Auf den Top-Ten-Listen der potenziellen Weltuntergangsszenarien schafft es der Ausbruch eines Supervulkans fast immer in die vordersten Ränge. Derzeit rechnet zwar niemand mit einer unmittelbar bevorstehenden Eruption, doch das Brodeln im Untergrund da und dort sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, warnen Fachleute. Rund zwanzig aktive Supervulkane sind heute rund um den Globus bekannt. Für Nervosität sorgt ausgerechnet jener, der im Süden Europas schlummert – oder sind die Phlegräischen Felder bei Neapel womöglich schon erwacht? Tatsache ist, dass die Region in den vergangenen Jahrzehnten beunruhigende Aktivitäten an den Tag legte und der Deckel darüber Schwächen zeigt.

Millionen Menschen über den Vulkanfeldern

Im Unterschied zu herkömmlichen Feuerbergen sind Supervulkane zu groß, um einen Kegel auszubilden. Stattdessen bestehen diese geologischen Phänomene aus einer gewaltigen Magmablase unter der Erdoberfläche, die sich über die Jahrtausende mit Gas anreichert. Dabei steigt der Druck wie in einem Schnellkochtopf. Beim Ausbruch eines Supervulkans können auf einen Schlag mehrere Tausend Kubikkilometer Lava und Gestein ausgeschleudert werden. Die Folgen sind dementsprechend global.

Die Phlegräischen Felder bei Neapel zeigen sich seit einem halben Jahrhundert wieder aktiver.
Grafik: INGV

Unter Europas Supervulkan, den Campi Flegrei (auf Deutsch: "brennende Felder"), rumort es bereits seit den 1960er-Jahren, stellenweise hat sich die Gegend stark angehoben. Schuld daran ist die offenbar gut gefüllte Magmakammer unter der rund 150 Quadratkilometer großen Caldera, die auch den benachbarten Vesuv speist. Über 1,5 Millionen Menschen leben im Bereich der Phlegräischen Felder oder in unmittelbarer Nähe. Der Supervulkan machte in den vergangenen 60.000 Jahren zwei massive und mehrere kleinere Eruptionen durch.

Pozzuoli hob sich um vier Meter

Zu einem massiven Ausbruch kam es zuletzt vor 15.000 Jahren, die jüngste kleinere Eruption ereignete sich 1538. Aktivitätsspitzen gab es zuletzt auch in den 1950er-, 1970er- und 1980er-Jahren. In den letzten zehn Jahren hat die Unruhe im Boden der Campi Flegrei sogar weiter stetig zugenommen. So haben Geologen festgestellt, dass sich die Küstenstadt Pozzuoli in der Nähe des Zentrums der Caldera seit etwa Mitte des letzten Jahrhunderts um fast vier Meter gehoben hat. Allein im vergangenen April wurden zudem rund 600 Erdbeben registriert, die höchste monatliche Bebenzahl seit Beginn der Aufzeichnungen.

In den vergangenen sechs Jahren haben Wissenschafter mithilfe eines detailgenauen Modells das Verhalten der Campi Flegrei beschrieben. Bisher benahm sich der Supervulkan ganz so, wie es das Modell vorhersagte, bis hin zu den Geländehebungen und Erdbebenhäufungen. Was die Modellberechnungen nun ausspuckten, verheißt womöglich nichts Gutes für die nahe Zukunft: Wie ein Team um Christopher Kilburn vom University College London im Fachjournal "Communications Earth & Environment" schreibt, haben sich inzwischen einige Zonen der Erdkruste über dem Vulkan beinahe bis zur Bruchgrenze gedehnt. Ein Ausbruch der Campi Flegrei sei daher wahrscheinlicher geworden.

Die Satellitenaufnahme zeigt die Campi Flegrei mit ihren vielen Vulkankratern vergangener Ausbrüche. Ihre Ausläufer erstrecken sich ins Meer hinaus.
Foto: Nasa

Verräterische Erdbeben

"Unsere Studie bestätigt, dass sich die Campi Flegrei einem Ausbruch nähern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine baldige Eruption garantiert ist", sagte Kilburn. "Selbst wenn die Kruste brechen sollte, das Magma muss auch an der richtigen Stelle nach oben gedrückt werden, damit es zu einer Eruption kommt." Das Modell basiert unter anderem auf den physikalischen Vorgängen beim Brechen von Gestein und wurde hier das erste Mal gleichsam in Echtzeit an einem aktiven Vulkan angewendet.

Aussagekräftg sind vor allem die Erdbeben in der Region. Ihre Häufung, Frequenz und andere Parameter verraten den Forschenden eine deutliche Druckzunahme von unten. Die registrierten Muster zeigen laut Kilburn zudem, dass die Kruste darüber nicht elastisch auf diesen Druck reagiert. Statt sich zu dehnen und zu wölben, könnte sie schlussendlich brechen – ein Ereignis, das nicht zuletzt von der schwächer werdenden Kruste begünstigt wird: Wie die Gruppe berichtete, beträgt die Zugfestigkeit (die maximale Spannung, die ein Material aushalten kann) der Kruste heute etwa ein Drittel des Wertes von 1984.

Heiße Quellen und vulkanische Dampfaustrittsstellen, sogenannte Fumarolen, zeigen, dass der Supervulkan in Süditalien keineswegs schläft.
Foto: APA/AFP/CARMINE MINOPOLI

Schwierige Prognosen

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass Teile des Vulkans schwächer werden. Das bedeutet, dass er brechen könnte, auch wenn die Kräfte, die die Kruste auseinanderziehen, geringer sind als bei der letzten Krise vor 40 Jahren", sagte Nicola Alessandro Pino vom Vesuv-Observatorium, der an der Studie beteiligt war. Obwohl das Modell sich bisher als recht verlässlich erwiesen hat, sind belastbare Prognosen über das Verhalten der Campi Flegrei äußerst schwierig, räumt das Team ein. Das liege vor allem daran, dass man noch viel zu wenig darüber wisse, was genau dort unten vor sich geht.

Welchen Ausgang die Situation nehmen könnte, bleibt daher weiterhin unklar. Es sei durchaus möglich, dass der Druck unter der Erde wieder abnimmt, was einen größeren Krustenbruch verhindern würde. Und selbst wenn es zum Bruch kommen sollte, könnten geochemische Prozesse die Risse schnell wieder schließen. Die Folge wäre dann wohl eine neue Phase des sanften Hebens und Senkens, meinen die Forschenden. Sollte es jedoch tatsächlich zu einer Eruption kommen, dürfte die wahrscheinlichste Ausgangsregion dafür das oberflächennahe Spaltensystem nahe Sofatara-Pisciarelli sein.

"Wir können nichts davon sehen, was unter der Erde passiert" sagte Co-Autorin Stefania Danesi vom Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) in Bologna. "Uns bleibt also nur, die Hinweise zu entschlüsseln, die der Vulkan uns gibt." Umso wichtiger sei es daher für die mehrere Hunderttausend Menschen in der Region, dass die Phlegräischen Felder weiterhin lückenlos überwacht werden. (Thomas Bergmayr, 14.6.2023)