Bablers emotionale Rede am Parteitag wurde von den Delegierten zum Teil mit frenetischem Applaus quittiert.
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Immer wieder beugte sich Andreas Babler – gespannt wie eine Feder – am Rednerpult vor und polterte ins Auditorium des Parteitags: "Wir sind keine Bittsteller." Mit ebenso kräftiger Lautstärke tönte frenetischer Applaus als Echo zurück. Der verbale Angriff auf "Die da oben", die Reichen, das Kapital und die Konzerne sowie sein Versprechen, er werde für Gerechtigkeit sorgen, waren Balsam auf die Ohren vieler Parteitagsdelegierter.

Die oberen Zehntausend müssten endlich mehr abgeben, signalisierte Babler an diesem schicksalhaften Parteitag in Linz in der Hoffnung, dass ihm viele auf dem linken Pfad folgen würden. So prononciert linke, antikapitalistische Äußerungen hatte vor ihm in den letzten Jahrzehnten kein SPÖ-Vorsitzender öffentlich getätigt.

Die komplette Rede von Andreas Babler beim Parteitag in Linz am vergangenen Samstag
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Aber wie realistisch ist eine Umsetzung seiner Visionen? Der Traiskirchner Bürgermeister wird für seine Reise in die österreichische Innenpolitik neben seiner marxistischen Grundausstattung wohl noch ein gehöriges Maß Pragmatismus einpacken müssen. Denn direkt umsetzbar sind seine Vorstellungen eines linken Österreich wohl nur schwerl.

Drogenpolitik aufweichen

Das beginnt schon beim kleinen gesellschaftspolitischen Aufreger einer Legalisierung von Cannabis – einer alten Forderung Bablers, zu der er nach wie vor steht. Außer bei den Grünen, den Neos und der SPÖ-Jugend findet er gegenwärtig aber kaum jemanden, der ihm bei einer Legalisierung folgen würde. ÖVP und FPÖ sind strikt dagegen. Die ÖVP blockte via Twitter die Forderung nach einer Legalisierung abermals kategorisch ab: "Wir werden es nicht zulassen, dass die österreichische Bevölkerung durch die SPÖ in ihrer Gesundheit gefährdet wird. Ziel muss es sein, Kinder und Jugendliche in Bezug auf Drogen zu sensibilisieren und nicht zu Drogenabhängigen zu machen."

Viel Unterstützung ist aber auch in seiner eigenen Partei nicht zu erwarten. Ex-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner hatte eine Legalisierung ebenso abgelehnt. Innerparteilich blieb dies bisher unwidersprochen.

Millionärssteuer

Tiefer in die gesellschaftspolitische Materie geht da schon die Forderung nach einer "Millionärssteuer". Da stößt Babler auf großes Gehör in seiner Partei – auch in der Gewerkschaft. Ab einer Million Euro, was nur die reichsten vier Prozent der Haushalte betreffe, bringe eine diesbezüglich Steuer, schrieb er in sein Programm, "bis zu fünf Milliarden Euro".

Eine Erbschaftssteuer mit einem Freibetrag von einer Million brächte demnach zusätzlich 650 Millionen Euro jährlich. Und alleine die Rücknahme aktueller "Steuergeschenke" für Konzerne würde bis 2026 gut 1,9 Milliarden Euro einbringen, so Bablers Berechnungen.

Diese Steuerbrocken würde eine ÖVP und auch die FPÖ nicht schlucken – und auch nicht die Neos, was sich bei einer von Babler angestrebten rot-grün-pinken Regierung wohl als unüberwindbare Bedingung darstellen würde. Forderungen nach noch mehr Steuern seien "ökonomischer Irrsinn", sagt etwa Neos-Wirtschaftssprecher Gerald Loacker. Eine Vermögenssteuer, die wirklich etwas bringen soll, würde demnach vor allem den Mittelstand hart treffen. "Und das Letzte, was die Durchschnittsverdienerinnen und Durchschnittsverdiener jetzt brauchen, ist eine zusätzliche Belastung", sagt Loacker.

