Dass der Prozess friktionsfrei ablief, kann man wahrlich nicht behaupten. Inzwischen steht aber fest: Andreas Babler ist neuer Bundesparteichef der SPÖ. Und mit dem bisherigen Bürgermeister von Traiskirchen an der Spitze wird sich erwartungsgemäß vieles ändern. Atmosphärisch, strategisch – aber auch im politischen Gefüge der Republik. Denn die neue Ausrichtung der Partei betrifft nicht nur die Sozialdemokratie selbst, sondern auch alle anderen Parlamentsparteien.

Mit dem bisherigen Bürgermeister von Traiskirchen an der SPÖ-Spitze wird sich erwartungsgemäß vieles ändern.
REUTERS / Lisa Leutner

Im Zentrum wird die Frage stehen, welche Ziel- und vor allem Wählergruppen der neue rote Vorsitzende anspricht; von welchen Parteien er Stimmen holen kann und umgekehrt; und wie sich das auf mögliche Koalitionsvarianten nach der kommenden Nationalratswahl auswirken wird.

Die Stimmen rechts der Mitte

Fest steht: Babler will im Vergleich zu Doskozil und durchaus auch zu seiner Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner einen schärferen Linkskurs fahren. Damit dürfte er stärker bei den Grünen wildern, aber geringere Chancen haben, Stimmen von der FPÖ zurückzuholen. Überschneidungen zwischen ÖVP-Wählern und Babler-Sympathisanten scheinen ohnehin eher peripher. Eine vielzitierte – wenn auch bisher nicht durch Wahlen belegte – These besagt daher: Mit Babler als SPÖ-Chef sinken die Chancen auf eine Mehrheit für eine österreichische "Ampel"-Variante aus SPÖ, Grünen und Neos – die Koalition, die sowohl Doskozil als auch Babler als Ziel ausgegeben haben.

Eine solche Mehrheit "links der Mitte" – die Neos als liberale Partei reihen sich dort nur in gesellschaftspolitischen Fragen ein – ist in Österreich strukturell ohnehin schwer erreichbar: In der Geschichte der Republik wählte außer in den Jahren der Kreisky-Alleinregierungen von 1971 bis 1983 immer eine Mehrheit Parteien rechts der Mitte – also ÖVP, FPÖ oder Kleinparteien und Abspaltungen wie das BZÖ.

ÖVP: Eine Neuauflage der großen Koalition ist unwahrscheinlicher geworden

"Das alles heißt nichts Gutes für unser Land und für die Menschen in unserem Land", kommentierte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker die vermeintliche Wahl Hans Peter Doskozils zum neuen SPÖ-Vorsitzenden am Samstag vor einer Woche. Was freilich nicht in der Aussendung der ÖVP zu lesen war: Auch für die Volkspartei hätte ein SPÖ-Vorsitzender namens Hans Peter Doskozil nichts Gutes bedeutet. Doskozils Programm sowie Persönlichkeit hätten schließlich das Potenzial gehabt, erfolgreich im türkisen Wählerteich zu fischen. Programmatisch hätte er mit seiner "rechteren" Asyl- und Migrationspolitik Wählerinnen und Wähler der ÖVP abholen, vom Typus her hätte er zudem gerade im für die Volkspartei wichtigen ländlichen Bereich punkten können. Es gibt auch Umfragen aus dem Burgenland, wonach es Überschneidungen bei Wählerinnen und Wählern gibt, die bei der Landtagswahl Doskozil gewählt haben und bei der Nationalratswahl Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Der tatsächlich zum SPÖ-Chef gewählte Andreas Babler erweist sich für die ÖVP hingegen fast schon als Glücksfall. Er wird dieser kaum Wählerinnen und Wähler streitig machen, steht doch sein inhaltliches Programm konträr zu jenem der ÖVP. Damit bietet Babler für die ÖVP auch mehr Reibungsfläche. Diese nutzte Stocker bereits in den ersten 24 Stunden, nachdem Babler das Amt angenommen hatte, aus, um diesen scharf zu attackieren – Grund war Bablers Forderung nach einer Legalisierung von Cannabis.

Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat durch diese Aufstellung – Babler weit links, FPÖ-Chef Herbert Kickl weit rechts – die Chance, sich als Vertreter der gemäßigten Mitte zu positionieren. Eine Regierungsbildung dürfte sich mit einer von Babler geführten SPÖ allerdings schwieriger als mit Doskozil erweisen. Babler präferiert eine Ampelkoalition, die ÖVP dürfte sich sehr schwertun, einen prononciert Linken zum Partner oder gar Kanzler zu machen.

Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat die Chance, sich als Vertreter der gemäßigten Mitte zu positionieren.
APA / Georg Hochmuth

FPÖ: Die Freiheitlichen haben mit dem SPÖ-Chef einen neuen Reibebaum

Ein prononciert Linker an der Spitze der Sozialdemokratie, der in den ersten Tagen im neuen Amt mit Aussagen wie "Flucht ist ein Menschenrecht" und der Forderung nach einer Legalisierung von Cannabis aufhorchen lässt – für FPÖ-Chef Herbert Kickl ist ein SPÖ-Chef Andreas Babler wohl fast wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen. Dass nun also doch Babler den roten Chefsessel erklimmen konnte, dürfte sich für die Freiheitlichen als reiner Glücksfall erweisen – taugt er als Feindbild und Reibebaum doch wesentlich besser als der weiter rechts angesiedelte Hans Peter Doskozil.

"Babler schwächt die Linken und mobilisiert die Rechten", sagt ein blauer Funktionär. Tatsächlich dürfte der rote Chef eher in die Wählerschaft der Grünen hineinwirken – insbesondere jene Wählerinnen und Wähler, die von der grünen Regierungsbeteiligung enttäuscht sind, könnten in Bablers SPÖ eine Alternative finden. Allerdings dürfte es auch Wählerinnen und Wähler geben, die zuletzt aus reiner Protesthaltung ihr Kreuz bei der FPÖ gemacht haben und nun mit Bablers Konzept eines Sozialstaates, der die Schwächsten in der Gesellschaft auffängt, liebäugeln. Auch Bablers in der Vergangenheit getätigte EU-feindliche Aussagen könnten potenzielle Wählerinnen und Wähler der FPÖ abholen. Grosso modo dürfte sich der Abfluss von Blau zu Rot unter Babler jedoch in Grenzen halten. Doskozil wäre für die FPÖ mit Sicherheit die größere Bedrohung gewesen. Nicht zuletzt wegen dessen restriktiverer Linie bei Asyl- und Migrationsthemen.

Eine Regierung aus SPÖ und FPÖ gilt unter Babler als ausgeschlossen. Das dürfte ein Wermutstropfen für die Freiheitlichen sein, die nach wie vor sämtliche Umfragen anführen. Gibt es doch nicht wenige Blaue, die nach den schlechten Erfahrungen mit der ÖVP eine klare Präferenz für eine Koalition mit den Roten haben – zu ihnen dürfte auch Kickl selbst zählen.

FPÖ-Chef Herbert Kickl hat mit Andreas Babler ein linkes Gegenüber.
APA / Werner Kerschbaummayr

Grüne und Neos: Für die beiden kleineren Parteien wird es im Koalitionspoker enger

Für Grüne und Neos ist der Babler-Effekt ein ähnlicher: Ihre Chancen auf eine Regierungsbeteiligung könnten sinken. Warum, das zeigt ein Blick auf die Umfragen. Eine Neuauflage von Türkis-Grün geht sich da bereits rein rechnerisch schon lange nicht mehr aus. Auch Rot-Grün, Rot-Pink oder Türkis-Pink sind meilenweit von einer Mehrheit entfernt. Heißt: Die einzige halbwegs realistische Chance auf eine Regierungsbeteiligung haben Grüne wie Neos in einer Dreierkoalition.

Werner Kogler (Grüne) und Beate Meinl-Reisinger (Neos) könnten Verlierer des neuen roten Kurses sein.
APA / BKA / Regina Aigner

Und auch die beiden realpolitisch denkbaren davon, Türkis-Grün-Pink oder Rot-Grün-Pink, schrammen nach geltender Umfragelage deutlich an der Umsetzbarkeit vorbei. Für letztere Variante läge es daher in erster Linie an der SPÖ, Stimmen aus dem Spektrum rechts der Mitte zu einer rot-grün-pinken Ampel "herüberzuholen". Inhaltlich wie auch atmosphärisch würden die meisten politischen Beobachter das Doskozil aber eher zutrauen als Babler.

Und links der Mitte ähneln Stimmverschiebungen oft der "Reise nach Jerusalem": Was Grün verlor, gewann stets zu großen Teilen Rot hinzu – und umgekehrt. Wechselwählen im linken Spektrum führt also eher zu einem Nullsummenspiel als zu steigenden Chancen für eine linke Mehrheit. In den vergangenen Jahren mischten bei diesen Verschiebungen auch die Neos stark mit, die trotz ihrer wirtschaftsliberalen Agenda aufgrund ihrer gesellschaftlich ebenso liberalen Positionen von vielen Wählerinnen und Wählern näher an den Linksparteien verortet werden.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger.
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Während die Grünen wegen Bablers prononcierterem Linkskurs gewisse Abwanderungsbewegungen Richtung SPÖ fürchten müssen, tun sich die Neos vor allem inhaltlich mit Babler weit schwerer als mit seiner Vorgängerin. Bablers Kritik an einer "neoliberalen" EU etwa, die als "aggressivstes militärisches Bündnis" "schlimmer als die Nato" sei, widerspricht den pinken Vorstellungen von Europa- wie Wirtschaftspolitik ziemlich diametral. (ANALYSE: Sandra Schieder, Martin Tschiderer, 12.6.2023)