Florence Welch nahm das Linzer Publikum im Sturm - ohne Unterstützung des Himmels.
Florence Welch nahm das Linzer Publikum im Sturm - ohne Unterstützung des Himmels. Wenngleich sie ihre Songs dorthin trug.
APA / Georg Hochmuth

Man muss sich nur ordentlich hineinknien. Das dachte sich Anni Calvi – und tat genau das. Im Trio war ihr Auftritt am Freitagnachmittag beim Lido-Sounds-Festival in Linz wegen eines Wolkenbruchs stark verkürzt worden. Die ihr verbliebene Zeit nutzte sie für ein tolles Set, an dessen Ende sie am Boden kniend ein Medley aus "Ghost Rider" von Suicide und dem Traditional "Ain’t No Grave" gab. Zumindest verschränkte die Britin die beiden Songs und markierte so einen Kontrapunkt zu der zu diesem Zeitpunkt das Gelände in Linz Urfahr bereits wieder trocknenden Sonne mit einem Soundtrack, der besser zum Donnerwetter gepasst hätte. Aber natürlich hat man es bei einem Festival doch lieber trocken.

Qualitätsfestival

Das Lido Sounds ist ein bis Sonntag stattfindendes dreitägiges Festival in Linz mit Schwerpunkt Alternativ Music. Zwischen Donau und einer Siedlung gelegen, gibt es sich als Qualitätsfestival, dessen Austragungsort ein wenig an das Primavera Festival in Barcelona erinnert, das ebenfalls am Hafen stattfindet, ebenfalls eine eklektische Mischung bietet, aber längst riesig geworden ist. Das Lido hingegen ist nachgerade familiär, was sich als sehr entspanntes Grundgefühl auf das ganze Gelände übertrug. Von 25.000 Besuchern war am ersten Tag die Rede.

Des einen Leid, des anderen Freud: Während Calvis Set kurz ausfiel, frohlockte auf der zweiten Bühne im Zelt die britische Band Coach Party. Dem von der Isle of Wright kommenden Vierer bescherte der Regen ein volles Zelt. Ihr stark 1990er-affiner Gitarrenrock hielt die Laune hoch, während der Regen runterkam.

Anna Calvi am Lido Sounds in Linz.
Anna Calvi am Lido Sounds in Linz.
APA/GEORG HOCHMUTH

Im Trockenen fand an derselben Stelle später die Österreichpremiere der Arlo Parks statt. Die junge Britin gilt als besondere Newcomerin, seit sie 2021 den Mercury Prize für ihr Album "Collapsed in Sunbeams" erhalten hat. Parks ist seitdem nach Los Angeles übersiedelt und hat eben das Album "My Soft Machine" veröffentlicht – ein etwas vor sich hinplätscherndes Werk, nett und sympathisch, zugleich etwas höhepunktlos – womit schon ihr Auftritt beschrieben wäre.

Zwar flogen ihr die Fanherzen zu, doch was Parks mit ihrer Band bot, war so einnehmend wie austauschbar. Ein mit einem Zeh im Hip-Hop wurzelnder Rhythmus, über den die Band kopfwippend, harmlos-melancholische Popmusik wickelte, dass es plätscherte wie an Jack Johnsons Surfbrett. Dazu verfiel Parks, grundsympathisch und erfreut über den Zuspruch des Publikums, in ein zur Harmlosigkeit nicht wirklich passendes expressionistisches Gebaren, das wiederum von einer ziemlich dünnen Stimme konterkariert war. Das Publikum gab sich dennoch verzaubert, oft machen ja die einfachsten Tricks am meisten staunen.

Interpol beim Lido in Linz, kühl und heiß zugleich.
Interpol beim Lido in Linz, kühl und heiß zugleich.
APA / Georg Hochmuth

Wieder einen Wolkenbruch später, stand die Band Interpol auf der Bühne. Paul Banks – in weißer Jacke, weißen Miami-Vice-Lederschuhen und einer Falco-Gedenk-Sonnenbrille zwischen den Ohren – ist der Sänger der New Yorker Band. Interpol tauchten im Postpunk-Revival der Nuller-Jahre auf, waren kühl und heiß zugleich, und vermählten die Ästhetik der frühen Psychedelic Furs mit einer Dringlichkeit, die die Rockgitarre zurück auf den Dancefloor brachte. Und das mit beträchtlichem Erfolg. Songs wie "Evil" oder "Rest My Chemistry" gingen dem vollen Zelt runter wie anderswo die Regenbäche. Trotz spürbarer Routine ein toller Auftritt. Dann aber: Bühnenwechsel.

Florence + the Machine: Erhabenheit, ohne im Pathos abzusaufen.
Florence + the Machine: Erhabenheit, ohne im Pathos abzusaufen.
APA/GEORG HOCHMUTH

Auf der großen Bühne trat schließlich Florence Welch auf: Florence + The Machine. Sie machte schnell klar, warum sie der Headliner war. Und nur sie. In den für Welchs Bühnenerscheinung typischen Walle-Walle-Gewändern durchmaß sie baren Fußes huldvoll die Bühne, während die Musik vom ersten Moment an druckvoll war, mehr noch, schnell in eine Form der Erhabenheit abhob – ohne deshalb im Pathos zu ersticken. Es ist dieser Grenzgang, den Welch so sehr beherrscht. Sie macht einfach noch mehr Druck, dazu hat sie neben ihre Band ihre Stimme. Ihre aus vollen Lungen in die Nacht getragenen Songs erfuhren so eine Adelung ins Hymnische. "The Dog Days Are Over" war fantastisch, der alte Hit "Kiss With A Fist" mitreißend, sie selbst eine Wucht.

Linz ist seit über 40 Jahren zurecht stolz auf seine Klangwolke, was das Lido da am ersten Tag schon bot, war eine Klangwolke der anderen Art, doch bei aller Unterschied der Arten, mindestens so verzaubernd. (Karl Fluch, 17.6.2023)