Im Gastblog betrachtet der Geologe und Bibliothekar Thomas Hofmann Festansprachen und Reden in der Retrospektive.

Alle Jahre, meist im Mai, findet im Rahmen der Feierlichen Sitzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Festvortrag statt. "Wissenschaft in Österreich" war das Thema der heurigen Rede am 12. Mai von Anton Zeilinger. Prominente Festredner und Festrednerinnen sind seit der Mitte des 19. Jahrhunderts fixer Bestandteil, ebenso die Anwesenheit des Bundespräsidenten, der auch eine Rede hält. Noch nie sprach ein wirkliches Mitglied der ÖAW, das zugleich auch Altpräsident und Nobelpreisträger war, in Personalunion. Wurden Reden früher in gedruckter Form publiziert, stehen sie heute als Video einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung.

Ehe Zeilinger sprach, traten Bundesminister Martin Polaschek und Bundespräsident Alexander Van der Bellen ans Pult. Einmal mehr ließ Van der Bellen aufhorchen: "Meine Damen und Herren, ich werde mich ein paar Minuten strikt an den Text halten, der vor mir liegt und Ihnen anschließend erklären warum." Was folgte, war eine mittels ChatGPT, basierend auf künstlicher Intelligenz, generierte Rede. Das PR-Team des Bundespräsidenten hatte "10 bis 15 Minuten" benötigt, um dem Programm die nötigen Stichworte zu geben. "Der Text war in vier Sekunden da", so das sichtlich faszinierte Staatsoberhaupt. Freilich war die Rede eher mittelmäßig. Namen wie die des Akademiepräsidenten Faßmann oder des Festredners Zeilinger fehlten. "Ich hoffe dieses Programm lernt!" Dass an diesen neuen Entwicklungen kein Weg vorbeiführt, ließ Van der Bellen außer Zweifel und schloss: "Ich glaube wir werden noch viel lernen müssen, Danke für ihre Aufmerksamkeit!"

Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Schirmherr der ÖAW, thematisierte in seiner Rede künstliche Intelligenz.
Foto: ÖAW/Natascha Unkart

Anton Zeilinger: "Eine persönliche Reise"

Zeilingers Rede, unterstützt durch eine PowerPoint-Präsentation, kam einer Vorlesung nahe. Doch sie war 100 Prozent echt und authentisch. ChatGPT hätte sich auch schwer getan über "Wissenschaft in Österreich", basierend auf der Karriere Zeilingers ("eine persönliche Reise") eine Rede zu liefern. Der Nobelpreisträger verfolgte den Ansatz, "Wenn ich ein bissl reflektiere, welche Möglichkeiten ich hatte, kommen automatisch auch Aussagen, wie man in Österreich Wissenschaft machen kann". Auch die neuen Möglichkeiten des Computers war ein Thema. Er und sein Team setzten ihn für das Design neuer quantenmechanischer Experimente ein. Dass der Computer Lösungen vorschlug, "die wir nie gefunden hätten", wusste Zeilinger anerkennend zu erwähnen.

Nobelpreisträger Anton Zeilinger sprach am 12. Mai bei der Feierlichen Sitzung der Akademie über "Wissenschaft in Österreich".
Foto: ÖAW/Natascha Unkart

Doch er betont einmal mehr: "Absolut Neues und Kreatives zu machen, da glaube ich sind wir noch voran und ich hoffe auf längere Zeit." In der Karriere Zeilingers gab es immer wieder Menschen, die an ihn glaubten, ihm freie Hand ließen, ihm die nötigen Forschungsmittel gaben, ohne dabei Gewissheit zu haben, was dabei herauskommen würde. Namentlich erwähnte er Wilhelm Fleischhacker, Dekan an der Universität Wien in den 1990er Jahren. Er war es, der ihm an der Universität Wien Labors einrichtete ("Ich vertraue Ihnen!"). Dazu der dankbare Zeilinger: "Auch das gehört dazu, die mutige Entscheidung von einzelnen!"

