Ob mehr Druck in Form von Demos vor dem Verfassungsgerichtshof geplant ist, will Barsam nicht kommentieren. Der 16-Jährige Schüler sitzt entspannt auf dem Sessel, seine Hände liegen locker auf der Tischplatte. Er zählt zu zwölf Kindern und Jugendlichen, die die Republik Österreich klagen.

Seit Montag befasst sich der Verfassungsgerichtshof mit der sogenannten Klimaklage. Der Vorwurf: Die fehlenden Maßnahmen der Regierung für den Klimaschutz gefährden die in der Verfassung verankerten Rechte der Kinder und deren Zukunft. Das Höchstgericht soll deshalb Bestimmungen des aktuellen Klimaschutzgesetzes als unzureichend aufheben.

Unterstützt werden Barsam, Ben, Vincent, Emma, Levi, Lilith, Matilda, Laurenz, Smilla, Franziska, Lena und Wilhelmina – sie alle sind zwischen fünf und 16 Jahre alt – unter anderem von der Anwältin Michaela Krömer und ihrem Verein Climate Law, Fridays for Future, dem Verein und Science Buster Florian Freistetter.

Kein Klimagesetz

Mit den Details des Gesetzes kennt sich Barsam laut eigenen Angaben zwar nicht aus, da müsse man Anwältin Michaela Krömer fragen, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD. Er weiß aber, dass "Österreich seit über 880 Tagen kein effektives Klimagesetz mehr hat, und das hat jetzt die Konsequenz, dass wir klagen". Krömer habe ihm von der Klage erzählt. Der Schüler habe sich dann über den Klimawandel und dessen Konsequenzen informiert und sich entschieden mitzumachen.

Es sei seine erste Aktion, als Aktivist bezeichnet er sich aber nicht. Mittlerweile sei er überzeugt, dass es ein Klimaschutzgesetz braucht, das wirtschaftliche und politische Folgen hat. Österreich sei zwar vergleichsweise klein, aber mit einem effektiven Klimagesetz könne man vielleicht auch andere Länder dazu motivieren, die CO2-Emissionen zu senken.

Astronom Florian Freistetter (links), Mitglied des Wissenschaftskabaretts Science Busters, unterstützt die Klimaklage von zwölf Kindern und Jugendlichen. Barsam (16) ist einer der Kläger.
Astronom Florian Freistetter (links), Mitglied des Wissenschaftskabaretts Science Busters, unterstützt die Klimaklage von zwölf Kindern und Jugendlichen. Barsam (16) ist einer der Kläger.
Regine Hendrich

Warum klagen Kinder

Motiviert hat die Klage jedenfalls Florian Freistetter. Der Astronom erklärt im Wissenschaftskabarett Science Busters die Welt und wissenschaftliche Zusammenhänge humorvoll und verständlich. Außerdem engagiert er sich bei Scientists for Future, unterstützte zuletzt Klebeaktionen der Letzten Generation und steht nun auch öffentlich hinter der Klimaklage. Mit der Klimawissenschaft beschäftigt sich der 45-Jährige seit einigen Jahren intensiver, wie er dem STANDARD erzählt. Als er den gesamten IPCC-Bericht des Weltklimarats gelesen hat, kam der Punkt, an dem er das Gefühl hatte, dass er aktiv werden und dafür sorgen muss, dass "endlich etwas passiert".

Barsam hat vor der Klage weder Unterstützer Florian Freistetter gekannt noch andere der elf Kinder und Jugendlichen, die nun mit ihm vor den Verfassungsgerichtshof gezogen sind. Dass Kinder Rechtsschritte einleiten, mag durchaus verwundern: Ist Fünfjährigen der Klimawandel überhaupt bewusst? Freistetter ist sich sicher, dass "gerne unterschätzt wird, was Kinder wissen und wissen wollen. Kinder leben auch auf dieser Welt und laufen nicht mit Scheuklappen durch die Gegend." Natürlich hänge es auch davon ab, wie das Wissen in den Schulen vermittelt wird, aber dass "Kinder auf die Idee kommen können, dass etwas schiefläuft, und sich Sorgen machen, das überrascht mich nicht".

