Multitalent Jenny Lewis in einer Hundepause. Die US-Musikerin leistet auf ihrem neuen Album
Multitalent Jenny Lewis in einer Hundepause. Die US-Musikerin leistet auf ihrem neuen Album "Joy’All" Trauerarbeit. Da kann durchaus eine Margarita vorkommen.
Amy Harris/Invision/AP

Jenny Lewis ist auf den Hund gekommen. Das ist sprichwörtlich wie buchstäblich zu verstehen. 2017 starb die Mutter der US-Musikerin, ihr Tod speiste die Stimmung des Albums On the Line, über das noch etwas zu sagen sein wird. 2018 starb ihr Ersatzvater Gary Burden, den sie ihren Rock-'n'-Roll-Dad nannte. Burden war ein berühmter Mann: Er designte Plattencover, darunter Klassiker von Neil Young, Joni Mitchell oder den Doors. Und schließlich starb im Vorjahr Lewis’ Mentor und bester Freund, dem sie bis zum letzten Atemzug am Totenbett beistand. All den Verlusten setzte sie einen Hund entgegen, einen Freudenspender, einen sogenannten Cockapoo, eine Mischung aus Cocker Spaniel und Pudel.

Lewis ist eine überdurchschnittlich begabte Songwriterin, eine umtriebige Größe im Indie-Zirkus ebenso wie in der Country-Metropole Nashville. Ihrer Profession nach verhandelt sie diese Themen in ihren Liedern. Mit dem Album Joy’All ist eben ein neues erschienen.

Hund am Beifahrersitz

Schon der Titel unterstreicht, dass die 47-Jährige nicht klein beigibt. Zwar bekennt sie, wie sehr die Schicksalsschläge an ihr zehren, doch sie tut das auf ihre Weise: "My 40s are kicking my ass", singt sie im Lied Puppy and a Truck – und reimt das Ganze auf "Margarita glass". Wohlsein. Es ist ein niederschwelliger Song über ihre Entscheidung, ihre schnittigen Autos zugunsten eines praktischen aufzugeben – schließlich sitzt jetzt ein Hund auf dem Beifahrersitz.

Darüber befindet sie mit den Mitteln eines zärtlichen und augenzwinkernden Country-Rock. Joy’All ist eine Nashville-Platte, vornehmlich, weil sie dort entstanden ist. Doch immer wieder schleicht sich auch der Sound ihrer Heimat Los Angeles in die Musik, der aus dem Laurel Canyon. Die Gegend ist seit den 1960ern eine Chiffre für einen gewissen Klang, für Künstlerinnen wie Carole King, für die Eagles, für Acts, für die Gary Burden die Cover entwarf.

Jenny Lewis - Psychos (Official Video)

Lewis wuchs gewissermaßen im Rampenlicht auf. Mit neun war sie, was man einen Kinderstar nennt. Sie spielte in etlichen Filmen, Serien und Werbungen mit – bis sie mit der Indie-Band Rilo Kiley erfolgreich das Fach wechselte. Bis heute wird sie immer wieder angefragt, wenigstens als Synchronstimme zu arbeiten. Leicht verdientes Taschengeld für große Taschen. Neben ihrer Solokarriere tourt sie zusätzlich mit der Band Postal Service, die sind so etwas wie die US-Ausgabe der deutschen Gruppe The Notwist und beim Label Sub Pop.

Mit dem 2019 erschienenen On the Line etablierte Lewis sich endgültig. Es war ein Westcoast-Album, das wie aus der Zeit gefallen erschien – unter anderem wegen des Covers, das eher an die lockeren 1970er- als an die hochgeschlossenen Zehnerjahre erinnert. Auf On the Line leistete Lewis Trauerarbeit für ihre gestorbene Mutter. Doch das artetet nicht in Selbstzerfleischung und Trauerweidigkeit aus, selbst diese Arbeit war vom Willen durchzogen, weiterzumachen.

Beseelte Balladen

Lewis watete durch beseelte Balladen, stürmte und drängte auf der Suche nach einer Zeit nach der Ohnmacht. Alles passte, alles fiel perfekt, die schweren Themen wurden in eine schwebende Leichtigkeit überführt, ohne ihnen die Tiefe zu nehmen. An den Trommeln zauberten abwechselnd Ringo Starr und Jim Keltner. Don Was pumpte Herzblut aus dem Bass, Beck schaute auf ein paar Freundschaftsdienste vorbei, Ryan Adams spielte Gitarre, ein Streichquartett besorgte den bitteren Themen Süßstoff. Und Lewis sang, raunzte und schmiegte sich an ihre Texte: ein Meisterwerk.

Jenny Lewis - Puppy And A Truck (Official Video)

Joy’All wirkt nun wie ein in der Themenlage schon etwas routiniertes Werk. Seine Entstehung in Nashville betont die countryeske Seite von Lewis, ohne gleich das Lasso zu schwingen. Ihre lockere Textfertigkeit stammt dabei aus einem artfremden Fach, aus dem Hip-Hop.

Schon als Teenager war Lewis in ihrem Freundeskreis dafür bekannt, eine begnadete Rapperin zu sein. Vor allem die launigen Reime der Gruppe De La Soul hatten es ihr angetan. Bis heute soll sie ihre Songs immer wieder als Rap-Stücke proben, denn wenn die Reime dort flutschen, passen sie im Country-Rock erst recht.

Lakonische Stimmung

Im Titelsong ist sogar der Rhythmus Hip-Hop-kompatibel und könnte eines der vielen Sample-Schnipsel sein, mit denen Produzent Prince Paul die frühen Alben von De La Soul zu den verspielten Meisterwerken gemacht hat, die sie sind.

Das passt zur Zeitlosigkeit, die Lewis anvisiert und einfängt. Die Coverästhetik bezieht sich auf die späten 1960er-Jahre, die Stimmung ist oft lakonisch. Die Musik trägt das Bewusstsein in sich, dass all die Menschen, deren Verlust Lewis erlebte, nicht gewollt hätten, dass sie ewig um sie trauert. Das Leben geht weiter. Love hurts, klar. Aber wenn das Glas halbleer ist, muss man eben nachschenken. Zumindest so weit, dass es wieder halbvoll ist. Lewis singt davon ein paar tolle Songs. (Karl Fluch, 19.6.2023)