Der Präsident als sein eigener Festredner

Der erste Langzeitpräsident der 1847 gegründeten kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, war der Physiker Andreas Freiherr von Baumgartner (1793 bis 1865). Er war Universitätsprofessor, Rektor (1849), von 1851 bis 1855 auch Handels- und Finanzminister und stand der Gelehrtengesellschaft 14 Jahre, von 1851 bis 1865, vor.

Andreas von Baumgartner (1793–1865), erster Langzeitpräsident der 1847 gegründeten kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
Foto: Gemeinfrei

Am 30. Mai 1853 sprach er über "Die Wissenschaften des Geistes und deren Verhältniss zu den Wissenschaften der Natur" und resümiert: "Der Naturforscher bändigt die zerstörende Kraft des Blitzes, der Philosoph lehrt die wilde Leidenschaft der Seele zähmen, die Astronomie schliesst uns den unermesslichen Weltraum auf, Moral und Religion öffnen uns die Pforten der Ewigkeit; die Naturwissenschaft heilt die Krankheiten des Körpers, die Wissenschaft des Geistes bezweckt das Heil der Seele; beide aber haben das Wohlbefinden, das Glück und die Veredlung des gesammten Menschengeschlechtes zur grossen Aufgabe. Wer möchte da entscheiden, wem die Palme gebühre?"

In der 1847 gegründeten kaiserlichen Akademie der Wissenschaften gab es bis 1911 mehrere Langzeitpräsidenten.
Foto: Thomas Hofmann

Mangels fehlender Tonaufzeichnungen fehlt der finale Beweis, ob er sich vor dem hohen Auditorium tatsächlich so gewählt ausdrückte. Da aber im 19. Jahrhundert bei Reden eine andere Sprachkultur als heute üblich war, wird er wohl diese Worte gewählt haben. Baumgartner sprach öfters bei den feierlichen Sitzungen. Reden kennen wir aus den Jahren 1854 (Der Zufall in den Naturwissenschaften), 1857 (Die edlen Metalle und ihre Rangordnung als Geldstoffe) oder 1860 (Über Grundgesetze der Naturwissenschaft und ihre Geltung im praktischen Leben).

Inaugurationsreden von allgemeinerer Natur

An Universitäten steht am Beginn eines Rektorats die feierliche Inaugurationsrede, Professuren beginnen mit Antrittsreden. Aktuelle Reden, wie die Inaugurationsrede von Rektor Sebastian Schütze (Universität Wien) am 3. Oktober 2022 oder Rektorin Veronika Sexl (Universität Innsbruck) am 24. März 2023 sind via YouTube abrufbar. Ältere Reden liegen in gedruckter Form vor. So etwa jene von dem Geologen Eduard Suess (1831 bis 1914): er war auch in den Jahren 1898 bis 1911 Präsident der Akademie der Wissenschaften. Mit einer Amtszeit von Oktober 1888 bis März 1889 war er nur ein Kurzzeitrektor an der Universität Wien, da er sein Amt auf eigenen Wunsch zurücklegte. Bei seiner Inaugurationsrede am 16. Oktober 1888 sprach er "Über den Fortschritt des Menschengeschlechtes". Die Rede von Suess, in der er völkerverbindende Töne anschlug, stieß auf positives Echo. "Aber Niemand vergesse, dass der heutige Zustand der menschlichen Cultur die gemeinsame Frucht der Arbeit vieler Nationen ist, dass es einen gemeinsamen Schatz von Wissen gibt, und dass es eine grosse und lichte Zone geistiger Thätigkeit gibt, in welche der Streit des Tages nicht hinaufreicht."

Begeistert war der in Wien tätige Chirurg Theodor Billroth (1829 bis 1894). Seinem Freund, dem Musiker Johannes Brahms, schrieb er noch am selben Tag: "Ich schicke Dir unter Kreuzband (= Drucksache) die heutige Rede von Sueß. (…), von pag. 21 mußt Du lesen. Wie geistvoll und fein alles, wie packend die gewählten Beispiele, wie maßvoll alles, was zwischen den Zeilen abgelehnt wird."

