen TV-Interviews. Das wirkt alles echt, muss es aber nicht sein: Online gibt es bereits KI-Tools, "Linkedin-Post-Generatoren", die auf Wunsch ein marktschreierisches Posting zu einem beliebigen Thema liefern.

Nochmals KI also. Nochmals Automatisierung. Nochmals Eigenwerbung aus der Konserve. Dabei sollte gerade den selbsternannten Innovatoren inzwischen längst klar sein, dass künftig nur Erfolg hat, wer menschlich kreativ ist – anstatt stumpf den Vorgaben einer Maschine zu folgen. (Stefan Mey, 1.6.2023)