Lithiumabbau in Itinga
Für den Abbau von Lithium werden Landschafen gerodet, Menschen umgesiedelt, Natur zerstört. Die Wertschöpfung geht zu großen Konzernen, die Bevölkerung etwa in Afrika oder Brasilien leidet.
Reuters / Washington Alves

Um die Klimaneutralität zu erreichen, werden für Elektroautos, Windräder und Solaranlagen Unmengen an Lithium oder Kobalt benötigt. Das sorgt für einen "grünen Wettlauf" in Afrika, wo viele dieser kritischen Rohstoffe im Boden liegen. Dabei würden sich Muster aus der Kolonialzeit wiederholen, kritisieren Samantha Hargreaves und Mkhululi Ncube, die auf Einladung des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) zu Besuch in Wien waren.

Der Bergbau zur Gewinnung der kritischen Mineralien führe oft dazu, dass die lokale Bevölkerung auf weniger ertragreiches Land umgesiedelt werde. Zudem würden die Menschen vor Ort unter Umweltschäden und Konflikten leiden, die durch den Bergbau befeuert würden, sagt Hargreaves. Ihre NGO Womin hilft vom Bergbau betroffenen Frauen, sich zu organisieren. Die lokale Bevölkerung trage die Kosten für Rohstoffe, die Menschen anderswo für E-Autos bräuchten.

Das Absurde daran sei, dass ein großer Teil der afrikanischen Bevölkerung selbst nicht einmal Zugang zu Energie habe. So hätten 600 Millionen Menschen in Afrika keinen Zugang zu Licht, erklärt Ncube, Programmbeauftragter des African Minerals Development Centre der Afrikanischen Union. Man müsse sich bewusst werden, dass die sogenannten kritischen Mineralien für die reichen Länder "kritisch" seien, nicht für Afrika.

Strategische Bedeutung

Für die afrikanischen Staaten hätten die Rohstoffe aber eine strategische Bedeutung. Der Run auf Lithium, Kobalt und andere Rohstoffe könne für afrikanische Länder eine Möglichkeit sein, die Industrialisierung voranzutreiben. Dafür dürften aber nicht nur Rohstoffe extrahiert werden, sondern es müsste ein größerer Teil der Wertschöpfungskette nach Afrika verlagert werden.

Eine wichtige Vorbedingung hierfür sei der Bau von neuen Grundlastkraftwerken. Hier ortet Ncube aber Scheinheiligkeit bei den reichen Ländern: Sie würden solche Kraftwerke in Afrika oft aus Umweltgründen ablehnen – wenn ihre eigene Energieversorgung bedroht sei, wie nach dem Beginn des Ukrainekriegs, würden sie aber selbst wieder auf fossile Energieträger setzen. China, dass beim Run auf die Ressourcen des afrikanischen Kontinents aktuell die Nase vorne hat, begegne seinen afrikanischen Partner hier mehr auf Augenhöhe, so Ncube.

Seiner Meinung nach müssten die westlichen Staaten auch verstärkt geistiges Eigentum an afrikanische Staaten abgegeben, damit sich hier eine eigene Industrie rund um die kritischen Ressourcen entwickeln könne. Als positives Beispiel streicht Ncube ein gemeinsames Projekt der Demokratischen Republik Kongo und Sambias hervor. In einer Sonderwirtschaftszone wollen beide Länder eine gemeinsame Produktion von Batterien für E-Autos aufbauen. Wenn das Projekt gelinge, könne es eine Vorbildfunktion haben.

Landschaften werden zerstört

Wesentlich pessimistischer schätzt Hargreaves die Situation ein. Diese habe sich sogar verschlechtert. Als Beispiel nennt sie den Bauxit-Abbau in Guinea. Dort seien in der jüngeren Zeit ganze Landschaften zerstört worden. Die Menschen vor Ort müssten die Möglichkeit haben, Nein zu geplanten Bergbauprojekten zu sagen. Ihnen gegenüber stünden aber globale Konzerne, deren Interessen von ihren – meist europäischen – Heimatstaaten geschützt würden.

Die meist schwachen staatlichen Strukturen in Afrika würden die Bevölkerung kaum vor Unternehmen schützen, deren Umsatz die Wirtschaftsleistung der einzelnen Länder oft um ein Vielfaches übersteige. Hargreaves wirft die Idee einer "Art Opec für kritische Materialien" in den Raum, damit die afrikanischen Länder eine stärkere Position hätten. Eine Verbesserung könnte zudem das sich noch in  Verhandlungen befindende UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte bringen. Das Abkommen soll die menschenrechtliche Verantwortung transnationaler Unternehmen festschreiben. Es bestehe aber das Risiko, dass am Ende nur eine sehr verwässerte Version bei den Verhandlungen herauskomme, so Hargreaves.

Lieferkettengesetz als Chance

Eine Chance für mehr Verantwortung bietet auch das Lieferkettengesetz. Das EU-Parlament hat vor wenigen Tagen seine Position dazu festgelegt. Um zu verhindern, dass zur Gewinnmaximierung gegen Menschenrechte oder auch Umweltstandards verstoßen wird, sollen große europäische Unternehmen künftig Produktionsbedingungen ihrer weltweiten Lieferketten ins Visier nehmen. Nach Vorstellung des EU-Parlaments sollen die neuen Regeln auch für Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern sowie für den Finanzsektor gelten.

Konkret werden in dem Text des EU-Parlaments Unternehmen, unabhängig von ihrem Sektor, mit mehr als 250 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro sowie Muttergesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro einbezogen. Für Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU soll ein Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro gelten, wenn mindestens 40 Millionen in der EU erwirtschaftet wurden.

Diese Unternehmen wären dann verpflichtet, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte und die Umwelt "zu ermitteln und erforderlichenfalls zu verhindern, zu beenden oder abzumildern", heißt es in einer Mitteilung des EU-Parlaments. Zudem müssten sie ihre "Partner in der Wertschöpfungskette überwachen und bewerten" – dazu gehörten nicht nur Lieferanten, sondern unter anderem auch Verkauf, Vertrieb und Transport.

Sanktionierung durch nationale Aufsichtsbehörden

Zudem sollen Managerinnen und Manager das Geschäftsmodell und die Strategie ihres Unternehmens so ausrichten, dass das Ziel, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, erreicht wird. Es müssen nach Ansicht des EU-Parlaments Beschwerdemechanismen eingeführt werden und die Informationen über die Sorgfaltspflicht auf der Unternehmenswebsite verfügbar sein.

Verstoßen die Unternehmen gegen die Regelungen, sollen sie durch nationale Aufsichtsbehörden sanktioniert werden können – etwa mit Geldstrafen in Höhe von fünf Prozent des weltweiten Nettoumsatzes. Nicht-EU-Unternehmen könnten von der öffentlichen Auftragsvergabe in der EU ausgeschlossen werden. Die genaue Ausverhandlung des Gesetzestextes wird der nächste Schritt sein. (APA, bpf, 6.6.2023)