"Chicago No. 295", 2018, from the series "Electric Downtown".
Jon Ball

"Dad, ist die Farbe Blau, die ich sehe, genauso wie die Farbe Blau, die du siehst?" Diese Frage seines Sohnes stand am Anfang der Fotoserie "Electric Downtown" von Jon Ball. 1973 in Moskau geboren, wanderte Ball in die USA aus und machte sich in Idaho einen Namen als Porträtfotograf. Mit einer unkonventionellen Farbpalette zeigt er urbane Räume aus neuer Sicht. "Ich konnte beobachten, dass wir uns durch die Farben unserer Welt verankern. 'Electric Downtown' lässt uns etwas Neues in der amerikanischen Stadtlandschaft sehen", sagt Ball über seine Fotoserie. Zu diesem Foto erklärt er: "Beim Fotografieren in Chicago habe ich eine unterirdische Straße erkundet. Diese Tür erstrahlte, weil die Sonne von außen auf sie fiel. Ich habe sofort an eine mächtige, unbekannte und von Licht erfüllte Kraft gedacht, die versuchte, die Tür aufzubrechen."

"Seattle No. 50", 2017, from the series "Electric Downtown".
Jon Ball

"Ein sehr kleiner Prozentsatz unserer Welt wurde derart dicht verbaut. Freeway, Autos, Parkplätze, Riesenrad, Ampeln und Stiegen sind auf diesem Bild präsent. Es ist leicht, einen Blick darauf zu werfen, ohne die Einzigartigkeit dieses Ortes zu erkennen. Die Farben glätten die Szenerie und helfen uns dabei, noch einmal hinzusehen", sagt Jon Ball.

"Las Vegas No. 13", 2017, from the series "Electric Downtown".
Jon Ball

Jon Ball zu diesem Foto: "Ich habe viele Tage damit verbracht, durch Las Vegas zu schlendern. Diese Szene hat mich in ihren Bann gezogen, und ich habe sie oft fotografiert. Nachtclub, Hotel und Palmen bilden Schichten, die den Eindruck eines fremden Planeten erwecken. So wie auch Vegas selbst."

"Untitled", Axel Towers, Copenhagen, Denmark, from the series "Powerlines".
Fred Mortagne

Geometrische Kompositionen und Fluchtlinien, die Verbindung zwischen Licht und Schatten, Schwarz und Weiß sowie das Filmkorn sind intime Bestandteile der Fotoserie "Powerlines" von Fred Mortagne. Als "French Fred" eine Legende in der Skaterszene, ist der Franzose derzeit vorwiegend als Fotograf aktiv. Seine Arbeit konzentriert sich auf die Suche nach einer visuellen Sinnlichkeit des Urbanen, die sich durch ihren vielfältigen und zeitlosen Charakter auszeichnet. Eine gemeinsame Bildsprache verbindet Mortagnes weltweit ausgestellte Werke, die sich mitunter erst auf den zweiten oder dritten Blick offenbart und den besonderen Reiz seiner Fotografie ausmacht.

"Aus einem sehr eigentümlichen und unüblichen Winkel erschien mir dieses Gebäude in Kopenhagen (die Axel Towers) wie eine Welle. Wie Surfer sind auch wir Skateboarder immer auf der Jagd nach der perfekten Welle (aus Beton). Meine Augen suchen immer nach Dingen, die man skaten kann", schildert Mortagne. "Dieser Fokus auf sehr bestimmte Details im urbanen Raum geht Hand in Hand mit der Fotografie. Ich schaue mich nach Skate-Spots und zugleich nach Motiven für Fotos um."

"Untitled", Hugo Liard Tail Drop Lyon, France, 2014, from the series "Powerlines".
Fred Mortagne

"Witzigerweise habe ich diesen Skate-Spot auf meinem Weg ins Fotolabor in meiner Heimatstadt Lyon entdeckt. In meinen Skate-Fotografien geht es weniger um Performance als um den ästhetischen Aspekt des Sports und seine Beziehung zum Stadtbild. Licht und Schatten, Filmkorn und Kontrast sind einige der Hauptzutaten, die ich gerne vermische, um starke, zeitlose Bilder zu erzeugen. Nachdem ich einen fotogenen Skate-Spot wie diesen gefunden habe, stelle ich sicher, dass ich zur richtigen Zeit mit dem richtigen Skateboarder wiederkomme. Hier zeigt Hugo Liard sehr eindrucksvoll sein Können", lässt uns Mortagne wissen.

