Museum der Völker Schwaz
Ein Khmer-Objekt der Sammlung ist das Halbrelief einer himmlischen Tänzerin, entstanden zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert.
Museum der Völker, Sammlung Chesi Stadt Schwaz / Gert Chesi

Die langen Schatten der Kolonialgeschichte reichen bis in die Tiroler Provinz und werden dort auf semitransparente Vorhänge geworfen: In solch einer Inszenierung sah man im Schwazer Museum der Völker (MdV) zuletzt etwa den Schattenriss eines französischen Militär-Tropenhelms, der sich bei näherer Betrachtung als das vergoldete Prestigeobjekt eines ­Baule-Oberhaupts aus der Elfenbeinküste entpuppte. Wo die ­kolonialisierte Bevölkerung die Symbolik ihrer Usurpatoren aufgriff, spricht man vom Colon-Stil.

Zahllose Beispiele dafür finden sich auch in europäischen Museen. Woraus sich ergibt, was Lisa Nogg­ler-Gürtler als "doppelte Aneignung" bezeichnet. Seit 2017 leitet die Historikerin und Kulturwissenschafterin das Museum der Völker, das über eine ethnografische Sammlung verfügt, wie man sie in einer Bezirkshauptstadt kaum vermuten würde. Teil des knapp tausend Objekte umfassenden Bestands sind auch den Khmer zugeschriebene Skulpturen und Reliefs aus der Tempelanlage Angkor Wat, die ihre Schatten in die aktuelle Sonderschau Spurensuche werfen.

Fragen erwünscht

Dass man sich fragt, wie diese Objekte in den Handel und nach Schwaz gelangt sind, ist erwünscht: Seit ihrem Antritt treibt Noggler-Gürtler die Erforschung der Bestände voran, seit 2022 ist das MdV Teil eines auf vier Jahre angelegten, auch große Bundesmuseen wie das Weltmuseum umfassenden Provenienzforschungsprojekts des Bundes.

Allerdings, so die Museumsleiterin, sei die Geschichte des MdV "komplett anders gelagert" als etwa jene des Weltmuseums, "weil unsere Objekte nicht als Kolonialgut in die Sammlung gekommen sind". Soweit bekannt, wurden sie nämlich zum größten Teil nach 2008 erworben und ordnungsgemäß nach Österreich eingeführt. Was bedeute, sagt Noggler-Gürtler, dass die Provenienzforschung in vielen Fällen auf die verschlungenen Wege des Kunst- und Antiquitätenhandels mit außereuropäischen Artefakten führen würde, wo die "Auskunftsbereitschaft enden wollend" sei.

Für eine öffentliche Sammlung – seit 2017 befindet sie sich im Eigentum der Stadt – klingt das nach abenteuerlichen Verhältnissen, die sich aus der Entstehungsgeschichte des Museums erklären: Gegründet wurde es vom 1940 geborenen Sammler, Fotografen und Autor Gert Chesi, der seiner Heimatstadt bereits in Jugendjahren als umtriebiger Kulturakteur den provinziellen Mief auszutreiben versuchte. 1995 eröffnete Chesi das Haus der Völker und präsentierte auf Reisen durch Westafrika und Südostasien gesammelte Ritual-, Alltags- und Kunstobjekte.

Museum der Völker Schwaz
Dieser vergoldete Helm aus der Elfenbeinküste war in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts Prestigeobjekt eines Baule-Königs.
Museum der Völker, Sammlung Chesi Stadt Schwaz / Gert Chesi

Das Haus wurde bald zur Drehscheibe für eine internationale Sammler-Community, die ihre Objekte in Schwaz ausstellte. Mit an­genehmen Nebeneffekten, sagt Noggler-Gürtler: "Objekte werden in einem Museum wissenschaftlich erklärt und auf gewisse Art legitimiert", was sich auch auf den Wert auswirke. Noch heute würden in Auktionshäusern Objekte mit der Provenienzbezeichnung "Haus der Völker" auftauchen.

Bedenken beim Land

Als Chesi nach rund zwanzig Jahren Museumsbetrieb seinen Rückzug ankündigte, waren die Debatten über den Umgang mit den Beständen ethnografischer Museen zwar schon im Gange, aber noch nicht wirklich in Schwaz angekommen. Wobei eine angedachte Übernahme von Chesis Sammlung durch das Land Tirol auch an den unscharfen Grenzen zwischen Museumsbetrieb und Kunsthandel gescheitert sein dürfte. Bedenken kamen damals aus der Kulturbeamtenschaft.

Am Ende beteiligte sich das Land an einem Um- und Neubau, Chesi übergab seine Sammlung 2016 als Schenkung an die Stadt Schwaz. Deren seit 2022 amtierende SP-Bürgermeisterin Viktoria Weber gibt auf STANDARD-Nachfrage ein "klares Bekenntnis" zu den Provenienzforschungen ab, auf die Noggler-Gürtler seit 2017 auch gegen allerlei Widerstände pocht.

Chesi, der sich stets als Vermittler betrachtete, zeigte daran lange kein Interesse, sieht das heute aber anders, wie es in einem Statement heißt, das im Museum zu lesen steht. Der Sammler, der viele Objekte eigenen Angaben zufolge direkt bei Kunsthandwerkern oder Voodoo-Priestern erworben hat, ist auch die wichtigste Auskunftsperson. Was die Khmer-Objekte betrifft, endet die Spur bislang bei der Lek Gallery in Bangkok, einem der größten Player im internationalen Antiquitätenhandel. Noggler-Gürtler will im Museum auch Kontexte vermitteln, etwa Kriminalfälle um geplündertes Kulturgut. Auch das gehöre zur Transformation weg vom Museum mit Exoten-Touch, hin zu einem Ort des Dialogs über das "Eigene" und das "Andere". (Ivona Jelčić, 12.6.2023)