Minnesänger Ulrich von Liechtenstein
Ulrich von Liechtenstein kämpfte - durchaus modern - zuweilen mit und gegen sich
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Die hohe Frau hat sich nicht lumpen lassen. Dafür war sie ja eigens nach Venedig gekommen: um mit Geld um sich zu werfen. Die Meeresbeherrscherin in der Lagune bot alles, was das Herz putzsüchtiger Frauen begehrt. Stoffhändler und Schneider und Goldschmiede und Perückenmacher rieben sich die Hände. "Ich hiez mir snîden vrouwen cleit", so schrieb sie es auf für die Zeitgenossen und die Nachwelt, "zwelf röckel wurden mir bereit." Auch ihr Gesinde wurde neu und schmuckvoll eingekleidet: "Zwelf knappen sneit man sâ zehant – von wîzem tuoche guot gewant."

Zweikampf mit Venus

Am Tag nach Georgi, das ist der 24. April, ließ sie sich hinüberrudern nach Mestre. Dort entstieg sie – Frau Venus nannte sie sich ab nun – standesgemäß dem Meer. Ein Bote ritt ihr voraus, die Botschaft der Schaumgeborenen von Burg zu Burg zu tragen. Sie – die Göttin "über die minne" – werde nordwärts ziehen: durch die Lombardei und Friaul, Kärnten und die Steiermark bis hin nach Böhmen. Der Brief enthält den straffen Reisekalender. "Am vier und zweinzigestem tage ist si ze Wiene." Schon am 29. Tage an der Thaya, "dâ hât ir vart ein ende".

Jeder Ritter solle sich mit und an ihr nach Ritterart im Zweikampf messen. Als Lohn winke, neben der Ehre, ein goldenes Ringlein, das die jeweils angebetete Frau nicht nur noch schöner mache, sondern auch eine reine Liebe ohne Falsch bewirke. Und so machte sich Frau Venus – "vrouwe" sagt man zur hochgestellten Dame, zur Herrin; alle anderen hieß man "wîp" – auf den Weg des hohen Liebeswerbens. Das Problem, so es denn ein Problem gewesen ist: "Vrouwe" Venus war nicht einmal ein "wîp". Sondern bloß ein Mann. Ulrich mit Namen.

Sangesfreudiger Hof

So – mit der Wiedergeburt des Ulrich von Liechtenstein als Göttin der Liebe – beginnt eine der wunderbarsten und wundersamsten Geschichten, die aus dem tiefen Mittelalter auf uns gekommen ist. Ob sie sich in der Wirklichkeit so zugetragen hat – manche datieren sie in der Tat ins Jahr 1227 –, tut nichts zur Sache. Denn sie wurde, das zählt, so erdacht. Zusammengereimt vom Steirer Ulrich aus dem längst ausgestorbenen – und nicht dem immer noch regierenden – Geschlecht derer von Liechtenstein.

Er war, das jedenfalls ist verbürgt, im Brotberuf ein hoher Verwaltungsbeamter; Marschall, Truchsses, Landrichter gar in der Steiermark; eine Art Landeshauptmann. Als Ministeriale diente er zwei Babenbergerherzögen und einem Böhmenkönig. War Diener unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Herren und – das gebot der Ritter Art – Herrinnen.

Minnesänger und Ritter

Aber Ulrich von Liechtenstein war auch Dichter. Mehr bemüht als begnadet, bemäkeln so manche Fachleute. Jedenfalls im Vergleich zu seinen älteren Zeitgenossen Walther von der Vogelweide oder Neidhart von Reuenthal. Oder gar den bis heute halb in den Legendennebel gerückten Tannhäuser, der in ebendiesem Nebel sich mit der Frau Venus in deren sagenhaften Berg zum Verlustieren zurückgezogen hat.

All diese großen Minnesänger hielten sich auch am sangesfreudigen Wiener Hof auf, wo die Babenberger es sich angelegen sein ließen, die hiesige Tradition des "Wein, Weib und Gesang" zu begründen. Auch Ulrich hielt – nicht nur in Wien, da aber auch – den Gesang hoch, das Glas tief und den dritten Teil der Feierdreifaltigkeit in solch bemerkenswerterer Verirrung, Verwirrung und Verschnörkelung, dass bis heute ein ganz eigenartiger Reiz davon ausgeht. Oder gerade heute. Da wird uns ja durch aller-, wenn nicht gar vielerlei Verirrung und Verwirrung und Verschnörkelung erlaubt, einen sehr modernen, durch eigene Anschauung gelenkten Blick auf diese mittelalterliche Burleske zu werfen, die Autor Ulrich eingewoben hat in ein Kompendium, in dem sich neben der Venusfahrt auch eine Arthusfahrt in der Ausstaffierung der Tafelrunde, allerlei Tanzlieder, Briefe und Prosaüberleitungen finden.

Leiden und Dienen

Ulrichs "Frauendienst" – "vrouwen dienest" – lässt sich als Autobiografie lesen. Und solcherart wohl missverstehen. Aber jedenfalls ist er die erste deutschsprachige Ich-Erzählung. (In welcher bezaubernderweise der Kärntner Herzog Bernhard die Dragqueen folgendermaßen auf Slowenisch willkommen hieß: "Buge waz primi, gralva Venus!" – "Gott zum Gruße, königliche Venus!") Ein Entwicklungsroman ist dieser Frauendienst, der sich entlangrankt an den "Diensten", die der zum Ritter sich entfaltende Steirer durchmacht oder durchleidet. Denn das Leiden ist Hauptbestandteil des Dienens an der stets unerreichbar Bleibenden. Gegen das Unerreichbarkeitsgebot zu verstoßen durch gamsige Zudringlichkeit, ist in höchstem Maße unritterlich. Ulrich schämt sich im Misslingensfall denn auch standesgemäß dafür.

