Nach fünf Minuten Fahrt graben sich die groben Ketten der Pistenraupe nicht mehr in Schnee, sondern Gletschereis. Eis, das einst als "ewig" galt. Mittlerweile ist es ein Fakt: Die Gletscher werden sterben, in Tirol könnte es schon in zehn bis 20 Jahren so weit sein.
In den fünf Tiroler Gletscherskigebieten hält man seit mittlerweile knapp 20 Jahren dagegen. Mit meterweise weißem Vlies aus Polypropylen wird das Ureis abgedeckt. Begonnen hat alles im Jahr 2003. Damals schwanden die Gletscher ungewöhnlich schnell, bis zu drei Meter im Mittel. Bis dahin was Sommerskilauf im Bundesland üblich. Nicht nur dem Eis, auch den Liftbetreibern und Touristikerinnen stand der Schweiß auf der Stirn: Was nun?
Strategische Stellen werden abgedeckt
Sie waren nicht die Einzigen, die sich diese Frage stellten. Auch die Wissenschaft begann, an Klimaanpassungsmaßnahmen zu forschen. Man schloss sich zusammen. Die Pistenraupe schnurrt über die steilen Eisflanken bergwärts. Zur Rechten ragen die massiven Liftstützen empor, wie meterhohe Mahnmale. Das tonnenschwere Gestell steht auf schmelzendem Eis, alle paar Jahre muss es adjustiert werden. "Der Bereich um die Stütze ist deshalb strategisch besonders wichtig", erklärt Pistenchef Christoph Hofer vom Fahrersitz aus.
Hofer, selbst ein Stubaitaler, ist seit 2019 Pistenchef. Er steuert das riesige Gefährt gekonnt, es gehört zu seiner täglichen Arbeit. 90 Prozent seiner Zeit verbringt er auf der Piste, sagt er, nur etwa zehn Prozent im Büro. Oft zieht er als Pistenchef auf der letzten Kontrollfahrt vor Öffnung des Skigebiets als Allererster seine Schwünge in die teppichgleich präparierte Piste.
Früher habe man das Gletschereis großflächig abgedeckt, ganze Pistenteile habe man versucht, über den Sommer zu erhalten, berichtet er. Mittlerweile decke man nur noch "strategische Stellen" ab – etwa den kritischen Bereich rund um die Stützen. "Aus Kostengründen", sagt Hofer. Dann zieht er mit dem Pistenbully einen eleganten Kreis im Schnee, die groben Eiskristalle spritzen zur Seite, er kommt vor einer der Stützen zum Stehen.
Planen aus Polypropylen
Über das satte Blau ziehen an diesem Dienstag Anfang Juni fluffige Wölkchen. Die Sonne brennt vom Himmel und bringt Hofers vier silberne Ohrringe zum Glänzen. Das Vlies ist in etwa 3,8 Millimeter dick. Es fühlt sich glatt an. Der Gletscher trägt diese weiße Schutzrobe das ganze Jahr über. Obwohl das Material Polypropylen äußerst robust ist, muss es gerade im Bereich der Stützen immer wieder erneuert werden. "Alle zwei Jahre", schätzt Hofer.
Auch heuer war es so weit. In großen Haufen türmt sich das ausgemusterte Vlies. Es kann nicht wiederverwertet werden. "Das wird in den nächsten Tagen abgeholt und dann verbrannt", erklärt Hofer. Die Arbeiten sind mittlerweile schon abgeschlossen. Ein Trupp aus zehn Personen ist mit dem Abdecken von zwei Liftstützen zwei Tage lang beschäftigt, gibt Hofer zu Protokoll. Die Phase der Instandhaltung läuft noch bis Ende Juni. Dann öffnen auch die ersten Almhütten ihre Pforten für die wandernden Gäste.
Übers Vlies und Hofers Kopf schweben zwei Gondeln, dazwischen ein kleiner Korb mit zwei Männern. Sie halten an der nächsten Stütze und beginnen in luftigen Höhen zu arbeiten. "Die Arbeit geht nicht aus", kommentiert Hofer und stapft durch den Schnee in Richtung Stütze. Der Bereich rund um die Stütze ist bereits großflächig abgedeckt, einige Hundert Quadratmeter.
Lukratives, nicht mehr ewiges Eis
Das Material reflektiert die UV-Strahlen und verringert damit den Schmelzvorgang des Gletschers. Außerdem bildet es eine isolierende Schicht zum Untergrund. Das Vlies kostet zwei Euro pro Quadratmeter. Für die Produktion eines Kubikmeters Schnees werden rund drei Euro fällig. Das Sommerkleid des Gletschers ist teuer, aber wirksam. Denn hier werden die Auswirkungen der Klimaerwärmung bekämpft.
Hofer glaubt nicht, dass die Klimakrise menschenverursacht ist. Früher habe es doch genauso wärmere Perioden gegeben, sagt er. "Meine Meinung", sagt er, zuckt mit den Schultern. Je länger Hofer spricht, je länger man durch die Landschaft fährt, die nun auf die kurze Sommerpause vorbereitet wird, desto klarer wird: All die Vorbereitungsmaßnahmen dienen nicht in erster Linie dem Naturschutz, sondern dem Erhalten eines lukrativen Geschäfts.
"Das ist nur natürlich, ein Skigebiet ist schließlich ein Wirtschafts- und kein Naturschutzbetrieb", sagt Andrea Fischer dem STANDARD am Telefon. Die Glaziologin ist am Institut für interdisziplinäre Gebirgsforschung in Innsbruck tätig. Seit über zwanzig Jahren erforscht sie schmelzende Gletscher. Und 2003, als klar wurde, dass es Maßnahmen braucht, um den (Gletscher-)Skilauf zu erhalten, hat sie in Kooperation mit Gletscherskiliftbetreibern in Tirol und am Dachstein zu forschen begonnen. 2004 wurden die ersten Stoffbahnen ausgerollt.
Eisige Übergangsmode
Seither hat sich viel verändert: "Zu Beginn wurde der Gletscher großflächig abgedeckt", erzählt Fischer. Der "Grundgedanke damals": dem ständigen Umsetzen von Liftstützen etwas entgegenzusetzen. Jedes Mal, wenn ein schweres Gerät auf den Gletscher fahren muss, jeder Neubau schlägt sich in der Bilanz nieder. Mittlerweile falle viel weniger Schnee, die Gletscher schmölzen unaufhaltsam. Im Endeffekt sei das eisige Sommerkleid für die "Übergangsphase, bis die Gletscher eisfrei sind". Das Abschmelzen könne ohnehin nicht mehr verhindert werden. Nun stelle sich die Frage, wie "lokale Opfer" – in dem Fall das Skigebiet – sich gegen die Folgen der "globalen Klimakrise" absichern dürften.
"Ich halte das Abdecken nach wie vor für eine sehr effiziente Maßnahme", stellt Fischer klar. Eine Maßnahme, die auch "ökologisch effizient" sei. Und wie auch Pistenchef Hofer findet Fischer: Die Zukunft des Skifahrens liegt in höher gelegenen Skigebieten. (Maria Retter, 13.6.2023)