Juni ist Pride-Month, da bekommt die LGBTQ-Community wieder viel Aufmerksamkeit. Der ganze Monat steht im Zeichen des Regenbogens, des Symbols queerer Menschen. Doch die klassische Flagge mit sechs Farbstreifen von Rot und Orange über Gelb und Grün bis hin zu Blau und Violett weicht zusehends anderen Varianten. Die aktuelle Flaggenversion beinhaltet einen Keil aus Streifen in Schwarz, Braun, Hellblau, Rosa und Weiß sowie einen violetten Kreis auf gelbem Untergrund. Progressive Flag nennt sich die Flagge, auf die man beispielsweise auch bei den Wiener Linien umgestiegen ist. Über den ganzen Juni hinweg ziert sie zum ersten Mal die Straßenbahnflotte.

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Wiener Straßenbahn mit Progressive Flag
Dieses Jahr setzen die Öffis auf die aktuelle Version der Regenbogenflagge.
Wiener Linien

Was es mit den Änderungen auf sich hat und wie die unterschiedlichen Flaggendesigns von einem gestalterischen Standpunkt her zu beurteilen sind, weiß Erwin Bauer. Er lehrt seit 1993 an der Universität für angewandte Kunst in der Klasse für Grafikdesign sowie an der Donau-Universität Krems, leitet außerdem das "buero bauer" für interdisziplinäre Gestaltung und gilt als Vorreiter im Bereich der barrierefreien Gestaltung, dem sogenannten Inclusive Design.

"Eine Flagge ist ein Symbol. Es steht für eine Gruppe oder eine Bewegung. Die aktuelle Regenbogenflagge ist der Versuch das ganze queere Spektrum vollständig abzubilden", sagt Erwin Bauer. Aus grafischer Sicht sei die Progresse Pride Flag keine gute Flagge, denn sie entspreche in ihrer Überfrachtung nicht dem Prinzip von gutem Flaggendesign: der Reduktion und Verständlichkeit. "Sie hat aber natürlich trotzdem absolute Berechtigung. Sie ist eine Art visuelles Tagebuch des queeren Diskussions- und Entwicklungsprozesses der letzten 50 Jahre auf einen Blick. Das finde ich spannend", sagt Bauer.

Bunte Historie

Symbol der LGBTQ-Community ist der Regenbogen seit den Siebzigerjahren. Ursprünglich wurde er 1913 als Zeichen des weltweiten Friedenszeichen von einem Geistlichen in den USA eingeführt. Darin erinnert heute auch noch die "bandiera della pace". Die queere Regenbogenflagge unterscheidet sich von dieser aber durch verschiedene Merkmale. Sie trägt keinen Schriftzug, die Reihenfolge der Farbtöne ist umgekehrt, und es gibt nur sechs statt sieben Farbstreifen.

Das ursprüngliche Design der queeren Flagge wurde 1978 vom Künstler Gilbert Baker gestaltet. Der Originalentwurf  sah einen grell rosafarbenen Streifen ("hot pink") vor. Dieser aber musste aber aus Produktionsgründen entfernt werden. Auch auf den türkisfarbenen wurde verzichtet. So entstand die bekannte Variante. "Die Vexillologie genannte Flaggenkunde kommt aus der Heraldik (Wappenkunde) und in dieser hat jede Farbe eine Bedeutung. Das sieht man auch in der Regenbogenflagge." erklärt Grafikdesigner Erwin Bauer. Rot steht für Leben, Orange für Gesundheit, Gelb für das Sonnenlicht, Grün für die Natur, Blau für Harmonie und Violett für den Geist.

Regenbogenflagge, Gebäude
Die klassische Variante der Regenbogenflagge als queeres Symbol
Sechs Farbflächen, denen alle eine Bedeutung zugeordnet wurde.
IMAGO/photothek

Im Laufe der Zeit sei im Diskurs über Identitätsfragen und -diskurse eine wahre Flut an unterschiedlichen Flaggen entstanden, sagt Bauer. So haben pan-, poly- und asexuelle, genderfluide und auch heterosexuelle Menschen ihre eigenen Flaggen. Mit zunehmender Sichtbarkeit und Akzeptanz von Transpersonen wurde auch ihr Symbol immer bekannter: eine Flagge mit Farbstreifen in Hellblau, Rosa, Weiß, Rosa, Hellblau. Gestaltet hat sie die Transaktivistin Monica Helms.

2017 schlug Daniel Quasar, Gestalter aus den USA, einen neuen Entwurf der Regenbogenflagge vor. Das ursprüngliche Design ergänzte er um einen nach rechts gerichteten Keil in den Farben der Transpersonen. Außerdem noch um einen brauen und einen schwarzen Farbstreifen, der marginalisierte Gruppen wie People of Colour sowie Aids-Opfer repräsentieren soll. Die Keilform möchte Quasar als Symbol für die Richtung des Fortschritts, der noch erreicht werden muss, verstanden wissen. In der klassischen Bedeutungslehre der Vexillologie habe der Keil hingegen keine spezifische Bedeutung, sagt Erwin Bauer. Hier in der Progress-Flagge steht er für die vielen Fortschritte, die noch vor uns liegen.

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Regenbogenflagge mit Keil
Das klassische Design wurde um einen Keil ergänzt, um Transmenschen und marginalisierte Gruppen zu repräsentieren.
IMAGO/epd

Die Flagge wurde kürzlich ein weiteres Mal erweitert, der Keil um einen violetten Kreis auf gelbem Grund ergänzt. Dabei handelt es sich um das Symbol intersexueller Menschen.

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Die erneut erweiterte Flagge vor dem US-Supreme Court.
REUTERS

Exklusion durch Inklusion

"Die aktuelle Progressive Flag wird mit sehr viel Bedeutung aufgeladen. Dadurch entsteht eine formale Problematik. Sie wirkt überladen. Aus grafischer Sicht braucht es einen neuen gestalterischen Anspruch, anstatt eine Aneinanderreihung von Elementen und bestehenden Entwürfen", erklärt Erwin Bauer. Der Versuch möglichst vollständiger Inklusion führe paradoxerweise erst recht zu Exklusion. Denn je mehr Gruppen dezidiert abgebildet werden, mache die Nicht-Abbildung der anderen noch explizierter.

Aber wie könnte man das Problem lösen? "Der Kreis erscheint mir als geeignetes Element. Formal wäre er klar verständlich und reduziert, was den Gestaltungprinzipien von Flaggen entspreche und symbolisch verkörpert er die Idee der Inklusion, er umfasst alles und stellt eine Einheit dar," sagt Bauer, weist aber darauf hin, dass man Symbole nicht so einfach verordnen kann. Sie müssten sich kulturell verankern. So habe man beispielsweise versucht, das Rote Kreuz beziehungsweise den Roten Halbmond durch eine Raute als übergreifendes Symbol für medizinische Hilfe zu ersetzen. Durchgesetzt hat sich das Design aber nie. Bleibt abzuwarten, ob es Bauers Vorschlag eines Kreises als queeres Symbol schafft. (Michael Steingruber, 12.6.2023)