Warnwesten, Banner, Sonnencreme. Montag, 6.30 Uhr im Innsbrucker Traklpark. Im Schatten knorriger Laubbäume bereiten sich rund 20 Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation auf den Auftakt vor. Es ist der Beginn einer groß angekündigten Protestwoche in der Tiroler Landeshauptstadt. Ein viel befahrener Kreisverkehr dient als Bühne.

Eine Klebeaktion der Letzten Generation
Die Letzte Generation protestierte am Montag in Innsbruck.
Florian Scheible

Um kurz vor sieben Uhr treten die Protestierenden auf die Straße, ziehen sich die Westen über und klammern sich an ihre Banner. Unter ihnen sind Menschen, die aus Graz und Wien angereist sind, um die Tiroler Truppe zu unterstützen. Viele wollen bis Freitag bleiben. Angekündigt wurden Aktionen auf öffentlichen_Plätzen und Straßen in Innsbruck. Hört man sich um, so steht eine Ausweitung auf andere (Tourismus-)Regionen und Ortschaften Tirols zumindest im Raum.

Es dauert nicht lange, bis der erste Autofahrer schreit. Ein Taxifahrer nach der Nachtschicht. Sie sollen ihn doch bitte durchlassen, er wolle sich niederlegen und schlafen, ruft er der Letzten Generation zu. Erbost, fast flehend. "Es tut uns leid", sagt eine Aktivistin leise und wendet sich ab. "Wir wollen so lange stören, bis gehandelt wird", hört man auch an diesem Tage des Öfteren. Es werde zu wenig getan, um die Klimakrise abzuwenden. Mittlerweile ist die Polizei vor Ort, sie leitet den Verkehr rasch um. Bald sitzen und stehen die Protestierenden auf einer leeren Straße.

Habeck teilt aus

Hält Kleber doch normalerweise zusammen, was auseinanderklafft, so scheint er in politisch grünen Gefilden die Geister zu spalten – sowohl hierzulande als auch in Deutschland ist das Verhältnis zwischen der Letzten Generation und den Grünen schwierig.

Das zeigte sich auch am vergangenen Wochenende: Die Klimaaktivisten und -aktivistinnen nerven nicht nur viele Deutsche, sondern gehen auch so manchem bei den Grünen viel zu weit. Robert Habeck, der grüner Wirtschafts- und Klimaschutzminister, hat gerade erst wieder kräftig gegen die Bewegung und deren Klebeaktionen auf den Straßen ausgeteilt: "Dieser Prozess verhindert eine Mehrheit für Klimaschutz. Es ist keine Hilfe beim Klimaschutz." Zudem seien die Aktionen nicht spezifisch genug. Der Protest mache die "Leute nur zornig und ärgerlich". Habeck brachte auch seine eigene Familie ins Spiel. Er und seine Frau haben vier Söhne. Also fragte Habeck: "Hätte ich keine vier Söhne haben sollen, weil dann der CO₂-Ausstoß reduziert wäre? Das ist hoffnungslos."

Vizekanzler aus Deutschland Robert Habeck.
Deutschlands Vizekanzler Robert Habeck reagierte zuletzt ablehnend gegenüber der Letzten Generation.
APA/ AFP/ John MacDougall

In Deutschland hatte es zuletzt eine großangelegte Razzia gegen Mitglieder der Letzten Generation gegeben, ausgegangen war die Initiative von der Generalstaatsanwaltschaft in München. Diese hat den Verdacht, dass es sich bei der Bewegung um eine "kriminelle Vereinigung" handle. Die große Mehrheit der Deutschen ist mit den Aktionen der Letzten Generation jedenfalls nicht einverstanden. 79 Prozent der von Civey für den Spiegel Befragten gaben an, sie hielten den Protest für "eher falsch" oder "eindeutig falsch".

In jüngster Zeit hat die Letzte Generation in Deutschland nicht nur durch Klebeaktionen auf sich aufmerksam gemacht. Sie konzentrierte sich auf Aktionen gegen Reiche. So wurden auf der Nordseeinsel Sylt ein Privatjet und die Hotelbar eines Fünfsternehotels mit oranger Farbe beschmiert. In Stuttgart wurde Pflanzenöl auf die Straße vor dem Porschewerk geschüttet.

Ganz so drastisch wie in Deutschland bewerten die österreichischen Grünen die Protestaktionen nicht – wohl auch den unterschiedlichen Protestformen in beiden Ländern geschuldet. Es sei ohnehin nicht die Aufgabe der Grünen, einer Organisation auszurichten, welche Protestformen sie einsetzen solle, sagt Umweltsprecher Lukas Hammer zum STANDARD. "Unsere Aufgabe ist der Kampf gegen die Klimakrise", sagt er. Die Grünen hätten für beide Seiten Verständnis, betonen Vertreter der Partei immer wieder: sowohl für die Protestierenden als auch für die im Stau stehenden Autofahrer.

Ideologische Nähe

Die Anliegen der Letzten Generation sind ideologisch sehr nah an jenen der Grünen. Man stehe deshalb auch hinter vielen Forderungen, wie Umweltministerin Leonore Gewessler in der Vergangenheit mehrmals betonte. Maßstab sei aber immer, dass niemand zu Schaden komme. Gebe es keine Gefährdung anderer Personen, "ist es ziviler Ungehorsam, und dieser hat auch Platz in einer starken Demokratie", reagierte Gewessler etwa auf die Blockade der Wiener Südosttangente im Mai.

Vizekanzler Werner Kogler wehrt sich dagegen, die Letzte Generation als kriminelle und terroristische Vereinigung abzustempeln, wie er zuletzt im Nationalrat erklärte. Dennoch sei es aber falsch, etwa Kunstwerke zu attackieren – Kogler betonte selbst, dass er einige Aktionsformen ablehne.

Vizekanzler Werner Kogler bei einer Veranstaltung.
Die Grünen unter Vizekanzler Werner Kogler sind zurückhaltender als deren Schwesterpartei in Deutschland.
APA/ Eva Manhart

Dem schließt sich auch Umweltsprecher Hammer an. Er habe Respekt vor Menschen, die sich für den Kampf gegen die Klimakrise einsetzen. Aber die gewählte Taktik bekäme mehr Aufmerksamkeit als die Klimakrise selbst. "Das ist umso bedenklicher, weil ein großer Teil der Gesellschaft die Dringlichkeit der Klimakatastrophe bis heute nicht realisiert hat." Ob Habeck mit seinen Aussagen vom Wochenende recht habe? Das will Hammer nicht kommentieren.

Nach rund zwei Stunden Verkehrsblockade räumen die Protestierenden in_Innsbruck die Kreuzung und gehen im Schneckentempo auf der Fahrbahn Richtung Innenstadt. Die Polizei wird ungeduldig. Als die Gruppe sich bei der Innbrücke wieder auf der Straße niederlässt, wird die Versammlung aufgelöst. Mehrere Protestierende zücken Kleber. Zwei Personen kommen den Beamten zuvor und kleben sich an. Es ist das erste Mal, dass in Innsbruck nach einer Auflösung geklebt wird. (Maria Retter, Max Stepan, Birgit Baumann, 12.6.2023)