Die Grünen zumindest wären dafür zu haben. Auch sie plädieren für ein "Ende der steuerlichen Begünstigung hoher Kapitaleinkommen und eine Finanztransaktionssteuer als Spekulationsbremse". Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler startete jüngst sogar einen neuen Anlauf für eine Erbschaftssteuer. Kogler verlangte zum Missfallen des Koalitionspartners ÖVP eine "Millionärssteuer" für "Millionenerben". Wenn jemand eine "fette Villa" oder "astronomische Aktienpakete" erbe, zahle er nämlich derzeit "nix, null, niente, nada" für die Gemeinschaft, ortete der Grünen-Chef eine "himmelschreiende Ungerechtigkeit".

In der politischen Rhetorik sind sich Kogler und Babler also durchaus ähnlich. Der ÖVP-Wirtschaftsbund warf Kogler jedenfalls "Klassenkampf" vor.

Viertagewoche

Bablers Forderung nach einer Viertagewoche bzw. einer Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich, die er schrittweise einführen möchte, ist ein ebenso harter Brocken. Im theoretischen Diskurs wird auf Basis  international gelaufener Pilotprojekte eine Arbeitszeitverkürzung auf der einen Seite durchaus befürwortet. Es zeige sich kein Verlust der Produktivität, die Verkürzung wirke sich positiv auf die Lebensqualität und Gesundheit aus, zumal mehr Zeit für Erholung bleibe, heißt es da. Dagegen wird argumentiert, eine Verkürzung sei kontraproduktiv, der Lohnausgleich verursache zu hohe Kosten. Unternehmen könnten die Mehrkosten an die Konsumenten und Konsumentinnen weitergeben. Exportbetriebe bekämen Wettbewerbsnachteile. Naturgemäß sind ÖVP und Neos für eine generelle Viertagewoche nicht ins Boot zu holen. Die FPÖ ist ebenso dagegen, die Betriebe sollten dies individuell selbst regeln.

Babler muss aber auch seine eigenen Reihen noch überzeugen. Als "utopisch, wie im Schlaraffenland", lehnt auch der burgenländische Landeshauptmann und Babler-Konkurrent Hans Peter Doskozil eine 32-Stunden-Woche ab. Er plädiert andererseits für einen Mindestlohn. "Wir können schon über Arbeitszeitverkürzung reden, aber erst dann, wenn sich die Löhne so entwickelt haben, dass die Leute von diesen leben können", argumentiert Doskozil.

Noch ganz nicht zu Ende gedacht scheint Bablers 32-Stunden-Forderung für die Wiener Parteirealität, denn eine Arbeitszeitverkürzung würde sich für die rote Stadt Wien einschneidend auswirken. Die Reduzierung auf 32 Stunden brächte auch die Stadtverwaltung in Nöte, zumal schon jetzt – wie vielerorts  in Unternehmen – qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht werden. Weniger Arbeitszeit würde natürlich mehr Personal bedingen. Der Personalmangel ist aktuell vor allem im Gesundheitsbereich bereits alarmierend.

Leerstandsabgabe

Betroffen wäre Wien auch von Bablers Forderung nach einer Leerstandsabgabe für Wohnungen. "Zehntausende Wohnungen stehen in Österreich leer, weil sie nur Spekulationsobjekte sind. Hier werden wir mit Steuern auf Leerstände eingreifen, damit der vorhandene Wohnraum wieder zugänglich wird", sagt Babler, Das betrifft freilich auch den Wiener Gemeinde-Immobilienbestand. Auch Wien würde hier wegen leerstehender Objekte zur Kassa gebeten werden.

Aber die SPÖ Wien steht dem nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Die SPÖ-Neos-Stadtregierung hat sogar einen Brief mit dem Wunsch nach einer Leerstandsabgabe an den Bund gerichtet. Denn dies betrifft vor allem private Immobilienbesitzer. Beschließen müsste eine derartige Regelung der Bund – oder er regelt, dass die Bundesländer zuständig sind.

