Energydrink-Dosen ungeöffnet
Taurin ist möglicherweise eine Art Jungbrunnen. Die Aminosäure kennt man vor allem als Bestandteil von Energydrinks.
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Der Griff zum Energydrink ist schon verständlich. Wenn das Müdigkeitstief zuschlägt, sorgt die Mischung aus Zucker und hochdosiertem Koffein für einen massiven Energiekick – der deutlich intensiver ist als der durch Kaffee. Und die süße Limo hat noch eine Zutat, die als wahres Zaubermittel angepriesen wird: Taurin. Das ist eine semiessenzielle Aminosäure, die an zahlreichen physiologischen Prozessen im Körper beteiligt ist. Sie hilft außerdem bei der Bildung von Antioxidantien, die gegen Zellstress wirken sollen und ganz nebenbei den Blutdruck senken, Entzündungen reduzieren und die Leistung steigern. Vor allem Letzteres ist der Grund, warum sich Taurin in Energydrinks befindet. Sowohl geistig als auch körperlich soll man dadurch fitter werden.

Nun ist ziemlich klar, dass Energydrinks, in größeren Mengen konsumiert, alles andere als gesund sind. Bereits mit zwei bis drei Dosen hat man die empfohlene Tageshöchstdosis an Koffein überschritten, in einer handelsüblichen 250-ml-Dose befinden sich außerdem umgerechnet rund zehn Stück Würfelzucker. Auch die zuckerfreie Variante ist nicht viel besser, warum künstliche Süßstoffe keine gute Alternative zu Zucker sind, haben wir hier erklärt.

Doch das Taurin verdient tatsächlich etwas mehr Aufmerksamkeit. Denn es scheint auch stark mit dem Altern des Körpers in Verbindung zu stehen. Eine Studie, die soeben im Fachmagazin "Nature" publiziert wurde, hat nun den Zusammenhang zwischen dem Taurinspiegel und dem Altern untersucht.

Mehr Taurin, bessere Gesundheit?

Als Nahrungsergänzungsmittel ist Taurin frei verfügbar, die empfohlene Tageshöchstmenge beträgt laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sechs Gramm bei rund 60 Kilo Körpergewicht. In einem Engerydrink dürfen pro Liter Getränk maximal vier Gramm Taurin enthalten sein.

Die Aminosäure wird natürlicherweise einerseits in den menschlichen Leberzellen aus Zystein gebildet und andererseits über die Nahrung aufgenommen. Hauptquellen sind Fisch, Fleisch, Innereien und Milch. Ungeborene und Neugeborene können es noch nicht ausreichend selbst bilden, sie sind auf die Zufuhr über die Mutter bzw. die Nahrung angewiesen. Und bei älteren Menschen verringert sich die Menge an Taurin im Blut zunehmend, was die Frage aufwirft, ob ein Taurinmangel die Alterung des Menschen vorantreibt. Genau das wollte das Team der Forschenden von internationalen Universitäten in Indien, den USA, Australien und auch der Technischen Universität München genauer wissen.

Sie substituierten deshalb Taurin bei Mäusen und Affen und stellten fest, dass diese länger lebten und dabei gesund blieben bzw. weniger altersassoziierte Erkrankungen ausbildeten. Die Aminosäure verbesserte die Funktion der Knochen und Muskeln, der Bauchspeicheldrüse, des Gehirns, des Darms und des Immunsystems. Mäuse lebten bei täglicher Tauringabe insgesamt länger als jene Artgenossen, die kein Taurin gefüttert bekamen. Durch diese Erkenntnisse seien weitere Studien gerechtfertigt, wie sich Taurinmangel auf die Alterung des Menschen auswirke, betonen die Autorinnen und Autoren.

Tatsächlich haben bereits einige Untersuchungen gezeigt, dass die Taurinmengen im menschlichen Muskel- und Gehirngewebe mit zunehmendem Alter abnehmen, nachzulesen etwa hier und hier. Für die aktuelle Studie analysierten die Forschenden Daten von 11.966 Personen. Niedrige Taurinkonzentrationen gingen demnach mit Übergewicht, Typ-2-Diabetes und hohen Glukosewerten einher, dazu kamen hohe Cholesterolwerte und Entzündungsmarker.