"Untitled", Plateau des Glières, France, 2020, from the series "Powerlines".
Fred Mortagne

Das Skateboarden spiele in seinem fotografischen Schaffen eine entscheidende Rolle, hält Mortagne fest: "Das Band zwischen diesen beiden Leidenschaften von mir ist sehr stark, aber nicht immer augenscheinlich. Aber dieses Bild bringt die intime Beziehung klar zum Ausdruck und zeigt, wie sehr ich mich von geometrischen Formen in der Architektur angezogen fühle. Wenn ich das erste Mal einen Blick auf eine solche Skulptur werfe, sehe ich Formen, die sich fürs Skaten eignen. So wie die Formen, die man in Skateparks findet und die aus Kurven und Pyramiden bestehen."

Dieses Bild, es zeigt das Denkmal für die Résistance, habe für ihn aber auch noch eine andere Dimension. "Nachdem ich so viel Zeit in Städten rund um die Welt verbracht habe, ist in mir eine Verbindung zur Natur erwachsen. Das Leben ist eine Frage der richtigen Balance. Zuletzt habe ich mehr Zeit in der Natur verbracht und gelernt, auf meine eigene Art und Weise zu fotografieren", schildert er. Die Lichter der Stadt hätten unsere Fähigkeit zerstört, die Sterne über uns wertzuschätzen. "Wann immer ich es also schaffe, solch ein Foto zu schießen, das urbane Formen mit leuchtenden Sternen vereint, habe ich das Gefühl, etwas von Wert kreiert zu haben. Die Verbindung mit dem Kosmos darf man nicht unterschätzen", meint der Fotograf.

"Untitled", Lorran Freitas, Wallride, Rio de Janeiro, Brazil, 2017, from the series "Powerlines".
Fred Mortagne
"Las Vegas IV", 2015/2022, from the series "Gewebe".
Sabine Wild

Wahlberlinerin Sabine Wild, 1962 im italienischen Padua geboren, "zerstört" in ihrer Fotoserie "Gewebe" Architektur und verwebt sie aufs Neue. Als Rohstoff dienten ihr Farbfotos, aufgenommen unter anderem in New York City und Vorstädten der Megacitys Hongkong und Chongqing. Die Nachbearbeitung erfolgte per Hand: Wild schnitt zwei Ausdrucke jedes Fotos in präzise, schmale Streifen und montierte sie zu ineinander verschachtelten, sich seriell wiederholenden und bildfüllenden Architekturansichten mit zahllosen Details. Ihre Cuts zeigen zugleich reale wie auch fiktive Stadtveduten. Linien und Formen fallen auseinander, die Bildebene bricht auf und erlaubt den Blick auf etwas Neues.

Sabine Wild über diese Arbeit: "Mit Begeisterung eigens erstellte Fotografien zu zerschneiden scheint wie ein aggressiver Akt. Mit dem Cutter fahre ich entlang der stürzenden Linien des Golden Nugget in Las Vegas und schneide das Foto in vertikale Linien. Nun nehme ich mir den zweiten Druck des identischen Motivs noch einmal vor und folge mit dem Messer den horizontalen Linien entlang der Fenster- und Fassadenelemente. Als würde ich die Architektur des Gebäudekomplexes mit seinen Fenstern, den davorstehenden Palmen und dem Eingangsportal liebevoll nachzeichnen."

"Las Vegas III", 2015/2023, from the series "Gewebe".
Sabine Wild

"Für mich mündet das In-Streifen-Schneiden und das erneute Zusammensetzen des Gesamtbildes in eine genauere Wahrnehmung der Gebäudearchitektur. Interessanterweise wende ich mich dem Bild zu, während ich es zerstöre. Aus Sicht des fotografischen Handwerks investiert man normalerweise für ein Foto eine Hundertstelsekunde, die Zeit, die zur Aufnahme benötigt wird. Anders ist es beim Zerschneiden und Weben. Ich lasse mich auf das, was ich zerschneide und neu ineinander verwebe, viel tiefer ein", sagt sie.

"Las Vegas VIII", 2015/2023, from the series "Gewebe".
Sabine Wild

Und weiter: "Was zunächst harmlos erscheint, entpuppt sich als subversive Geste: Ich zerstöre Architektur und verwebe sie aufs Neue. Linien und Formen fallen auseinander, die Bildebene bricht auf und erlaubt – so scheint es zumindest – den Blick auf etwas 'dahinter'." (max, 13.6.2023)