Erwin Wurm hat es sich im ersten Stock des neuen Wiener Louis-Vuitton-Store gemütlich gemacht. Wobei, nicht ganz: Er sitzt auf einem kleinen Sessel, das Sofa überlässt er der Interviewpartnerin. Vor ihm steht eine Flasche Cola, es kann also losgehen.

Erwin Wurm
Mit jeder Hose, jedem Sneaker und jedem Sakko könne man sich selbst erfinden, sagt Erwin Wurm. Das sei die Macht der Mode.
Heribert Corn

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, dass die besten Dinge im Vorbeigehen passieren. Wie sind Ihnen denn die Arbeiten für den Store passiert?

Wurm: Ich habe in der Galerie Ropac in Paris meine flachen Skulpturen (Malereien) ausgestellt. Der Architekt Peter Marino, der auch ein Sammler von mir ist, kam vorbei. Dem haben sie gefallen, er hat mich gefragt, ob mich die Zusammenarbeit interessieren würde. Ich habe mehrere Vorschläge gemacht, dieser wurde angenommen. Die Worte auf den Bildern sehen wie ausgewalzt aus – so als nähme man eine Plastilinkugel, über die man drüberfährt. Sie wird flach und zum Kreis.

STANDARD: Peter Marino sagt also "Ich hätte da im Wiener Store eine Wand frei, mach du mal"?

Wurm: Ich dachte, eine solche Zusammenarbeit funktioniert nie. Aber es lief unproblematisch und schnell ab. Alle waren gleich einverstanden, das kommt selten vor. In Wien ist es meist anders, im eigenen Nest ist es schwieriger.

STANDARD: Eine solche Zusammenarbeit mit einem Luxusunternehmen ist lukrativ, richtig?

Wurm: Die Arbeiten wurden aufgekauft und sind nun Teil der Sammlung LVMH. Sonst hätte ich das nicht gemacht. Bei Louis Vuitton ist es mir aber auch leichtgefallen zuzusagen, weil ich mich in guter Gesellschaft befinde. Yayoi Kusama hat gerade mit dem Unternehmen zusammengearbeitet, von Andreas Gursky hängt eine Fotoarbeit im Berliner Store.

STANDARD: Sie haben in Modemagazinen wie "Vogue" Bilderstrecken veröffentlicht, jetzt hängen Ihre Arbeiten in einem Luxusmodestore. Wie beeinflussen diese Räume Ihre Arbeiten?

Wurm: Ich habe nie architekturbezogene Kunst ausgestellt oder mich auf Räume bezogen. Als ich im Kunstverein Bremen mit den "One Minute Sculptures" (Menschen posieren mit Alltagsgegenständen, Anm.) begonnen habe, war ich mir nicht sicher, ob das gut war. Die Arbeit ist sehr nah am Banalen, am Skurrilen und Klamaukigen, weil ich mich mit den marginalen, unangenehmen Details unseres Lebens auseinandersetze. Mir war aber klar: Wenn ich die Arbeit inflationär verwende, dann ergeht es ihr wie Brancusis Vogel, der unzählige Male nachgemacht wurde und dadurch verloren hat. Deshalb habe ich die "One Minutes" von Beginn an bewusst im Museumskontext gezeigt. Nachdem ich von einigen Modedesignern abgekupfert worden war, bin ich vorgeprescht in die Magazine. Das wurde am Anfang nicht so gern gesehen. Heute bewegen sich viele Künstlerinnen und Künstler in der Modewelt, das hat sich sehr verändert.

STANDARD: Sie hatten nie Berührungsängste gegenüber der Mode?

Wurm: 1997 wurde ich von Palmers eingeladen, eine Werbekampagne zu gestalten, da haben alle die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen: Macht der Wurm jetzt Werbung? Ich habe Fotos von Pornomodels gemacht und wollte den Blick auf die Frau konterkarieren. Palmers fand die Bilder hässlich und hat sie abgelehnt. Ich habe sie aber im Museums- und Galeriekontext ausgestellt. Dann kam die Luxusmarke Hermès und hat mich gefragt, ob ich die "Monde Hermès" interpretieren möchte. In dem Fall war mir wichtig, dass sie keine Werbung mit meiner Arbeit machen.

STANDARD: Das Verhältnis von Mode und Kunst war immer ambivalent ...

Wurm: Ich glaube, dass es das jetzt nicht mehr ist. Die Welten überlappen, inspirieren und bereichern sich. Besonders bei den Jungen fällt mir das auf. Die Erkenntnis, dass man sich mit Mode immer wieder neu erfinden kann, ist heute sehr verbreitet.

STANDARD: Wenn wir schon dabei sind, was tragen Sie denn heute außer Ihren Nike-Sneakern?

Wurm: Das sag ich Ihnen sicher nicht, ich mache hier doch keine Markenshow. Aber die Nike-Sneaker hat mir mein Sohn vor zwei Jahren zu Weihnachten geschenkt, und ich trage sie noch immer gern. Sich mit jeder Hose, jedem Sneaker und jedem Sakko neu erfinden zu können, das ist die Macht der Mode. Ich liebe übrigens auch Designer wie Karl Lagerfeld oder Yves Saint Laurent.

STANDARD: Mode wird in der Kunstwelt nicht mehr als gefällig abgetan?

Wurm: Es wird immer Gruppen geben, die das tun. Mich interessiert Mode, ich arbeite gern damit, empfinde sie als eine Bereicherung unseres Lebens.

STANDARD: Wie oft betreten Sie Luxusmodegeschäfte?

