Wien – Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) appelliert in der Debatte rund um Klimakleber daran, das Augenmaß nicht zu verlieren. Es gehe um existenzielle Fragen in der Klimapolitik und junge Menschen, die Angst um ihre Zukunft hätten, sagte Gewessler am Sonntag in der ORF-Pressestunde. "Eine starke Demokratie hält zivilen Ungehorsam aus."

Umweltministerin Leonore Gewessler fordert den neuen SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil auf, "die Blockade von Regierungsvorhaben" zu beenden.
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Sie verstehe den Ärger der Leute, die im Stau stünden. Die Grenze sei jedoch dort, wo Schaden passiere. Österreich habe ausreichend Gesetze und Regeln, um darauf zu reagieren.

Den neuen SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil forderte Gewessler auf, die Blockade von Regierungsvorhaben, für die es im Nationalrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit brauche, zu beenden. Doppelt bitter sei, dass sich die SPÖ "aus Parteitaktik" heraus gegen das Erneuerbaren-Wärmegesetz für den Ausstieg aus fossilen Heizsystemen stelle – schade dies doch vor allem Menschen mit geringen Einkommen.

"Erpressbar durch Abhängigkeit"

Was die Versorgung Österreichs mit Gas betrifft, führt für Gewessler kein Weg an einem Ende der Abhängigkeit von Russland vorbei. Diese schaffe Erpressbarkeit. Österreich finanziere damit zudem indirekt Bomben auf Kiew mit.

Ende 2024 läuft der Transitvertrag für russisches Gas durch die Ukraine aus. Bis dahin gelte es, Vorschläge umzusetzen, die bereits am Tisch liegen. Eine Option aus ihrer Sicht wäre es, als Republik operativ mitzubestimmen, wo und zu welchem Preis Gas eingekauft wird – dafür gehöre ein Teil der OMV herausgelöst. Für den Ausbau von Pipelines durch Deutschland benötige es in jedem Fall Investitionen von mehreren hundert Millionen Euro.

Entscheidend sei auch, Erdgas durch mehr Strom aus Wind und Sonne zu ersetzen. "Der Ausstieg aus Gas ist auch ein Umstieg auf Erneuerbare", sagte Gewessler. Derzeit seien alle Speicher gut gefüllt und Gaskapazität über andere Pipelines gesichert, ergänzte die Ministerin mit Blick auf den nächsten Winter. Nichts zu tun, bedeute jedoch, Risiko zu verlängern. 

"Sichtbarer Rückgang"

Die Maßnahmen gegen die Klimakrise zeigten erstmals einen sichtbaren Rückgang des CO2-Ausstoßes, ist sich Gewessler sicher. Erstmals ließe sich auch eine Emissionsreduktion von 35 Prozent bis 2030 ablesen. Nun gelte es, die Lücke von zehn Prozentpunkten bis 2040 zu schließen. Dies sei das Ziel des nationalen Klimaplans, der bis Juni 2024 vorliegen muss. Es werde dafür eine breite öffentliche Konsultation geben.

Neos-Umweltsprecher Michael Bernhard erinnert daran, dass Österreich der EU-Kommission und des Umweltbundesamts zufolge die Klimaziele meilenweit verfehle. Gewessler tue jedoch so, als wäre man dank der Grünen auf gutem Weg. "Wo sind die Konzepte gegen exorbitanten Flächenfraß? Wo sind Vorschläge zur CO2-Speicherung? Was macht Gewessler gegen Arbeitskräftemangel, der den Ausbau der Erneuerbaren bremst?"

Die Bundesregierung finde keine Antworten gegen die hohe Inflation und die Klimakrise, beklagt SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll. Den "durchsichtigen Versuch, die Schuld dafür der SPÖ zuzuschieben", hätte die Bevölkerung längst durchschaut.

FPÖ-Verkehrssprecher Christian Hafenecker, fürchtet "den nächsten Totalangriff auf den Individualverkehr". Überdies verharmlose Gewessler "Klimaterroristen". (vk, 4.6.2023)