Die Gerüchte schwirren schon länger durch die Polit- und Medienszene, nun tauchen sie wieder auf. Im Juni 2024 stehen in der EU die Wahlen zum europäischen Parlament an. In jedem der 27 Mitgliedsstaaten bedeutet das für die antretenden Parteien, dass sie vorab ihre Liste an Kandidatinnen und Kandidaten aufzustellen haben. In dem konkreten Fall der ÖVP bedeutet das, dass sie einmal mehr vor der Frage steht: Wird auf dieser erneut der Name von Othmar Karas stehen? Oder wird Karas gar mit einer eigenen Liste antreten?

Zuletzt berichtete Österreich über derartige Pläne. Karas bestätigt sie auf STANDARD-Nachfrage nicht – er dementiert sie aber auch nicht klar. Er habe noch ein ganzes Jahr als Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments vor sich und konzentriere sich "voll und ganz auf diese Arbeit". In einer Stellungnahme ließ er wissen: "Im Sommer werde ich eine Entscheidung darüber treffen, was ich persönlich 2024 machen werde." Es gehe ihm nicht um Funktionen und Ämter, "sondern um ernsthafte Politik und Lösungen. Ich bleibe meinen Werten und Prinzipien treu."

Karas, EU-Wahl
Othmar Karas, Erster Vizepräsident des EU-Parlaments und unbequemes ÖVP-Mitglied.
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Die Krone hatte am Sonntag geschrieben, dass Karas auch mit EU-Kommissar Franz Fischler gemeinsame Pläne wälze – was dieser vehement bestreitet. Da versuche ihm jemand, etwas "anzudichten", sagte Fischler zum STANDARD: "Wer auf die Idee kommt, dass ich mit 77 Jahren nochmals in die Politik gehe, ist naiv," so Fischler. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker wiederum ließ auf Nachfrage wissen, dass "die Liste für die EU-Wahl im kommenden Jahr rechtzeitig erstellt und bekanntgegeben" werde.

Längstdienend in Brüssel

Karas ist kein unbedeutender EU-Abgeordneter und auch kein unbedeutender ÖVPler: Er war Bundesobmann der Jungen Volkspartei, schwarzer Generalsekretär, 1983 wurde er in den Nationalrat gewählt. Seit 1999 sitzt er für Österreich im EU-Parlament.

Der 65-Jährige ist seit über einem Jahr Erster Vizepräsident des EU-Parlaments und einer der längstdienenden Abgeordneten in Brüssel und Straßburg. Er gilt als "glühender Europäer" und als "das europäische Gewissen der ÖVP". Aus Sicht der ÖVP ist Karas aber auch ein unbequemer Geist: Er hat die österreichische Regierung nicht nur mehrmals dafür kritisiert, dass die EU oftmals für innenpolitische Zwecke missbraucht werde.

Karas stimmte zudem häufig gegen die eigene Fraktion: seit 2020 genau 18 Mal anders als seine Parteikolleginnen und -kollegen – oftmals, wenn es etwa um Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel ging. Meinungsverschiedenheiten mit seiner Partei richtet Karas dieser auch durchaus öffentlich aus.

So war der gebürtige Ybbser (Bezirk Melk) der erste ÖVP-Politiker, der im März den politischen Pakt zwischen ÖVP und FPÖ in Niederösterreich kritisierte. "Als Niederösterreicher bedauere ich, dass es zu einer Einigung mit der FPÖ gekommen ist. Landbauer und Waldhäusl übertrumpfen einander mit Gedankengut, das mit dem Menschenbild der ÖVP unvereinbar ist", schrieb er damals auf Twitter.

Kritik an Schengen-Blockade

Er stellte sich auch gegen den türkisen Kurs in außenpolitischen und in EU-Fragen unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Kurz' Nachfolger Karl Nehammer kritisierte er wegen dessen Veto gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien im Dezember des Vorjahres. Die Ablehnung durch Österreich "entspreche "nicht den europäischen Werten": Beide Länder würden die Voraussetzungen erfüllen. Kanzler Nehammer hat die Blockadehaltung damit begründet, dass viele unregistrierte Migranten und Asylsuchende über diese Länder nach Österreich einreisen würden.

Das Verhältnis zwischen Karas und seiner Partei ist also nicht das reibungsloseste. Das zeigt sich auch daran, dass die Frage, ob Karas nun als der Nummer eins auf der EU-Liste steht, immer wieder spannend blieb – teils bis zum Schluss, bis also die Liste eingereicht werden musste. Dieses Spiel könnte sich bei der kommenden Wahl wiederholen. (Anna Giulia Fink, Manuela Honsig-Erlenburg, 12.6.2023)