Vom Bund kam aber ein Nein zurück. Ein Leerstand sei schwer nachzuweisen, weil etwa das Melderegister oder der Stromverbrauch keine eindeutigen Indizien seien. Dazu könne eine Leerstandabgabe vermehrt zu kurzfristigen Mietverträgen führen. Zudem droht laut dem Finanzministerium die Gefahr, dass Leerstandabgaben in den Mietzins eingepreist werden. In den Bundesländern wird hingegen vereinzelt versucht, Abgaben selbst einzuführen. Die Zustimmung zur Leerstandsabgabe geht jedenfalls quer durch die Parteien. Da steht Babler nicht alleine da.

Soziale Forderungen

Kaum Probleme, Mitstreiter und Mitstreiterinnen zu finden, dürfte Babler bei seinen grundsätzlichen Forderungen nach  einem "gesunden Mittagessen für jedes Kind", dem "Ausbau von Kindergärten und Ganztagsschulen", "mehr Zeit für Patient:innen statt Stechuhr-Pflege", "höheren Löhnen in der Pflege" oder dem Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel haben. Schwieriger wird's schon beim Verlangen nach einer 50:50-Quote im Parlament und dem Recht auf einen fachärztlichen Termin innerhalb von 14 Tagen.

Als Draufgabe In der Kategorie Populismus findet sich bei Babler die Forderung nach einem Verbot von Privatjets. Dazu haben sich die anderen Parteien noch nicht wirklich profund geäußert. 

Migration

Und dann wäre da noch das Thema Asyl und Migration. Eine Sprenglinie in der SPÖ.

Als Fundament für die SPÖ-Position in diesem Bereich gilt das vom Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser zusammen mit Doskozil ausgearbeitete Papier. "Integration vor Zuzug und ein klares Bekenntnis zu den Menschenrechten", lautet der Grundsatz dieser Festlegungen, die 2018 zur Parteilinie erklärt wurden.

Babler will das Papier überarbeiten, es sei schon ein paar Jahre alt und gehöre "vertieft". Solche Papiere seien nur eine grobe Orientierung und in der Praxis "recht unpraktisch", sagt Babler. Es geht unter anderem um die  Asylzentren. Babler argumentiert, es sei egal, ob diese innerhalb oder außerhalb der EU errichtet werden, es gehe in erster Linie darum, welche Kriterien und welche Rechtsinstanzen für Asylgewährungen zuständig seien. Der Asylprozess müsse generell verbessert werden, da spiele es keine Rolle, "auf welcher Seite eines Zauns so ein Verfahren stattfindet". Das Thema Asyl und Migration wird die SPÖ wohl auch unter Babler weiter intensiv beschäftigen – vor allem im Diskurs mit der rechten FPÖ und der hier nach rechts gerückten ÖVP.

Kritik an der EU

Und schließlich ist da noch Bablers Haltung zur EU. Babler hat die EU vor Jahren als "ein neoliberalistisches, protektionistisches, Konkurrenz aufbauendes ... Konstrukt in der übelsten Art und Weise" bezeichnet. Außerdem sei sie, "wie wir gesehen haben, das aggressivste außenpolitische militärische Bündnis, das es je gegeben hat – mit Beistandsverpflichtungen", wenn wirtschaftliche Interessen von Mitgliedsländern außerhalb der Union gefährdet seien.

Babler relativierte nun seine seinerzeitigen EU-Sager und räumte ein, die EU bringe auch viel Positives, etwa im grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt und Arbeitnehmerschutz. Aber es gebe eben auch Punkte, "die nicht so gut laufen – Stichwort Orbánisierung. Festungen bleiben in der Geschichte immer als Ruinen zurück. Europa kann keine Festung werden."

Mit seiner EU-kritischen Position spricht Babler nicht nur Teile der eigenen Reihen an, er könnte damit durchaus in blaue oder partiell grüne Bereiche ausstrahlen. Am Parteitag scheint ihm die EU-kritische Haltung eher genutzt als geschadet zu haben. 

Für den in den eigenen Reihen schon als "linker Volkstribun" gefeierten Babler hatte ein prominenter ÖVP-Lobbyist und ehemaliger ÖVP-Ministersprecher jedenfalls einen Tweet parat: "Die @SPOE_at hat jetzt also auch ihren Messias. Wir hatten bereits das Vergnügen. Viel Spaß dabei ;-)". (Walter Müller, 9.6.2023)