Mit der österreichischen Fußball-Nationallmannschaft will sich Trainer Ralf Rangnick für die EM qualifizieren.
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Am Samstagabend versammelt sich die österreichische Fußballnationalmannschaft in Windischgarsten, um die Vorbereitung auf die richtungsweisenden EM-Qualifikationsspiele am 17. Juni in Brüssel gegen Belgien und am 20. Juni in Wien gegen Schweden (jeweils 20.45 Uhr) zu starten. Teamchef Ralf Rangnick, seit einem Jahr im Amt, ist durchaus optimistisch.

STANDARD: Einfache Frage, vermutlich schwierige Antwort: Wie schlägt man zunächst Belgien und dann Schweden?

Rangnick: Indem wir als Mannschaft an unser absolut höchstmögliches Leistungsniveau herankommen. Wie das geht, haben wir gegen Italien und auch gegen Aserbaidschan gezeigt. Gegen Estland haben wir unter schwierigen Umständen, ohne sieben potenzielle Startelfspieler, gewonnen. Und vier der sechs Nations-League-Partien waren voll in Ordnung. Wir benötigen also gegen Belgien eine Topleistung, um so einen Spieler wie Kevin De Bruyne nicht zur Geltung kommen zu lassen. Das funktioniert nur über das Kollektiv. Wir brauchen möglichst alle Männer an Bord. Ist das der Fall, dann können wir in Belgien mindestens einen Punkt, vielleicht auch drei Punkte holen. Mit Schweden befasse ich mich danach. Es ist für jeden Gegner sicher kein Spaß, gegen uns spielen zu müssen.

STANDARD: Stimmen Sie zu, dass De Bruyne zu den fünf, wenn nicht drei besten Fußballern der Welt gehört?

Rangnick: Ja, im Mittelfeld auf jeden Fall.

STANDARD: Sie sind nun ein Jahr beziehungsweise zehn Spiele im Amt. Wie schaut die Bilanz aus? Man hat ja bestimmte Erwartungen. Wurden sie erfüllt?

Rangnick: Es war schon ein Kaltstart. Direkt aus Manchester nach Österreich zum Lehrgang. Vier Spiele in zehn Tagen, ohne Zeit, groß zu trainieren. Wir hätten in dieser schwierigen Nations-League-Gruppe locker drei, vier, wenn nicht sogar sechs Punkte mehr holen können. Ich denke an die Heimspiele gegen Dänemark, Frankreich oder Kroatien. Zuletzt haben wir gezeigt: Sind wir voll fokussiert und muss nicht mehr getestet oder ausprobiert werden, sind wir in der Lage, gegen jeden Gegner nicht nur zu bestehen, sondern ihn zu schlagen.

STANDARD: Wurden die Erwartungen also übererfüllt?

Rangnick: Es ist noch kein Zeitpunkt für ein Resümee, das können wir nach der Qualifikation im November ziehen. Der Anspruch, den ich an uns habe, ist ganz klar: Die direkte Qualifikation für die EM als Erster oder Zweiter in der Gruppe, lieber als Erster. Schaffen wir das, haben wir zumindest das erste Etappenziel erreicht. Dann wollen wir in Deutschland nicht nur teilnehmen, sondern möglichst weit kommen. Ich bin kein Freund von Zwischenbilanzen, eine Geschichte muss fertig erzählt sein. Wir sind gut gestartet, haben die zwei Heimspiele gewonnen. Davon musste man aber ausgehen. Jetzt kommen die schweren Brocken, danach wissen wir ein bisschen mehr.

STANDARD: Worin sehen Sie das größte Verbesserungspotenzial?

Rangnick: Sind alle fit, sind wir in sämtlichen Mannschaftsteilen gut aufgestellt. Der Ausfall von Keeper Heinz Lindner war nicht eingeplant, er war Stammtormann bei seinem Verein, jetzt müssen wir sehen, wer in den beiden Spielen im Tor steht. Auch der wahrscheinliche Ausfall von Marcel Sabitzer schmerzt, er ist extrem wichtig. Ob es bei Kevin Danso geht, ist offen. Natürlich ist Luft nach oben immer vorhanden, das ist eine Detailarbeit. Ich habe nicht so viel auszusetzen. Wir müssen schauen, dass wir unsere Spielweise, die oft sehr gut war, mit dem richtigen Ergebnis untermalen. Auch wenn es keine großartige Erkenntnis ist: Das Resultat muss im Fußball passen.

STANDARD: Spielt der 34-jährige Rekordinternationale Marko Arnautovic langfristig gesehen noch eine große Rolle? Ihn plagen ja immer wieder Verletzungen.

Rangnick: Ich rechne mit ihm.

STANDARD: War das 2:0 gegen Italien, auch wenn es sich nur um ein Freundschaftsspiel gehandelt hat, die Messlatte?