Lobby für die Zukunft

Die Klimaklage bezeichnet Freistetter als einen besonderen Weg, den die Kinder gewählt haben. Aber die Art der Krise sei auch eine besondere, denn ihre Auswirkungen zeigen sich erst in Zukunft. Genau hier liegt für Freistetter das Problem.

Sein Beispiel: Wirft eine Firma giftige Abfälle auf eine Wiese, drohen sofort Strafen. Bläst die gleiche Firma CO2 in die Luft, passiert erst einmal nichts. Das Problem, das entsteht, betrifft die Menschen nämlich erst in Zukunft, und "die haben keine Lobby im politischen System, es gibt kein Ministerium für die Zukunft".

Daher kommt die Politik laut Freistetter auch damit durch, sich nur um die Gegenwart zu kümmern. Zumal die Zukunft, um die es beim Klima geht, nicht so weit weg sei. "Man glaubt immer, bis zum Ende des Jahrhunderts ist es noch eine lange Zeit, aber das ist in fast 75 Jahren." Die Klimaklage versuche hingegen die Rechte der Menschen der Zukunft sicherzustellen.

Florian Freistetter und Barsam
"Die Menschen der Zukunft haben keine Lobby", sagt Freistetter. Das soll die Klimaklage ändern.
Regine Hendrich

Österreich scheint aktuell tatsächlich weit entfernt, die Klimaziele zu erreichen. Die österreichische Bundesregierung hat sich im Regierungsprogramm verpflichtet, bis 2040 klimaneutral zu sein. Doch allein um die EU-Vorgaben bis 2030 zu erfüllen, muss Österreich seine Emissionen aus den Bereichen Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft im Vergleich zum Jahr 2005 um 48 Prozent reduzieren. Bisher schafft Österreich nur eine Reduktion um rund 13 Prozent.

Soziale Kipppunkte

Dass die Klage durchgeht, sehen Rechtsexperten skeptisch. "Die Tür zum Verfassungsgerichtshof geht in Österreich nicht besonders weit auf", betonte selbst Anwältin Michaela Krömer im Rahmen der ersten Pressekonferenz, bei der die Klage bekanntgemacht wurde. Lege man die bisherige Rechtsprechung streng aus, dürfte der Antrag scheitern, sagen Fachleute.

Formaljuristisch ist die Klage der Kinder ein sogenannter Individualantrag. Dieser ermöglicht Einzelpersonen, verfassungswidrige Gesetze anzufechten, wenn sie "individuell" und "unmittelbar" davon betroffen sind. Und genau darin könnte bei der Klimaklage das Problem liegen: Adressaten des Klimaschutzgesetzes sind nämlich nicht einzelne Kinder, sondern staatliche Institutionen.

Sollte die Klage abgelehnt werden, ist Barsams größte Sorge, dass die Menschen den Klimaschutz vergessen, nötige Maßnahmen einfach unter den Teppich gekehrt werden könnten und so lange nicht mehr darüber gesprochen wird, "bis wir vor einem riesigen Problem stehen". 

Aufmerksamkeit sei natürlich das Ziel sämtlicher aktivistischer Aktionen, egal von welcher Gruppierung, sagt Freistetter. "Irgendwann gibt es vielleicht einen sozialen Kipppunkt, an dem so viele Menschen nicht mehr bereit sind, die Probleme, die uns in Zukunft erwarten, zu ignorieren, dass auch die Politik handeln muss", sagt Freistetter. Er erwartet zumindest, dass "die Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird, dass wir dieses verdammte Klimaschutzgesetz brauchen". (Julia Beirer, Jakob Pflügl, 14.6.2023)