Klimawandel Sloterdijk Philosophie
Philosoph Peter Sloterdijk erklärt Ursachen für den Klimawandel. Er fordert eine fossilenergetische Wende – und teilt tüchtig gegen "Unproduktive" aus.
IMAGO/Panama Pictures

Prometheus, als Titan der erste wahre Menschenfreund, zahlte für die Beförderung des Fortschritts einen horrenden Preis. Die Entwendung des Feuers, die Weitergabe der Fackel an uns Sterbliche, wurden ihm von den Göttern drastisch heimgezahlt. Für lange Zeit an die Wand des Kaukasus geschmiedet, fraß täglich ein Adler von Prometheus‘ Leber. Die wahre Pointe des Mythos scheint in Peter Sloterdijks neuer Bedenkschrift Die Reue des Prometheus nur am Rande auf. Der erste Pädagoge des Menschengeschlechts gebot über eine Leber, die sich, obzwar geschädigt, aufgrund ihrer titanischen Herkunft unaufhörlich regenerierte.

Weitaus schlimmer bestellt ist es um die irdischen Fossilstoffe: An sie legt der industriell erweckte Mensch zahllose Feuer. Ihr Brand dient der Freisetzung unerhörter Quanten gespeicherter Energie. Und weil die Ausbeutung schnöder Muskelkraft mit dem humanen Energiehunger einfach nicht Schritt hält, assimilierte sich, wie Sloterdijk festhält, irgendwann die "Pyrotechnik" der "Anthropotechnik".

Anstatt immer neue Sklavenheere zu rekrutieren, stellten Großökonomen den Ressourcenabbau grundlegend um. Die "pyrotechnischen Helfer der Kulturen" brachten auf dem Höhepunkt muskelenergetischer Kraftentfaltung das Plus ein. Verteilt über die Erde hob ein Schmelzen, Zischen und Gießen an. Aus den metallurgischen Manufakturen gingen Großindustrien hervor. Mit ihnen und durch sie entstand jener Raubbau, vor dessen katastrophalen Folgen gerade Prometheus als erster zurückgeschreckt wäre – oder freiwillig in eine Kaukasusrepublik ausgewandert.

Während Holz, geschlägert und verfeuert, kaum rasch nachwächst, gaukelt der Zugriff auf die "versteinerten und verflüssigten Hyper-Urwälder ungeheurer Vergangenheiten" (Sloterdijk) unerschöpflichen Reichtum vor: das Vorhandensein unermesslicher Reserven. Sloterdijks Ode auf die zwiespältige Macht des Feuers nimmt ausgerechnet von Marx ihren Ausgang.

"Komplize" Feuer

Der Mensch eigne sich, schrieb dieser in Das Kapital, den Naturstoff unter Zuhilfenahme der "seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte" an. Weil aber Muskelkraft endlich ist, unter nachsklavischen Bedingungen zudem teuer, bildet das Feuer von früh an den ältesten Komplizen von "Homo sapiens". Muss man hinzufügen, dass Sloterdijks aufreizend geringschätziger Umgang mit der wertbildenden Kraft menschlicher Arbeit verblüffend ist? Und vielleicht auch anrüchig?

Die verklärende Rückschau auf das frühindustrielle Wirtschaften zeitigt eine Akzentverschiebung, die Sloterdijk als Snob ausweist. Die Kraftgewinnung bewirkt neben der Entstehung von Smog auch ein neues Verständnis von Wirklichkeit. Doch der Philosoph der "zynischen Vernunft" bleibt, mit Blick auf die menschengemachten Verhältnisse, zugeknöpft. Seine Frage lautet nicht: Wer ist es, der von der unmäßigen Entfesselung der Naturkräfte am meisten profitiert? Sloterdijk schlägt lieber die Industriearbeiter – und alle geringfügig Beschäftigten – sicherheitshalber den Unternehmern zu.

Sie alle bilden die Klasse der "Werte- und Güterschaffenden". Was diese allenfalls voneinander trennt, ist der einen Fleiß – und die Tatsache, dass so viele andere "unproduktiv" sind. Sloterdijk geißelt nicht etwa die irdischen Ungerechtigkeiten, sondern er erklärt die Menschengattung lieber als solche zum geschworenen Feind der Natur: weil Homo sapiens alles abfackelt.

Fiskalische Umverteilung

Die Menschheit sei ein einig‘ Volk von "Verausgabern". Während der Planet zu verbrennen droht, besorgt den Rest – die Herstellung menschenwürdiger Verhältnisse – der "fiskalische Umverteilungsprozess".

Da ist es wieder, das Lieblingsthema des "späten" Peter Sloterdijk (75). Immer sind es die Wohlhabenden, die durch ihre Steuerleistungen für die faulen Unproduktiven aufkommen. Und die Angst scheint groß, dass sich ihr Reichtum weniger rasch regeneriert als des Prometheus geschundene Leber. (Ronald Pohl, 6.6.2023)