Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán bei einer Pressekonferenz.
APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK

Die ungarische Regierung soll ab Juli 2024 den sechsmonatigen Vorsitz im EU-Ministerrat übernehmen. Doch die große Mehrheit der Abgeordneten im EU-Parlament hält Ungarn wegen mehrfacher Verstöße gegen EU-Recht dafür nicht geeignet und will das verhindern. 

Am Donnerstag stimmten 442 von 619 Abgeordneten einer Resolution zu, die die Eignung Ungarns, die rotierende Ratspräsidentschaft der Union zu übernehmen, anzweifelt. Die Entschließung, die von den drei größten Parteien des EU-Parlaments, der Mitte-rechts-Partei EVP, den Sozialisten und Demokraten und der liberalen Fraktion Renew Europe sowie den Grünen und den Linken mehrheitlich unterstützt wurde, ist rechtlich nicht bindend. Sie dürfte allerdings einen weiteren großen politischen Streit zwischen Brüssel und Budapest vom Zaun brechen.

Die EU-Mandatare wollen damit jedenfalls ein klares Signal setzen. Sie sehen keine ausreichenden Fortschritte bei Ungarns Problemen mit der Rechtsstaatlichkeit: Sie fordern daher die konsequente Fortführung des laufenden Artikel-7-Verfahrens wegen Verletzungen der Grundrechte. Zudem sind wegen Problemen mit Korruption EU-Gelder eingefroren.

Das Parlament stellt infrage, ob Ungarn vor diesem Hintergrund der richtige Ratsvorsitz sei. Die Ratspräsidentschaft ist für die Gestaltung der Verhandlungen über EU-Gesetze verantwortlich. In der Resolution wird "so rasch wie möglich eine angemessene Lösung" gefordert. Andernfalls werde das "Parlament geeignete Maßnahmen ergreifen".

Offen blieb, welche Maßnahmen damit gemeint sein könnten. In den EU-Verträgen ist nicht vorgesehen, einem Land die turnusmäßige Ratspräsidentschaft abzuerkennen. Es ist das erste Mal, dass das EU-Parlament eine derartige Resolution beschließt. Zuletzt hatte Ungarn 2011 den Ratsvorsitz inne.

Angesichts der Probleme mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn haben EU-Länder "Zweifel" am EU-Ratsvorsitz des Landes im kommenden Jahr angemeldet
AFP

Österreichs EU-Parlamentarier votierten mit Ausnahme der FPÖ-Abgeordneten dafür. Der freiheitliche EU-Abgeordnete Harald Vilimsky kritisierte die Resolution umgehend als "demokratiepolitischen Tiefpunkt des EU-Parlaments". Insgesamt 144 Abgeordnete waren dagegen, 33 enthielten sich. Zuvor waren mehrere von Rechtspopulisten eingebrachte Änderungsanträge abgelehnt worden.

Ungarn kritisiert Resolution

Der ungarische EU-Abgeordnete Balázs Hidvéghi von Viktor Orbáns Fidesz-Partei kritisierte zuvor die Entschließung. Brüssel werde von "linken Mandataren in Geiselhaft gehalten", die wegen der friedlichen Haltung des Landes "manisch auf Ungarn losgehen", behauptete er.

Ähnlich hatte sich jüngst der Sprecher der ungarischen Regierung, Zoltán Kovács, geäußert. Er warf den Abgeordneten vor, "den gleichen alten, müden Vorwurf zu erheben, dass Ungarn gegen die Grundprinzipien der EU verstößt und daher nicht in der Lage ist, den Ratsvorsitz zu übernehmen". Aber er kenne den wahren Grund: "Sie mögen Ungarns friedensfreundliche Haltung nicht und versuchen uns in einen Konflikt zu treiben." Das Nato-Land steht in Europa immer wieder in der Kritik, weil es keine Militärhilfe an die von Russland angegriffene Ukraine liefert und die EU-Sanktionen gegen Moskau kritisiert.

Die ungarische Justizministerin Judit Varga hatte schon vor der Abstimmung klargestellt, dass sich Ungarn dem Druck nicht beugen werde: "Wir werden nicht zulassen, dass sie Ungarn eine solche Gelegenheit nehmen." Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz, mit seinem tschechischen Amtskollegen Petr Pavel auf Ungarn angesprochen, sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen: "Ich halte es für einen Ausdruck des Vorbehalts gegenüber dem ungarischen Ratsvorsitz, aber nicht für mehr." (fmo, APA, 1.6.2023)