Kein Ersatz für Sport

Eine Untersuchung mit unterschiedlich gut trainierten Personen ergab zudem, dass durch einen Belastungstest die Taurinwerte bei allen Testpersonen anstiegen. Das brachte die Forschenden zu dem Schluss, dass die gesundheitlichen Vorteile von Sport durch den Anstieg dieser Werte entstehen könnten. Ob Taurin tatsächlich als "Anti-Aging-Therapie" Sinn macht, wird außerdem aktuell in zwei klinischen Studien in Brasilien untersucht. Doch verändert die Einnahme der Aminosäure tatsächlich etwas?

Das kann man noch nicht mit Sicherheit sagen, sagt Clara Correia-Melo, die die Forschungsgruppe Mikrobiom und Metabolismus am Leibniz-Institut für Alternsforschung in Jena leitet. Sie beurteilt das Studiendesign als sehr gut gemacht, weil nicht nur Korrelation untersucht wurde, sondern auch Kausalität. "Es ist plausibel, dass Taurin eines der vielen Moleküle ist, die positiv mit den gesundheitlichen Vorteilen von Bewegung in Verbindung gebracht werden." Allerdings werde die Wirkung von körperlicher Betätigung vielen Molekülen zugeschrieben, und diese wirken möglicherweise zusammen, um die gesundheitlichen Vorteile zu erzielen. "Es ist deshalb eher unwahrscheinlich, dass die Einnahme von Taurin die Vorteile von körperlicher Betätigung ersetzen kann."

Correia-Melo betont außerdem, dass die singuläre Betrachtung eines Wirkstoffs immer schwierig ist: "Die menschliche Ernährung ist unglaublich vielfältig. Für bessere Erkenntnisse, wie Taurin wirkt, müsste man deshalb die Wirkung verschiedener Nährstoffkombinationen in unterschiedlichen Ernährungsweisen erforschen." Weiters gebe es keine Erkenntnisse dazu, ob Taurin in erster Linie vorbeugend wirke oder womöglich auch dann eingesetzt werden könnte, wenn sich eine Krankheit bereits manifestiert hat.

Das bestätigt auch Kristina Norman vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam: "Generell ist es unwahrscheinlich, dass ein einzelner Nährstoff den Alterungsprozess beeinflussen kann. Denn dieser ist multifaktoriell." Und Taurin könne auch Sport nicht ersetzen: "Körperliches Training hat viele Auswirkungen auf unterschiedlichsten Ebenen, die nicht auf Taurin zurückzuführen sind." So gibt es etwa einige vergleichbare Substanzen, die mit Langlebigkeit in Verbindung gebracht werden.

Hoffnung bei Parkinson

Trotzdem gibt es bereits erste Hinweise, dass eine Taurinbehandlung positive Effekte auf altersassoziierte Erkrankungen im Menschen haben kann, berichtet Sebastian Grönke vom Max-Plank-Institut für Biologie des Alterns in Köln: "Es konnte gezeigt werden, dass Taurin den Blutdruck bei Menschen mit Bluthochdruck senkt. Und auch das Wohlbefinden von Parkinson-Betroffenen konnte verbessert werden." An den entsprechenden Studien hätten jedoch nur wenige Menschen teilgenommen, deshalb bestünde weiterer Forschungsbedarf.

Grönke hält es für durchaus realistisch, dass eine Taurineinnahme die Lebenszeit auch bei Menschen, ähnlich wie im Tiermodell, verlängern kann. Trotzdem rät er von Selbstversuchen ab: "Es gibt derzeit keine Studien, die eine hohe Taurinaufnahme über einen längeren Zeitraum verfolgt haben." Und vor allem warnt er davor, deshalb Energydrinks zu konsumieren: "Die darin enthaltenen Mengen sind viel zu gering. Zusätzlich hemmen andere Wirkstoffe wie etwa Koffein die Taurinaufnahme." (Pia Kruckenhauser, 14.6.2023)