Antrittsreden mit fachlichem Fokus

Antrittsreden, die am Beginn einer Professur stehen, sind meist fachspezifisch ausgerichtet. Als Suess am 9. Oktober 1857 seine außerordentliche Professur für Paläontologie antrat, ging es "Ueber das Wesen und den Nutzen Palaeontologischer Studien". Er wusste auch allgemein Gültiges abzuleiten: "Indem Ihnen die Vergangenheit der Erde klarer vor's Auge tritt, lernen Sie auch die jetzige Schöpfung von einem neuen Standpunkte aus betrachten."

Antrittsreden – ein Spiegel des jeweiligen Forschungsstandes – wurden vielfach gedruckt.
Foto: GeoSphere Austria

Ernst Koken, Paläontologe und Geologe (1860 bis 1912), sprach am 21. November 1895, beim Antritt seiner ordentlichen Professur in Tübingen (Deutschland), über die Eiszeit. Damals wusste man zwar, dass es Eisvorstöße (Glazialzeit) und Eisrückzüge (Interglazial) gab, doch erst Albrecht Penck und Eduard Brückner führten am Beginn des 20. Jahrhunderts die geläufigen Begriffe Günz, Mindel, Riß und Würm für vier Eiszeiten ein. Koken resümierte den damaligen Forschungsstand: "Die beobachteten Thatsachen lassen sich, das gebe ich zu, nicht so unzweideutig gruppieren, dass man mit Ruhe ein: So ist es – aussprechen könnte."

Eröffnungsreden: Dank und gute Wünsche

Wenn Gebäude, Institute oder Forschungsstätten eröffnet werden, ist die Liste der Redner meist lang und prominent. Zu Zeiten der Monarchie, war das meist Chefsache für Kaiser Franz Joseph. Seine Reden hatten eher den Charakter von Grußbotschaften. Sie waren immer kurz, manchmal durchaus persönlich und stets voll guter Wünsche. Stellvertretend für zahlreiche Eröffnungen durch den Kaiser sei die der Sternwarte in Wien Währing, am 5. Juni 1883, erwähnt. Dem Monarchen genügten drei Sätze: "Ich habe mit Befriedigung vernommen, daß die Sternwarte in ihrem Baue und ihrer Ausstattung vollendet ist und daß dieselbe nunmehr ihre Wirksamkeit in einer allen Anforderungen entsprechenden Weise aufnehmen und fortführen kann. Ich bin überzeugt, daß die erhabene Wissenschaft, der diese Anstalt gewidmet ist und welcher Ich gleich Meinen Vorfahren ein reges Interesse entgegenbringe, hier eine würdige Pflegestätte finden wird. Mögen die Arbeiten und Forschungen, die aus dieser Anstalt hervorgehen, der Wissenschaft zur Förderung und dem österreichischen Namen zur Ehre gereichen." (Die Presse, 6. Juni 1883).

Am 28. Oktober 1910 wurde das Institut für Radiumforschung eröffnet. Im Vordergrund Erzherzog Rainer, Kurator der Akademie (l.), neben ihm Eduard Suess, der Präsident der Akademie.
Foto: ÖAW/Bildarchiv (E-0871-C)

Bei diesen Anlässen sprachen auch Wissenschafter und Vertreter der jeweiligen Institution. So etwa am 28. Oktober 1910 bei der Eröffnung des Radiuminstitutes, dem ersten eigenständigen Institut der Akademie der Wissenschaften. Präsident der Akademie war damals Eduard Suess. Bei seiner Ansprache gab er einen kurzen historischen Abriss über das damals neu entdeckte Radium. Er dankte Karl Kupelwieser, der als Mäzen das Institut finanziert hatte und blickte hoffnungsfroh nach vorne: "Dieses Haus soll nicht eine Schule, sondern eine Werkstätte für ernste Arbeit sein. (…) So hoffen wir, daß es gelingen wird, hier in erfolgreicher Arbeit das menschliche Wissen zu erweitern und dadurch den Erwartungen des großmütigen Gebers zu entsprechen. (Langanhaltender Beifall.)" (Neue Freie Presse, 28. Oktober 1910). Diese Rede von Suess wurde nicht aufgenommen; doch seine Stimme kann man in einer historischen Tonaufnahme vom13. Dezember 1905 hören, als er über Globalisierung sprach. (Thomas Hofmann, 12.6.2023)