Im Gastblog schreibt Gerald Simon über den Zustand des österreichischen Fußballs und die entsprechenden Fußballstadien.

Das größte Problem im abgelebten und schon lange nicht mehr zeitgemäßen Ernst-Happel-Stadion ist bei Konzertbesuchen die fürchterliche Akustik, wo einem auf der Tribüne jeder Ton dreimal um die Ohrwascheln kreist, bevor er dann endlich mit allen Echos den Eingang in den Gehörgang findet. Wenn man keinen Rasenplatz gebucht hat, ist ein Konzertbesuch kein Genuss, sondern nur eine weitere Trophäe für Groundhopper der Eventszene. Nachdem bei Fußballspielen die Rasenplätze nur sehr eingeschränkt vergeben werden, ist man da dem akustischen Inferno schutzlos ausgeliefert. Ein Freund verließ gestern aufgrund von Sichtbehinderungen und akustischen Zumutungen bereits zur Halbzeit das Stadion, und das heißt was. Fast fühlt man mit weiland Hans Huber, der mit Rückkoppelungen in seinen Kopfhörern den legendär gedehnten Satz "Die Schweeedeeen siiind eiiin ganz haaarter Brooockeeeen!" in die österreichischen Wohnzimmer jaulte und damit in der Sekunde Spekulationen über seinen Promillegrad auslöste. Bezüglich des Promillegrades auf der Fantribüne gibt's keine Unsicherheiten, und der Huber-Spruch aus 1997 hat nichts von seinem Wahrheitsgehalt eingebüßt.

Das Spiel

Lange sah es so aus, als würde sich das österreichische Nationalteam an diesem Brocken abermals verschlucken (Ihr Chronist kann sich noch an das Entscheidungsspiel in Gelsenkirchen erinnern, das uns die Teilnahme 1974 an der WM in Deutschland verwehrte). Gott sei Dank verfügen wir aber mit Alexander Schlager wieder über einen hervorragenden Tormann, der uns in kritischen Phasen immer wieder im Spiel hielt. Aber was der schwedische Teufelskerl Robin Olsen zwischen den Stangen herausfischte, war schon sehr beachtlich.

Christoph Baumgartner schoss gleich zwei Tore, die Fans im Prater waren außer sich.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Die Rot-Weiß-Roten begannen gut, hatten zwei schnelle Chancen, die eher kläglich vergeben wurden, ließen aber in der Folge als gute Gastgeber auch den Schweden die Möglichkeit zu zeigen, was die so draufhaben. Es dauerte dann bis zum Ende der ersten Halbzeit, bis die Österreicher wieder auf sich aufmerksam machen konnten. Speziell aber dann in der fünfminütigen Nachspielzeit wurde Olsen so richtig warm geschossen. Ein Highlight war sicher der Halbvolley-Kracher von Xaver Schlager aus sieben Metern Entfernung, den der schwedische Goalie noch irgendwie herauszauberte.

Die zweite Halbzeit begann genauso, wie die erste geendet hatte, mit rollenden Angriffen auf das schwedische Tor, speziell Gregoritsch tauchte immer wieder gefährlich vor Olsen auf, hätte das eine oder andere Mal aber besser abgespielt, als mit der Brechstange den Torerfolg erzwingen zu wollen.

Als nach den vielen vergebenen Chancen der gelernte österreichische Fußballfan bereits wieder das Unheil kommen sah (früher hätten wir so eine Partie wahrscheinlich mit 1:0 verloren), aktivierte unser Team am Ende einer kräfteraubenden Saison noch einmal die letzten Energiereserven und den Rangnick'schen Siegeswillen und entschied die Partie in den letzten zehn Minuten für sich. Baumgartner staubte zwei Mal ab, einmal mit Füßchen, einmal mit Köpfchen, und der Wiener Prater stand Kopf. Ein toller Sieg, ein toller Abend, ein tolles Team! Wenn einmal der Parade-Schwarzmaler und Unkenrufer unserer virtuellen Fernsehrunde bereits nach der ersten Halbzeit im Chat meinte, dass das österreichische Spiel schön anzuschauen wäre, dann ist für mich alles gesagt, was die Entwicklung des Teams unter Ralf Rangnick anbelangt. Schön langsam kann sich der österreichische Fußballfan überlegen, wo in Deutschland er nächstes Jahr seinen Urlaub verbringen wird. Die Tür zur Europameisterschaft steht jedenfalls schon mehr als einen Spalt offen, man kann bereits gut durchsehen.

Die Verlängerung

Als seriöser Fußballfan, der seinen Beruf ernst nimmt, war Ihr Chronist selbstverständlich auch in Brüssel beim heroischen 1:1 vor drei Tagen persönlich anwesend. Was das König-Baudouin-Stadion mit dem Ernst-Happel-Stadion verbindet, ist ein ähnlich maroder Zustand und eine stimmungstötende Leichtathletik-Barriere zwischen Spielfeld und Zuschauerraum. Dabei hat eben an dieser Stelle die Katastrophe von Heysel, bei der 39 Menschen starben, stattgefunden, die nicht zuletzt durch eine baufällige Mauer ausgelöst wurde. Das Vorgängerstadion war also auch schon baufällig, eine seltsame Tradition. Ein Neubau beider Arenen wäre also nicht nur ein schon höchst notwendiger Schritt in den modernen Fußball, sondern hätte auch noch einen sicherheitstechnischen Aspekt. Und was die Leichtathleten und Leichtathletinnen betrifft, die könnten auch gleich beim Nachbarn auf der Krieauer Trabrennbahn laufen, vielleicht sogar mit gemischten Startfeldern. Es trüge sicherlich sogar zu Leistungssteigerungen bei, hinter Pferden herzuwetzen.

Das Elfmeterschießen

Bitte, liebe Stadt Wien, bitte, lieber ÖFB! Legt euer Taschengeld zusammen und kauft uns ein neues Stadion! Wir benehmen uns auch supergut und machen nichts schmutzig. Ob das Sportministerium da auch was damit zu tun hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass wir meistens gar kein Sportministerium haben, sondern nur so eine Art Wurmfortsatz eines anderen Ministeriums. Vielleicht könnte sich der aktuelle auch ein wenig bewegen und zur Lösung dieses Problems ebenfalls etwas beitragen. (Gerald Simon, 21.6.2023)