Rangnick: Ja. Weil Leistung und Resultat gestimmt haben, das ist die ideale Paarung. Wir hätten sogar höher gewinnen können.

STANDARD: Der Juni ist ein heikler Termin. Die Spieler sind ausgelaugt, einige sind auf Vereinssuche, es gibt Transfergespräche. Beeinflusst das die Vorbereitung in Windischgarsten?

Rangnick: Den Lehrgang beeinflusst es nicht. Wir treffen uns sogar zwei Tage früher, Samstagabend statt Montagvormittag. Man muss die Einheiten am Ende einer langen Saison gut dosieren, aber das geht dem Gegner auch nicht anders. De Bruyne und Lukaku spielen am 10. Juni sogar noch das Champions-League-Finale. Wir brauchen Fingerspitzengefühl, eine Mischung aus Belastung, Regeneration und Ablenkung. Aber ein Trainingslager ist zu keinem Zeitpunkt ein Ponyhof.

STANDARD: Lassen Sie Manager oder Berater ins Hotel?

Rangnick: Normalerweise nicht. Sagt mir ein Spieler, es ist etwas Dringendes zu klären, dann benennt man ein Zeitfenster, dann kriegt er eine Stunde. Aber ein und aus gehen werden Manager nicht.

STANDARD: Das Niveau in der Bundesliga ist deutlich gestiegen. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Rangnick: Es ist offensichtlich, dass zumindest Sturm näher an Red Bull Salzburg gerückt ist. Die Grazer wurden Cupsieger, waren auch in der Liga lange Zeit dicht dran. Dahinter gibt es noch den LASK, aber dann wird die Lücke, der Abstand schon sehr groß. Salzburg und Sturm haben die Nase vorn. Ob das Niveau gestiegen ist, weiß ich nicht, dazu habe ich in den Jahren davor die Liga nicht aufmerksam genug verfolgt. Sturm hat auf den Positionen des Sportdirektors und des Trainers richtig gute Leute. Das ist kein Zufall. Und in meinem Kader sind immerhin sechs Spieler aus der österreichischen Liga. Das ist durchaus erfreulich und ein Beleg für die Stärke.

STANDARD: Haben Sie sich als Deutscher an die österreichische Mentalität gewöhnt? Es heißt ja, hier wird so viel geraunzt, so viel gejammert. Ein Problem damit?

Rangnick: Nein. Als ich 2012 in Salzburg anfing, habe ich zu Christoph Freund gesagt, wir müssen regelmäßig Spieler finden und entwickeln, um sie dann für hohe, zweistellige Millionensummen zu verkaufen. Er hat mich angeguckt wie ein Auto. Ralf, wir sind eine Skifahrernation, hat er gesagt. Na und, das ist die Schweiz auch, habe ich geantwortet. Was die Schweiz geschafft hat, kann man auch in Österreich schaffen. Da muss man eben größer denken. Ich kann mir mit unserer Mannschaft sehr viel vorstellen, ich kann mir vorstellen, dass wir gegen jeden gewinnen können.

STANDARD: Stört Sie der angebliche Hang zu Gemütlichkeit?

Rangnick: Ich habe überhaupt nichts gegen Gemütlichkeit, im Gegenteil. Ab und zu soll es gemütlich sein. Da können sich Österreich und Deutschland gut ergänzen. Wir können uns das Entspannte abschauen, dem Österreicher schadet nicht zu sagen, da ist viel mehr möglich, da steckt mehr drin. Man kann sich gegenseitig befruchten.

STANDARD: Können Sie eine Euphorie auslösen? Gegen Aserbaidschan und Estland war das zwar eher kleine Linzer Stadion immerhin zweimal ausverkauft.

Rangnick: Ich kann Euphorie nur mitinitiieren, auslösen muss sie die Mannschaft auf dem Platz. Die Spiele in Linz haben gezeigt, was Heimvorteil ausmacht, das war zeitweise ein Hexenkessel. Dort konnten wir ein Spiel drehen, da war richtig Energie vorhanden. Das versprechen wir uns auch in Wien gegen Schweden im hoffentlich ausverkauften Happel-Stadion.

STANDARD: Sie mögen das Ernst-Happel-Stadion nicht wirklich.

Rangnick: Wenn es voll ist, ist es durchaus okay. Es ist nur dann nicht sehr prickelnd, wenn 15.000 Zuschauer kommen.

STANDARD: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, sich für die EM zu qualifizieren?

Rangnick: Es liegt letztendlich nur an uns. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, weiß ich nicht, sie ist mir egal. Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen. Die nächsten zwei Spiele werden richtungsweisend sein, da wollen wir so viele Punkte wie möglich holen. Sechs wären perfekt. (Christian Hackl, 8.6.2023)

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