Vor einigen Tagen nahm ich an einer wissenschaftlichen Tagung teil. Die Vortragenden lasen in meist schlechtem Englisch direkt aus ihren Fachaufsätzen vor. Vielen konnte ich schwer folgen. Nicht weil mir die Thematik nicht geläufig oder die Fragestellungen zu komplex gewesen wären, sondern weil die Wissenschafter in ihrem Jargon verweilten. An Universitäten ist das normal – sich verständlich zu machen bringt einen dort nicht unbedingt weiter.

Während der Kaffeepause erzählte eine jüngere Professorin, sie plane, ein Sachbuch für ein breites Publikum zu schreiben. Die Kollegen, die um sie herumstanden, schauten sie verdutzt an und fragten, warum sie sich das denn antun wolle.

Publikationen zählen

Für die Karriere und für den Aufstieg in den Hierarchien der Universitäten zählt vor allem die Anzahl an Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, den Scientific Journals. Je höher deren internationales Rating, desto besser für die Autorin oder den Autor. Die eigene Forschung der Öffentlichkeit zu erklären ist für akademische Karrieren nicht ausschlaggebend. Das Gleiche gilt für den Unterricht an Hochschulen. Ein anderer Teilnehmer der Tagung erzählte von einem Bekannten, der vor kurzem einen Preis für hervorragende Leistungen in der Lehre bekommen hat. Dieser schien sich darüber mehr zu schämen als zu freuen: Gut zu unterrichten, das müsse wohl bedeuten, in der Forschung weniger zu leisten.

Universität Wien
Der Haupteingang der Universität Wien.
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Warum unterwerfen sich die meisten Wissenschafterinnen und Wissenschafter der Tyrannei des Publizierens? Warum spielen in Berufungsverfahren für Professuren neben der Einwerbung von Drittmitteln hauptsächlich Journalpublikationen eine Rolle? Ich weiß nicht, wie Wissenschaft und Universität in dieses Hamsterrad gekommen sind – diese Situation hat jedoch enorme Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Die Universitäten brauchen die Rankings und internationale Anerkennung zur Akquirierung von Forschungsgeldern. Nichts gegen Exzellenz in der Forschung, aber ein immer größer werdender Output bringt immer weniger Neues in die Welt. Die Mehrheit der Forschenden spielt im Mittelfeld und hat sich mit dem Druck, publizieren zu müssen, arrangiert. Generative künstliche Intelligenz und Programme wie ChatGPT werden die Flut an wissenschaftlichen Publikationen weiter erhöhen.

Ausscheiden aus dem System

Viele begabte Doktorierende oder Postdocs scheiden nach Vertragsende frustriert aus dem System aus. Jahrelang im Schatten eines Professors unter prekären Anstellungsverhältnissen zu arbeiten, um dann vielleicht irgendwann mal eine fixe Stelle zu ergattern – das ist für eine immer kleiner werdende Zahl möglich.

Wir benötigen dringend neue Indikatoren und Mechanismen, mit denen wir die Qualität von Forschung und Lehre und damit auch die Leistungen unserer Universitäten neu bewerten. Dazu könnten zum Beispiel Leistungen im Bereich der Wissenschaftskommunikation zählen.

Nicht nur Studierende und junge Forschende, sondern die ganze Gesellschaft braucht eine Wissenschaft, die sich verständlich erklären und faktenbasiert Orientierung geben kann. Forschende, die sich darum bemühen, sollten Anerkennung ernten und nicht verwirrte Blicke. (Philippe Narval, 12.6.2023)