Ein Kunde im Supermarkt steht vor dem Regal mit Sonnenblumenöl
Sonnenblumenöl gehört in Ungarn zu jenen Lebensmitteln, die nur zu einem von der Regierung vorgegebenen Fixpreis verkauft werden dürfen. Auch andere Lebensmittel wieKristallzucker, Weizenmehl, Schweinskeulen oder Hühnerbrüste fallen unter die Fixpreisregelung.
AFP / Atilla Kisbenedek

Die gute Nachricht ist: Die Inflationsrate in Ungarn sinkt. Allerdings von einem sehr hohen Niveau aus und in schleppendem Tempo. Im Monat Mai betrug die Teuerung im Vergleich zum Vorjahr 21,5 Prozent, wie das ungarische Statistische Zentralamt (KSH) bekanntgab. Im April waren es nach KSH-Angaben 24 Prozent – womit Ungarn in der EU einsamer Spitzenreiter war. Lettland als "zweitinflationärstes" Land der Union wies in jenem Monat 15 Prozent auf, Österreich hielt bei 9,5, Rumänien bei 10,4 Prozent. Der EU-Durchschnitt lag bei 8,1 Prozent.

Den meisten Ungarn, die mit durchschnittlichen Gehältern oder noch weniger auskommen müssen, macht vor allem die Teuerung der Lebensmittel das Leben schwer. Auch sie entwickelt sich – auf hohem Niveau – rückläufig. Im Jänner betrug sie 44 Prozent, im Mai immer noch 33,5 Prozent.

Hohe Energiepreise und hausgemachte Probleme

Ungarn leidet wie jedes andere Land auch unter den enorm gestiegenen Energiepreisen sowie unter preistreibenden Effekten diverser globaler Krisen, wie sie etwa die Corona-Pandemie oder der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hervorriefen. Dass die Inflationsrate in Ungarn dreimal so hoch ist wie im EU-Durchschnitt, ist allerdings auch eine Folge hausgemachter Probleme.

Sie wurzeln in der Politik von Ministerpräsident Viktor Orbán, der seit 2010 regiert und alle Entscheidungen selbst trifft. Vor der Parlamentswahl im April des Vorjahrs gab der Rechtspopulist die sagenhafte Summe von 4,5 Milliarden Euro für Wahlgeschenke an Pensionisten, Familien mit Kindern und junge Einkommensbezieher aus. Praktisch die gesamte Geldmenge floss in den Konsum – und heizte die Inflation entsprechend an. Die Wahl gewann Orbán immerhin haushoch.

Darüber hinaus nötigte Orbán die theoretisch unabhängige Notenbank dazu, billige Kredite zu ermöglichen. Zum Inflationsfaktor wurde außerdem, dass die Notenbank die Landeswährung Forint beständig entwertete. Nationalbank-Gouverneur György Matolcsy, seit langem ein Weggefährte Orbáns, äußert erst seit wenigen Monaten offene Kritik an Orbáns Wirtschaftspolitik.

Fixpreise für Lebensmittel

Angesichts der für viele ins Unerträgliche steigenden Lebenshaltungskosten brachte Orbán ein vielfältiges Arsenal an Preisdeckelungen in Stellung. Im Februar 2022 führte er Fixpreise für ausgewählte Lebensmittel ein, die bis heute gelten. Für Kristallzucker, Weizenmehl, Sonnenblumenöl, Schweinskeulen, Hühnerbrüste, Hühnerrücken und Milch dürfen die Geschäfte ihren Kunden nur den Preis berechnen, der im Oktober 2021 galt. Seit einem Monat müssen die großen Handelsketten, die alle in ausländischem Besitz sind, wöchentlich wechselnde Produkte aus bestimmten Warengruppen zu sehr niedrigen Aktionspreisen anbieten. Von November 2021 bis Dezember des Vorjahrs galt ein amtlicher Benzinpreis von umgerechnet rund 1,20 Euro pro Liter (Super 95 Oktan). Orbán musste die Regelung abrupt kippen, weil sich bereits Versorgungsengpässe bei den Treibstoffen abzeichneten.

Viele Menschen mit niedrigen Gehältern ernähren sich inzwischen hauptsächlich von den sieben Lebensmittelprodukten, deren Preise seit mehr als eineinhalb Jahren eingefroren sind. Das mag auch erklären, warum es keine breiten Proteste gegen das Orbán-Regime gibt. Das Geld aus den letzten Wahlgeschenken ist konsumiert, die Reallöhne sinken erstmals wieder seit vielen Jahren – im Dezember des Vorjahrs erreichte der Kaufkraftverlust der Bevölkerung bereits die Fünf-Prozent-Marke. Viele geschlossene Geschäfte selbst in der Budapester Innenstadt künden davon, dass der Einzelhandel kein Geschäft mehr macht.

Die Preisdeckel verzerren das Marktgefüge, außerdem droht das Budgetdefizit aus dem Ruder zu laufen. "Im Jahr 2021 haben wir den Weg aus den Augen verloren", sagte Notenbank-Chef Matolcsy im März bei einer Anhörung im Parlament. Ein Ende des Irrens auf wirtschaftspolitischen Abwegen sei nicht in Sicht, fügte er hinzu. (Gregor Mayer aus Budapest, 13.6.2023)