Der Protagonist kämpft, durchaus modern, mit und gegen und um sich. Eine leise Kritik einer "vrouwe" nimmt er zum Anlass, sich einer schmerzensreichen Lippenoperation zu unterziehen. Einen Finger ließ er sich abhacken, um ihn der Angebeteten zu vermachen. Eine andere schickt ihn in den Burggraben vor ihrem Fenster, wo Knechte beiläufig das Wasser lassen auf den versteckten Ulrich.

Brüchiges Ritterbild

Mag sein, diese Brüchigkeit im Ritterbild hat Ulrich erst spät wieder aufs literarische Tableau gestellt. Ludwig Tieck, der Romantiker, hat den Frauendienst erstmals wieder als Stoff zur Hand genommen. Der Dramatiker Gerhart Hauptmann hat daraus eine Groteske gemacht, die 1939 am Burgtheater uraufgeführt wurde. Hauptmanns Interpretation weist die Richtung: Ulrich als früher Miguel Cervantes, der schon im 13. Jahrhundert dem Ritter auch seine verzweifelte und verzweifelnde Kasperlartigkeit beließ. Frau Venus als Doña Quixote. Wir dürfen uns die Mittelalterlichen durchaus auch als lustige Kampel vorstellen. Das, mag sein, unterscheidet sie von uns heutigen Griesgramen.

Ulrich – neben dem "Frauendienst" gibt es noch das "Frauenbuch", ein dann doch quasi heteronormativer Reimdisput über die Minne – war aber ansonsten ein durchaus seriöser, angesehener Mann. Ein Politiker, dem seine eskapistischen Absonderlichkeiten den guten Ruf keineswegs schmälerten. Sein Name taucht nicht nur respektvoll in der steirischen Reimchronik des Ottokar aus der Gaal auf, sondern auch als Zeuge in 95 Urkunden. Er war ein hochgestellter und wohl auch vermögender Mann. Schreiben und lesen konnte er freilich nicht. Für solch niedere Dienste gab es subalterne "secretarii".Das 13. Jahrhundert war eine ziemlich turbulente Epoche des Umbruches und des Chaos. Und Ulrich war ein Kind dieser Turbulenzen. Auf die Welt kam er um 1200. Aus dieser ging er, als wahrer Methusalem, 1275. Er war Zeitgenosse von vier – nach anderer Zählung gar fünf – Kreuzzügen. 1241 fügten die Mongolen in der Schlacht von Muhi Ungarn eine der bittersten Niederlagen zu. Das Heilige Römische Reich schlitterte durch den Streit zwischen Papst Innozenz IV. und Kaiser Friedrich II. in eine Krise, die schließlich ins große Interregnum führte.

Weibliche Erbfolge

Das kleine, das österreichische Interregnum begann 1246 mit der Schlacht an der Leitha gegen die Ungarn. Der Babenbergerherzog Friedrich II. fiel. Ulrich war dabei. Friedrich war ja als Herzog von Steiermark und Österreich sein Lehensherr. Friedrich fiel kinderlos. Österreich und die Steiermark wurden zu jenem Vakuum, in das die Kriegsherren mit ihren Ambitionen stießen.

Das Privilegium minus sicherte auch die weibliche Erbfolge der Babenberger. König Béla von Ungarn und der Böhmenkönig Ottokar waren mit Babenbergerinnen verheiratet und gerieten darob in Streit. "Ze Stîre und auch ze Oesterrîch", so überliefert Ulrich es in der Artusfahrt, gerieten viele in arge Not, "dá wart manegger arm, der é war rîch". Ulrich sang aus Erfahrung. Ottokar obsiegte im Nachfolgekrieg mit Ungarn.

Narr in hohem Dienst

Die Stammburg der Liechtensteiner bei Judenburg ließ er schleifen. Er hatte ihn im wohl nicht ganz unbegründeten Verdacht, Teil einer steirischen Fronde gegen ihn zu sein. Pøemysl Ottokar war freilich Diplomat genug, um den erfahrenen Mann wieder in den Stand der Huld zu setzen. Zumal die Pläne des Böhmen bis ganz hinauf reichten: bis zur deutschen Königskrone. Und als solcher sah er sich wohl schon als Kaiser. Aber den Kurfürsten war Ottokar mit seinem geschlossenen Herrschaftsgebiet von Schlesien bis an die Adria zu mächtig geworden.

Vor 750 Jahren, am 1. Oktober 1273, wurde der vergleichsweise arme Graf Rudolf von Habsburg zum König gewählt. Vom Anfang des neuen Hauses Österreich hat der "Narr im hohen Dienst" – so nannte sich ein Ulrich-Büchlein aus den 1950er-Jahren – auf seiner Frauenburg bei Unzmarkt wohl vernommen. Er starb am 26. Jänner 1275. Man sagt, er sei hier auch begraben. Und manches Mal, so sagt man auch, streift nächtens eine Frau Venus durch die Ruine auf der Suche nach einem zweikampfbereiten Mann. Oder wenigstens ein Gespenst davon. (Wolfgang Weisgram, 4.6.2023)