Graces Silvia Gribaudi
Titel
Ende gut, alles besser: Als Tänzerin in ihrem Stück "Graces" greift die italienische Choreografin Silvia Gribaudi zusammen mit drei Herren der Schöpfung nach den Sternen feministischen Humors.
Giovanni Chiarot / Puntozero

Große Bühnenerlebnisse bei Silvia Gribaudis "Graces"

Dass gute Zeiten gefährlich sein können, weil die darin begangenen Fehler künftige Krisen heraufbeschwören, ist historisch belegt. Kunst kann auf diese Gefahren hinweisen – das gilt auch für Tanz und Performance.

Solche Zeitkritik pflegt das genau darauf spezialisierte Festival Sommerszene Salzburg seit mehr als einem halben Jahrhundert. Ab 1971 hat sich das Festival immer wieder neu erfunden, und es ist auch in seiner aktuellen Ausgabe so frisch, als wäre es erst gegründet worden.

Kunst kann auch das Krisenhafte in Eros umwandeln – als schöpferisches Verlangen im Sinn des englischen Aufklärers Shaftesbury und des Freud’schen Lebenstriebs.

Drei Herren Grazien

Wie unglaublich viel Libido im Schaffen, Präsentieren und Rezipieren von Kunst steckt, ist bei der Sommerszene durchgehend zu erleben, ganz besonders aber in der Tanzperformance Graces der Italienerin Silvia Gribaudi.

Die Arbeiten der in Turin geborene Choreografin verkörpern eine Ästhetik, in der mit Witz und Komik ein Blickwechsel befeuert wird. Das Besondere dabei ist der völlige Verzicht auf Demagogie. Gribaudi selbst ist kein dünner, aber sehr wohl ein trainierter Körper, der ausgezeichnet tanzt. Bei Graces tut sie das mit drei schlanken jungen Männern, die ihren physischen Humor ausspielen, indem sie mit dem Risiko des Lachhaften flirten.

An das Thema der Geschlechter-Stereotype und -Identitäten geht Gribaudi ohne normative Theoriekorsette heran, und die manchmal etwas sinistre Lust am Virtuosen hinterfragt sie mit dem ihr eigenen Humor, ohne in die Falle eines faden Dilettantismus zu geraten.

Ein ausgefuchstes Spiel

Eine Frau, drei Männer: Man kann sich vorstellen, wer hier – in Abwandlung von Canovas bekannter Statuengruppe vom Beginn des 19. Jahrhunderts – die Grazien sind.

Und man sollte nicht enttäuscht sein, dass Silvia Gribaudi darauf verzichtet, ein Klischee mit einem anderen zu übermalen. Sondern sich davon überzeugen lassen, wie gut im Tanz der satirische Aspekt des Humors funktioniert.

Hier wird deutlich, wie sich dramaturgische Brüche, angespielte Soli und ausgefuchstes Schattenspiel, verbale und gestische Zuwendung an das Publikum so verbinden, dass Kritik kritisch bleibt, auch wenn sie beglückend daherkommt.

Myhre
Er ist die Musik, sie der Tanz. Aber Ingrid Berger Myhre und Lasse Passage sind auch nicht auf den Mund gefallen.
Sara Anke

"Panflutes and Paperwork" von Ingrid Berger Myhre

Eine sprachvirtuose Geburt des Gespanns Tanz und Musik aus einem soundpoetischen Duett über Fish 'n' Chips leitet Panflutes and Paperwork des Künstlerpaars Ingrid Berger Myhre und Lasse Passage ein: "Dance 'n' Music" ist wie Surf 'n' Turf oder Rock 'n' Roll.

Diese so humor- wie stimmungsvolle Performance haben die norwegische, in Brüssel arbeitende Choreografin Berger Myhre und der ebenfalls aus Norwegen stammende Musiker Passage knapp vor Ausbruch der Pandemie aus der Frage entwickelt, was es heute bedeutet, sich zu oder mit Musik zu bewegen.

Im Stück spielen zwar weder Panflöten noch Papierkram mit, aber dafür nach der musikalisch verbalen Einleitung umso deutlicher Gitarrenklänge, Schlaghölzer oder etwa ein choreografierter Song mit dem Titel I want to take you home – und damit die Feststellung, dass Tanz mehr zu bieten hat als gekonnte Körperarbeit.

Der Tanz ist frei

Panflutes and Paperwork ist ein ironischer Beleg dafür, wie frei der Tanz geworden ist. Nach Jahrzehnten des Richtungsstreits und der Prinzipienreiterei müssen sich Choreografierende heute nicht mehr um Konventionen in ihrer Kunst kümmern. Ein Emanzipationsprozess, der bereits fest im internationalen Kanon etabliert ist.

Diese Voraussetzung nutzen Berger Myhre und Passage mit unprätentiösem Charme, um eine raffinierte Show zu inszenieren, bei der die Tänzerin und der Musiker auch ihre Rollen tauschen.

In der Folge erfährt das Publikum, dass sich’s besonders befreiend lacht, wenn man den tieferen Sinn hinter einem darstellerischen Trick erkennt. Hier wird klar: Intelligenz 'n' Witz gehören einfach zusammen. 

Flierl
Auf den Spuren der ungarisch-serbischen "Yoko Ono des Balkans" finden Jule Flierl und Irena Z. Tomažin ein U.F.O.
Anja Weber

Jule Flierl und Irena Z. Tomažin feiern Katalin Ladik

Auch der Balkan hatte in den 1960ern seine Aufbruchsbewegung. Mit dabei war damals die 1942 in Novi Sad geborene Katalin Ladik. Der heute vielfach ausgezeichneten Künstlerin widmen Jule Flierl und Irena Z. Tomažin ihre stimmgewaltige Performance U.F.O. – Hommage to Katalin Ladik.

Die Bewunderung für das klangpoetische Performancewerk dieser "Yoko Ono des Balkans" hat die bei SEAD in Salzburg ausgebildete Berliner "Soundtänzerin" Flierl und die slowenische "Choreovokalistin" ­Tomažin zusammengebracht. Ausgangspunkt ihres Stücks ist Ladiks Körperkunst-Solo UFO Party, mit dem sie 1969 ihre Karriere startete.

Da habe sie "Gedichte als Rezitativ vorgetragen und als Nächstes Lautpoesie", berichtet die Künstlerin. Auf die Lautpoesie folgte "ein kurzes Performancestück, bei dem ich in schamanischem Gewand eine Art Ritual durchführte. Darin war ein Hauch von Erotik, und das zog natürlich die Aufmerksamkeit der Leute am meisten auf sich."

Kosmos der Stimmen

In dieser genau geplanten Dramaturgie wollte Ladik nicht nur ihre Gedichte veröffentlichen, sondern "auch etwas von meiner Lebensreise zeigen". Und weil die Kraft ihrer Performance auch jene mitreißen konnte, die kein Vorwissen über zeitgenössische Poesie mitbrachten, kam der Erfolg: "Meine Gedichte wurden veröffentlicht, und bald war ich sehr populär."

Etwas mehr als fünfzig Jahre später tauchen Flierl und Tomažin auf Basis ihrer eigenen künstlerischen Forschung tief in Ladiks Klangperformance-Universum ein. Dabei lösen sie die Grenzen zwischen Lyrik, Schauspiel, Tanz und Stimmkunst auf und formen einen ganz eigenen zauberhaften Kosmos der stimmlichen Körperpoesie. (Helmut Ploebst, 12.6.2023)