Wurm: Wenn ich mich belohnen will, besorge ich mir gern ein Kleidungsstück. Wichtig finde ich übrigens Umkleidekabinen mit einem eigenen Spiegel, dann muss ich nicht nach draußen gehen. Ich habe aber auch viel bei Asos eingekauft. Mein Sohn, der recht qualitätsaffin ist, fragt mich dann, wo ich das Klumpert gekauft habe.

STANDARD: Sie haben in der Vergangenheit Anzug, Handtasche, Hoodie etc. zu Skulpturen gemacht.

Wurm: Nicht zu vergessen den Pullover für den Stephansdom. Warum ich das mache? Die klassischen athletischen Bronzeskulpturen waren bei den Griechen und den Römern nur durch eine dünne Bronzeschicht definiert. Heute ist die Kleidung unsere zweite Haut und gibt die Form vor. Ich versuche eben nicht, die großen Fragen zu stellen: Wohin kommen und gehen wir? Sondern: Was ziehen wir an, und was essen wir?

STANDARD: Und: Welche Handtasche tragen wir? Dienen Ihnen konkrete Modelle als Vorbilder?

Wurm: Eine Birkin Bag und ein Modell von Céline haben als Vorlage hergehalten. Es gibt aber auch Arbeiten, die nicht auf Designerstücken fußen. Ich kenne mich allerdings gar nicht so gut aus.

STANDARD: Wenn Künstlerinnen und Künstler zunehmend wie Brands funktionieren, wie schwer ist es, Neues auszuprobieren?

Erwin Wurm 
Der Künstler und seine Werke: Erwin Wurm im Treppenhaus des Wiener Louis-Vuitton-Store.
Heribert Corn

Wurm: Eine gute Idee ist jedenfalls zu wenig. Ich habe mir noch nie gesagt, ich bin schon in hundert Museen vertreten. Ich kämpfe noch immer jeden Tag darum, mich weiterzuentwickeln. Ich habe für mich ein Qualitätslevel definiert, das ich nicht unterschreiten will. Oft gelingt es mir nicht – und oft gelingt es mir ein bisschen. Das Kämpfen hält mich aufrecht.

STANDARD: Es wird viel über die Kunst des Scheiterns gesprochen. Was ist Ihnen nicht gelungen?

Wurm: Vieles.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Wurm: Netter Versuch. Was nicht gelingt, muss man wegwerfen.

STANDARD: Sie können sich einfach so trennen?

Wurm: Sicher. Mein erstes Fat House fußte auf dem Haus Moller von Adolf Loos. Als ich das aufgeblasen habe, sah es aus wie eine Hüpfburg. Das wollte ich nicht, deshalb habe ich es zerstört. Dann erst habe ich das klassische langweilige Satteldachhaus genommen.

STANDARD: Sie hätten es auch recyceln können.

Wurm: Vor zwanzig Jahren hat man nicht an Recycling gedacht, sondern weggeworfen.

STANDARD: Sie haben nicht nur für Mode eine Schwäche, sondern auch für Autos ...

Wurm: Aber auch für viele andere Dinge. Ich werde gern darauf festgelegt, interessiere mich aber genauso für Häuser oder Architektur.

STANDARD: Es nervt Sie, auf Mode und Autos festgelegt zu werden?

Wurm: Nein, das ist mir wurscht.

STANDARD: Fahren Sie noch Ihren Tesla?

Wurm: Ja, und zwar sehr bewusst und stolz.

STANDARD: Zeitgemäßer wäre ein Fahrrad, oder?

Wurm: Mein Problem ist: Ich lebe am Land, 50 Kilometer rein in die Stadt und am nächsten Tag wieder raus, das schaffe ich in meinem Alter nicht mehr.

STANDARD: Wäre das Fahrrad nicht auch eine Skulpturidee?

Wurm: Zum Fahrrad wurde doch schon so viel gemacht ...

STANDARD: Herr Wurm, Sie verstehen sich als politischer Künstler ...

Wurm: Mit Politik will ich nichts mehr zu tun haben. Ich habe meine Lektion gelernt und einen dicken Schlussstrich gezogen.

STANDARD: Sie haben doch früher Briefe an Politiker geschrieben. Haben Shitstorms Sie zum Schweigen gebracht?

Wurm: Nein, das waren schon die Politiker selbst. Von denen bin ich enttäuscht.

STANDARD: Haben Ihre Arbeiten jemals so provoziert wie Ihre Statements?

Wurm: Einige Arbeiten dürfen nicht ausgestellt werden. In meiner Ausstellung in England im Yorkshire Sculpture Park darf ich das Fat House und das Fat Car nicht zeigen, weil sich Menschen beleidigt fühlten. Dabei haben die Arbeiten gar nichts mit Dickleibigkeit zu tun. Es ging mir darum, das technische System des Autos und das biologische System des Wachsens zu verbinden und etwas Neues und Absurdes entstehen zu lassen. In Rom durfte ich keine Gurken und Würste zeigen, weil sie eine Beleidigung für Männer darstellen. In Russland und China gingen andere Dinge nicht. In Amerika wurden meine Anleitungen zum politisch Unkorrekten abgelehnt.

STANDARD: In Österreich ist wiederum alles erlaubt?

Wurm: Proust sagte mal, da, wo er lebt, will er ein privates Leben führen. Das geht mir ähnlich. Deshalb ziehe ich mich auch von allem zurück. Ich komme aus kleinen Verhältnissen, mein Vater war Polizist. Als ich bekannter wurde, fand ich am Anfang cool, dass sich Menschen für meine Arbeit interessierten. Ich habe dann schnell gemerkt, dass das Interesse weniger der Arbeit als dem etwas bekannteren Künstler galt. Deshalb denk ich mir, ich brauch die alle nicht. Mich interessiert einfach mehr, im Ausland auszustellen.
(RONDO, Anne Feldkamp, 15.6.2023)